Frage an Joachim Pfeiffer von Frieder C. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Pfeiffer,
Sie unterstützen die Forderung, dass man von Vollzeitarbeit leben können muss.
Würden Sie dazu auch in Ihrer Partei dafür eintreten, dass Arbeit mit mehr Regulierungen geschützt werden muss und in Hartz IV nicht mehr jede Arbeit bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit zumutbar ist?
Bei Regulierungen denke ich nicht nur an den ungezügelten Wildwuchs von Leiharbeit oder Werkverträgen sondern auch daran, dass unsere Märkte überschwemmt werden mit Billigprodukten mit Kinderarbeit und zunehmend mit Produkten, für die keine Ersatzteile geliefert werden. Viele versierte Reparaturbetriebe haben deshalb schon aufgegeben. Meine Werkstatt für Rasenmäher und landwirtschaftliche Geräte etwa hat kaum noch Reparaturaufträge, die Baumarktgeräte müssen schon bei kleinen Defekten auf den Müll geworfen werden. Das ist auch ein ökologischer Offenbarungseid, dem etwa mit einer hohen Umweltabgabe oder einem Strafzoll begegnet werden könnte.
Hartz IV hat zudem die Augenhöhe bei der Lohnaushandlung beseitigt. Viele Firmen wissen, dass diese Arbeitslosen auch Dumpinglöhne annehmen müssen, was die Lohnspirale nach unten sehr beschleunigt hat. Ich könnte Ihnen hier drastische Beispiele nennen, vom Reinigungsgewerbe bis hin zu kirchlichen Pflegediensten.
Freundliche Grüße
Frieder Claus
Sehr geehrter Herr Claus,
selbstverständlich unterstütze ich die Aussage, dass jeder Vollzeitbeschäftigte grundsätzlich von seiner Arbeit leben können muss. Ebenso gilt der Grundsatz, dass es ohne Arbeit keinen sozialen Aufstieg und keine Chancengleichheit gibt. Zunächst heißt es also, Arbeit zu schaffen und die Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Dies kurbelt nicht nur den Binnenkonsum an und trägt damit zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, sondern ist auch Voraussetzung für gefüllte Sozialkassen und hohe Steuereinnahmen, mit denen der Sozialstaat finanziert werden kann.
Die ausgesprochen positiven Effekte eines erfolgreichen Arbeitsmarktes können wir derzeit in Deutschland sehen. Während sich Europa seit Jahren in einer seiner stärksten Wirtschaftskrisen befindet, hat sich die Situation der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in Deutschland in den letzten Jahren ausgesprochen positiv entwickelt. Die Zahlen sprechen für sich:
Fast 42 Millionen Menschen sind in Deutschland derzeit erwerbstätig, so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte. Der Großteil von ihnen arbeitet in unbefristeten und sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen. 2012 war das sechste Jahr in Folge mit zunehmender Beschäftigung und der Trend hält an. Die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie seit 1990 nicht mehr: 2012 waren durchschnittlich deutlich unter 3 Mio. Menschen ohne Arbeit. Gegenüber 2005 hat sich die Arbeitslosenquote fast halbiert (6,8 % im Juni 2013). In vielen Regionen herrscht Vollbeschäftigung. Auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen hat sich seit 2008 nahezu halbiert, d.h. die Sockelarbeitslosigkeit konnte erstmals seit Jahrzehnten nachhaltig reduziert werden. Die Arbeitslosenquote Jugendlicher war mit 7,6 % im Frühjahr 2013 die niedrigste in der gesamten EU!
Wichtig ist mir auch, darauf hinzuweisen, dass das – gerade in Wahlkampfzeiten – häufig auftauchende Zerrbild von Deutschland als einem „Niedriglohnland“ nicht der Realität entspricht. Vielmehr besagen auch hier die Zahlen genau das Gegenteil. In den letzten Jahren sind am Arbeitsmarkt in erster Linie unbefristete Stellen in sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung entstanden und zwar seit 2005 an die zwei Millionen. Gleichzeitig ist die Zahl der sogenannten „atypischen“ Beschäftigungsverhältnisse (befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit, geringfügig Beschäftigte) zurückgegangen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen vollzeitbeschäftigten sogenannten Aufstocker ist seit 2007 um 50.000 auf 291.000 zurückgegangen, wobei von diesen 291.000 nur knapp 80.000 Arbeitnehmer alleinstehend sind. Im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Beschäftigten ist dies erkennbar eine sehr geringe Zahl, gleichwohl die Aufgabe natürlich weiterhin darin besteht, diese Zahl stetig zu verringern. Hinzuweisen ist auch auf Erhebungen des sozio-ökonomischen Panels, die belegen, dass nur rund 15 Prozent der geringfügig (bzw. „atypisch“) Beschäftigten überhaupt eine Vollzeitbeschäftigung möchten. Das entspricht genau dem Anteil, der den Wechsel zu einer vollen Stelle innerhalb von drei Jahren dann auch schafft. Insgesamt ist zudem die Zahl der Menschen, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, in Deutschland deutlich zurück gegangen, im Vergleich zu 2006 um rund eine Million. Die Einkommensunterschiede in unserem Land sind heute dank der guten Arbeitsmarktsituation geringer als noch im Jahr 2005.
