Frage an Joachim Langbein von Mathias P. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Dr. Langbein,
wie stehen Sie zur Idee "Bedingungsloses Grundeinkommen"?
Mit freundlichen Grüßen
Mathias Putschli
Sehr geehrter Herr Putschli,
Herzlichen Dank für Ihre Frage, die erste, die mich über Abgeordnetenwatch erreicht hat und sie hat es direkt in sich, weil die Frage „Wie stehen Sie zum bedingungslosen Grundeinkommen?“ nicht einfach mit „Finde ich richtig“ oder „Lehne ich ab“ zu beantworten ist. Sie knüpft an eine Diskussion an, die nicht nur innerhalb der GRÜNEN bereits vor 3-4 Jahren intensiv geführt wurde. Damals hat die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle aus der Hartz IV Debatte heraus einen neuen Schub erhalten. Inzwischen ist sie etwas in den Hintergrund getreten und es wird statt dessen über „spätrömische Dekadenz“ philosophiert.
Es ist auch kein landespolitisches Thema und schon gar keines, das unseren Wahlkreis in besonderem Maß betrifft.
Da ich ohne Listenplatz für das Direktmandat im Wahlkreis kandidiere, habe ich mich bislang eher mit Themen beschäftigt, bei denen sich Landespolitik auf unsere Region auswirkt: Im Mittelpunkt meiner Politik steht bei mir (das ergibt sich aus meinem beruflichen Tätigkeit) eine nachhaltige regionale Wirtschaftsförderung, die auf die Verbindung von Ökonomie mit Umweltaspekten und sozialer Entwicklung steht. Dies ergibt sich aus meinem beruflichen Tätigkeit, als Projektleiter für Innovations- und Technologieförderprogramme im Bereich Nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bei der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung gGmbH - einer Durchführungsorganisation des BMZ.
Hier sehe für unsere Region ein erhebliches Entwicklungspotential durch Förderprogramme, die auf die Zusammenarbeit von Forschung und Privatwirtschaft setzten. In unserem Wahlkreis gibt es verschiedene Fachhochschulen, die Fraunhofer Gesellschaft, in direkter Nachbarschaft die DLR und die Uni Bonn, hier kann nachhaltige Wirtschaftsförderung als Förderung neuer kreativer Unternehmen und Innovationen ansetzen.
Hinzu kommt im Wahlkreis sicher das Thema Gesamtschule. In St. Augustin wird ideologiegeprägt mit schwarz-gelben Verfahrenstricks der eindeutig formulierte Elternwille ignoriert und eine moderne Schulpolitik verhindert. Außerdem hat der Ausgang der Landtagswahl einen erheblichen Einfluss auf die Frage wie es mit dem Naturpark Siebengebirge weiter geht - auch keine Frage, die sich einfach mit ja oder nein beantworten lässt.
Insofern erwischen Sie mich mit Ihrer Frage nach dem bedingungslosen Grundeinkommen etwas unvorbereitet, aber ich will mich nicht vor einer Antwort drücken, wenn Sie mir erlauben, etwas weiter auszuholen.
In der Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen werden verschiedene Modelle diskutiert und oft vermischt. Die Modelle sind ebenso vielfältig wie die Gesellschaftsbilder ihrer Verfechter. Sie reichen vom utopischen Sozialismus bis zu neoliberalen Staatsabbauideologien. Als GRÜNER habe ich eine gewisse Sympathie zu den Modellen, die auf Gerechtigkeitsvorstellungen und bürgerlichen Gleichheitsidealen aufbauen, wohingegen ich die neoliberale Staatsabbauideologien einiger Grundeinkommensbefürworter eindeutig ablehnen.
Das bedingungslose Grundeinkommen ist aber auf keinen Fall die Lösung all unserer wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Probleme. Ich glaube nicht, dass mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ein einfacher und fairer Sozialstaat geschaffen werden kann, der seinen Bürgern ein größtmögliches Maß an Freiheit, Selbstbestimmung und Würde bei gleichzeitiger finanzieller Existenzsicherung einräumt.
Es ist falsch, bedingungsloses Grundeinkommen für alle zu fordern, weil angeblich der Gesellschaft die Erwerbsarbeit ausgeht - allein im Bereich der Schwarzarbeit „verstecken“ sich fünf Millionen Jobs. Ich will nicht, dass der Staat sich, mit der Zahlung einer „Stilllegungsprämie“ aus der Verantwortung, die Teilhabe aller zu gewährleisten zurückzieht - und stattdessen auf die alleinige Verantwortung der Individuen verweist.
Die dauerhafte und bedingungslose Alimentierung von Menschen kann für einen politischen und gesellschaftlichen Ablasshandel missbraucht werden, der schnell zur organisierten Ruhigstellung ganzer Bevölkerungsgruppen führt. Ich lehne daher Grundeinkommens-Vorstellungen ab, die Erwerbslose quasi abfinden wollen, bisherige soziale Sicherungsleistungen dafür gegen rechnen und die Betroffenen mit der Verantwortung für die Schaffung gesellschaftlicher Zugänge alleine lassen. Ich lehne Vorschläge ab, deren Kern darin besteht, als "Kombilohn-Modelle für jedermann" Arbeitgebern die Lohnkosten zu senken.
Doch durch solche Kritik ist die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht erledigt. Viele im Zusammenhang mit dem bedingungslosen Grundeinkommen vertretene Argumente bringen nämlich Fehler im bisherigen System der sozialen Sicherung zur Sprache. Sie plädieren zu Recht für ein System, das weniger mit Verdacht, Misstrauen und Kontrolle arbeitet als vielmehr in Richtung Selbstbestimmung und Respekt für mündige Bürgerinnen und Bürger mit individuellen Lebenswegen.
Wir GRÜNE haben das Konzept der bedarfsorientierten Grundsicherung und darin einige Ideen aus der oben beschriebenen Debatte aufgenommen, aber das ist kein Einstieg in den Systemwechsel zum bedingungslosen Grundeinkommen für alle.
Aus der Perspektive des GRÜNEN Eintretens für Gerechtigkeit legt die Grundeinkommens-Debatte einen falschen Schwerpunkt bei der Erneuerung des Sozialstaats. Ein Großteil der sozialen Probleme von heute lässt sich allein durch höhere individuelle Transfers nicht lösen. Stattdessen muss im Mittelpunkt die Vision eines ermutigenden Sozialstaats der Ausbau und die Reform öffentlicher Güter und Dienste stehen: insbesondere des Bildungssystems, der Kinderbetreuung, der Pflege und der Arbeitsmarktinstitutionen.
Wenn wir Armut nicht nur lindern, sondern zukünftig auch vermeiden wollen, haben gerade Investitionen in gute Bildungs-Infrastruktur, Zugangsgerechtigkeit und öffentliche Angebote für Kinder und Erwachsene höchste Priorität.
Es funktioniert nicht, auf den Ausbau öffentlicher Institutionen einfach noch das bedingungslose Grundeinkommen für alle drauf zu satteln. Wir GRÜNE setzen auf einen Staat, der mit seinen Ressourcen klug haushaltet und Unterstützung gezielt denen zukommen lässt, die sie wirklich brauchen. Nur so bleibt die nötige öffentliche Legitimation und auch die Bereitschaft der gesamten Gesellschaft zur Solidarität erhalten.
So, das war nun etwas ausführlich. Aber manche Fragen sind wie gesagt nicht einfach mit ja oder nein, schwarz oder weiss zu beantworten. Ich hoffe dennoch, dass ich Ihnen meinen Standpunkt zum bedingungslosen Grundeinkommen einigermaßen verständlich erläutern konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Langbein