Frage an Joachim Kößler von Martin S. bezüglich Umwelt
Sehr geehrter Herr Kößler,
aus aktuellem Anlass möchte ich Sie gerne zu Ihrer Meinung zum Thema Atomkraft befragen.
Ihr Spitzenkandidat Mappus hat sich in letzter Zeit als besonderer Verfechter dieser Energieerzeugungsart hervorgetan und Bundesumweltminister Röttgen sogar den Rücktritt nahegelegt, als dieser die Laufzeiten nur moderat verlängern wollte.
Nach dem schrecklichen Unfall in Japan werden nun Sicherheitsüberprüfungen angekündigt und Betroffenheit verkündet. Fand denn etwa vor dem Beschluss der Laufzeitverlängerung keine Sicherheitsüberprüfung statt?
Die neue atomkritische Haltung der CDU scheint mir nicht besonders glaubwürdig, da objektiv keine neue Situation eingetreten ist. Dass Kernkraft Risiken birgt, war auch vorher schon klar. Das erweckt den Eindruck, als würde der Wahlkampf eine größere Rolle spielen als die Sicherheit der Bevölkerung.
Deshalb meine Frage an Sie: Wie wird es mit der Energieversorgung in Baden-Württemberg nach der Landtagswahl weitergehen? Wird weiter auf Atomkraft gesetzt? Oder nutzt das Land seinen aktuellen Einfluss auf EnBW, um Baden-Württemberg zum Vorreiter, neuer innovativer Energieerzeugungsformen zu machen?
Und ist Baden-Württemberg bereit, auf seinem Territorium nach einem Atommüll-Endlager zu suchen?
Mit freundlichen Grüßen
Martin Strohal
Sehr geehrter Herr Strohal,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Atomkraft.
Die unfassbare Erdbebenkatastrophe in Japan bewegt uns alle tief und hat uns nachdenklich gemacht. Die Geschehnisse sind ein fundamentaler Einschnitt, weil wir bemerkt haben, dass das Restrisiko nicht komplett beherrschbar ist. Dies hat zu einem Umdenken auch in Baden-Württemberg geführt.
Zwar sind unsere Kraftwerke immer noch die sichersten weltweit. Die Sicherheitstechnik der Reaktoren entspricht sehr strengen und hohen Anforderungen. Für die Genehmigung, ein Kernkraftwerk in Deutschland zu betreiben, müssen zahlreiche Auflagen erfüllt werden. Viele Kontrollen und Tests müssen erfolgreich bestanden sein, ehe ein Reaktor Strom produzieren darf. Deutsche Kernkraftwerke sind mit modernsten Sicherheitssystemen ausgestattet. Für den Fall, dass ein System ausfällt, gibt es mehrfache Ersatz-Systeme, die auch in unterschiedlichen Häusern untergebracht sind (zum Beispiel Kühlung oder Notstromversorgung). Ein Kernkraftwerk kann jederzeit abgeschaltet werden. Außerdem unterliegen Kernkraftwerke während des gesamten Betriebs und nach Stilllegung einer ständigen Kontrolle.
Dennoch hat sich auch die CDU Ende des vergangenen Jahres für den Ausstieg aus der Kernkraft ausgesprochen. Die Kernenergie soll in der Perspektive durch erneuerbare Energie ersetzt werden. Doch ist dies mit erheblichen Investitionen verbunden. Bis die regenerative Energie die Kernenergie verlässlich und zu vertretbaren Kosten ersetzen kann, wird sie als Brückentechnologie noch benötigt. Die Frage ist nur, wie lang die Brücke sein soll. Es ist legitim, dass man, wenn eine neue Situation eintritt, die man zuvor nicht für möglich gehalten hat, seine Meinung überdenkt undverantwortungsvoll handelt. Die Frage nach der Verantwortbarkeit der Kerntechnik stellt sich neu.
Nun geht es nicht um ein entweder oder zwischen den bisherigen Ausstiegsszenarien, sondern um eine grundlegende Neubewertung unseres Umgangs mit der Kerntechnik. Das von der Bundesregierung beschlossene und von der Landesregierung unterstützte Moratorium und die Abschaltung der sieben ältesten deutschen Kernkraftwerke sind richtig.
Selbst wenn man an dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss festgehalten hätte, so hätte dies bedeutet, dass die Kernkraftwerke bis 2020 weiterlaufen. Das Moratorium ist daher eine deutliche Verbesserung und ein Mehr zu dem, was rot-grün seinerzeit beschlossen hat. Denn alle Kernkraftwerke werden einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Neckarwestheim I wurde dauerhaft abgeschaltet. Philippsburg I geht für die Dauer des Moratoriums von drei Monaten vorerst vom Netz.
Eine von der baden-württembergischen Landesregierung eingesetzte Expertenkommission prüft, welche Konsequenzen sich aus dem Unglück in Japan für unser Land ergeben. Alle denkbaren Möglichkeiten werden ergebnisoffen geprüft. Kernkraftwerke, die nicht den neuen, höheren Sicherheitsansprüchen genügen, werden sofort abgeschaltet. Unser oberstes Gebot ist die Sicherheit!