Dies alles zeigt: Die Arbeitsmarktreformen und Anstrengungen der vergangenen Jahren tragen Früchte, die nun auch bei den Menschen ankommen. Dank der hohen Beschäftigungszahlen sind die Sozialkassen gefüllt, die Steuereinnahmen sprudeln wie noch nie. Ziel muss es nun sein, gemeinsam daran zu arbeiten, dass dies so bleibt und die positive Entwicklung am Arbeitsmarkt nicht durch übermäßige Regulierung wieder abgewürgt wird. Daher kann ich auch Ihrer Forderung nach stärkerer Regulierung des Arbeitsmarktes nicht zustimmen. Vielmehr gilt: Trotz der Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre ist er deutsche Arbeitsmarkt nach wie vor einer der am schärfsten regulierten weltweit. Das wird durch die aktuellen Erhebungen des Weltwirtschaftsforums bestätigt, welches Deutschland in seiner jüngst veröffentlichten Rangliste zur Wettbewerbsfähigkeit beim Punkt „Flexibilität des Arbeitsmarktes“ lediglich auf Rang 113 eingeordnet hat.
Nicht zustimmen kann ich auch der Aussage, dass es in Deutschland einen „ungezügelten Wildwuchs“ von Leiharbeit und Werkverträgen gibt. Dem stehen schon die oben von mir genannten Zahlen entgegen, aus denen sich ergibt, dass die meisten neuen Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtige Vollzeitjobs sind. Speziell die heute teilweise kritisierten Werkverträge sind zudem seit Jahrzehnten ein wichtiges Instrument am Arbeitsmarkt und für die Unternehmen, insbesondere zur Flexibilisierung der Produktion (z.B. Abdeckung von Produktionsspitzen). Sie sind auch Ausdruck der zunehmenden Spezialisierung und Arbeitsteilung in bestimmten Wirtschaftsbereichen, gerade bei kleineren und mittelständischen Unternehmen (z.B. im Maschinenbau). Denn diese Spezialisierung ist einer der zentralen Gründe für den Exporterfolg deutscher Unternehmen. Müssten solche Unternehmen alle Tätigkeiten, die nicht in ihre Kernkompetenz fallen, durch eigene Angestellte ausführen lassen (z.B. Reinigungsarbeiten, Kantine, Logistik), wäre ihre Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft in Frage gestellt. Aus diesem Grund ist es nicht zielführend, das Instrument des Werkvertrags in den Unternehmen insgesamt in Frage zu stellen, wie dies heutzutage teilweise geschieht. Das wäre im Ergebnis so, als ob man von Haus- oder Wohnungsbesitzern verlangen würde, ihre Wohnungen in Zukunft nur noch selbst zu tapezieren oder zu streichen, obwohl ein professioneller Maler dies meist schneller und besser kann. Soweit es Fälle gibt, wo Werkverträge zur Umgehung der geltenden Tarifverträge und der Regelungen zur Zeitarbeit missbraucht werden, so sind – im Sinne der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie - zunächst die Tarifparteien gefordert, hier gemeinsame Lösungen zu finden. Zudem steht in unserem Rechtstaat allen Betroffenen der Weg zu den Gerichten offen, die in letzter Zeit auch einige Entscheidungen zu Werkverträgen gefällt haben. Für die Behauptung einer verbreiteten missbräuchlichen Verwendung von Werkverträgen gibt es bisher keinerlei belastbare Zahlen.
Zu Ihrer Frage zur Zumutbarkeit der Arbeitsaufnahme für Empfänger von Arbeitslosengeld II weise ich auf das Prinzip des Förderns und Forderns hin, das dem deutschen Sozialrecht zugrunde liegt. Dieses besagt, dass eine Person, die mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, auch mithelfen muss, ihre Situation zu verbessern. Eine erwerbsfähige Person, die hilfebedürftig ist, weil sie keine Arbeit findet, kann mit der Unterstützung der Gemeinschaft rechnen. Im Gegenzug muss sie alles unternehmen, um ihren Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen. Alles andere droht die Gemeinschaft zu überfordern. Die Mitwirkung des Leistungsberechtigten entspricht darüber hinaus einem allgemeinen Prinzip im Sozialleistungsrecht.
Zu Ihrer Frage zu möglichen Strafzöllen oder einseitig zu verhängenden „Umweltabgaben“ auf Produkte aus anderen Ländern ist darauf hinzuweisen, das für Deutschland als WTO-Mitglied die WTO-Regeln gelten. Diese lassen Strafzölle und vergleichbare Maßnahmen nur in Ausnahmen und nach einem streng vorgeschriebenen Verfahren zu. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade Deutschland als führende Exportnation in besonderem Maße von der Freiheit des Welthandels profitiert und somit grundsätzlich kein Interesse an Handelskriegen hat. Sanktionen provozieren Gegensanktionen und gefährden damit Arbeitsplätze, gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. So hatte zum Beispiel China nach der Verhängung von Strafzöllen durch die EU gegen chinesische Solarmodule seinerseits umgehend Sanktionsmaßnahmen gegen europäische Produkte verhängt, die Deutschland als exportstärkstes EU-Land in besonderem Maße trafen. Erfolgversprechender ist es daher aus meiner Sicht, über politische Kontakte, die sich aus der wirtschaftlichen Annäherung ergeben, darauf hinzuwirken, die Arbeitsbedingungen bei dem jeweiligen Handelspartner zu verbessern.
Ich würde mich freuen, sehr geehrter Herr Claus, wenn Sie sich mit den aufgeführten Argumenten sowie den Zahlen und Fakten auseinandersetzen und Ihre Kritik revidieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Joachim Pfeiffer MdB