Für die CDU ist klar: Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien. Wir verzichten so rasch wie möglich auf Kernkraftwerke. Dazu werden wir in der nächsten Legislaturperiode ein umfassendes Konzept entwickeln. Der Umstieg auf regenerative Energieformen wird als Reaktion auf die Ereignisse in Japan schneller vollzogen. Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Peter Hauk fordert, dass die Brennelementesteuer in Höhe von ungefähr 2,3 Milliarden Euro pro Jahr nicht im allgemeinen Bundeshaushalt eingestellt wird, sondern zielorientiert für den Ausbau der Erneuerbaren Energien verwendet wird. Dazu sollen mindestens 100 Millionen Euro aus den verfügbaren jährlichen Überschüssen der EnBW dazu genutzt werden, in Baden-Württemberg das Ausbautempo der Erneuerbaren Energien noch weiter zu beschleunigen.
Doch der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der dazu notwendigen Infrastruktur gelingt nur, wenn alle mitmachen. Wer für Erneuerbare Energien ist, darf sich nicht gegen neue Speicherkraftwerke empören, gegen Biomasse-Kraftwerke, oder gegen Stromtrassen sein, die den Strom von Windparks an den Küsten nach Baden-Württemberg bringen. Kurzfristig werden wir aller Voraussicht nach unseren Bedarf – um nicht von Stromimporten aus dem Ausland abhängig zu sein – dadurch decken müssen, dass wir neue Gaskraftwerke bauen und/oder die Leistung der Kohlekraftwerke hochfahren werden – mit allen damit zusammenhängenden negativen Folgen für die Umwelt durch die höher CO2-Belastung.
Nach einer Studie des BDI würden sich bei einem Festhalten am Atomausstieg die Großhandelspreise verdoppeln. Dies würde erhebliche Belastungen für Unternehmen und private Verbraucher nach sich ziehen. Dies darf nicht verschwiegen werden.
Ein deutscher Alleingang sorgt nicht für ausreichende Sicherheit. Um uns herum stehen viele Atomkraftwerke. So verfügt beispielsweise Frankreich seit 1956 über Kernenergie und hat insgesamt 58 Reaktoren. Einer ist noch in Planung. Letzte Woche noch hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vor Mitgliedern der Regierungspartei UMP erklärt, ein Atomausstieg stehe in Frankreich „eindeutig nicht zur Diskussion“. Frankreich sei das Land, in dem die Nukleartechnologie „die sicherste sei.“ Etwa 80 Prozent der französischen Stromversorgung wird durch Atomwerke abgedeckt. Auch Tschechien lässt sich – einem Bericht der Welt online zufolge - durch die Nachrichten aus Japan bislang nicht beeindrucken. Hochrangige Atomexperten des Landes bemühen sich, jeden Zweifel an der Sicherheit der eigenen Meiler in Temelin und Dukovany zu zerstreuen. Die Chefin der staatlichen Atomsicherheitsbehörde, Dana Drabova, räumte zwar ein, dass die tschechischen AKW aus seismischer Sicht nicht so stabil sind wie die japanischen Meiler. Tschechien sei aber auch nicht von Erdbeben gefährdet. In den Zeitungskommentaren stellt man der „japanischen Gelassenheit“ die „hektische Aktivität“ der Deutschen entgegen.
Insoweit bringt uns nur eine europaweite oder gar internationale einheitliche Lösung weiter. Ich hoffe, dass innerhalb ganz Europas die Kernkraft neu überdacht wird.
Zu Ihrer Frage nach dem Endlager: Dem Land ist Entsorgungssicherheit wichtig. Diese kann durch Schacht Konrad und den Salzstock Gorleben gewährleistet werden.
Unabhängig davon, ob man für oder gegen die Nutzung von Kernenergie oder für oder gegen eine Laufzeitverlängerung ist, müssen die beim Betrieb von Kernkraftwerken angefallenen und in Zukunft anfallenden radioaktiven Abfälle so lange sicher gelagert werden bis keine Gefahr mehr für Mensch und Umwelt mehr von ihnen ausgeht.
Die weniger strahlenden, also schwach- und mittelradioaktiven Abfälle machen die größte Menge (ca. 90 Prozent) aus. Für die Endlagerung dieser Abfälle steht ein altes Eisenerzbergwerk, der Schacht Konrad, in der Nähe von Salzgitter in Niedersachsen zur Verfügung. Nach aktuellen Planungen soll dieses Endlager Ende 2014 in Betrieb genommen werden. Der bisher angefallene schwach- und mittelradioaktive Abfall wird im Augenblick an den Kernkraftwerksstandorten, bei Konditionieranlagen, zentralen Zwischenlagern, Landessammelstellen und Forschungszentren zwischengelagert.
Die restlichen 10 Prozent der radioaktiven Abfälle setzen sich im Wesentlichen aus abgebrannten Brennelementen und hochradioaktiven Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung der abgebrannten Brennelemente im Ausland zusammen. Diese Abfälle müssen nach Expertenmeinung tief unter der Erde endgelagert werden. International werden dafür Salzstöcke, in Deutschland der Salzstock Gorleben in Niedersachsen, als geeignet angesehen. Die damalige rot-grüne Bundesregierung verhängte jedoch im Oktober 2000 ein Moratorium für die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben. Verantwortliche Umwelt- und Energiepolitik sieht anders aus.
Abschließend möchte ich noch sagen: Die beste Energie ist immer noch die, die gar nicht benötigt wird. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein und entsprechend handeln.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Kößler MdL