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Joachim Herrmann
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Frage von Joel H. •

Werter Hr Herrmann. Ist eine Impfpflicht, ein Eingriff in verfassungsgemäße Grundrechte, trotz Evidenz milderer Verläufe von Omicron und fehlender Wirksamkeit der Impfung trotzdem gerechtfertigt?

Ihre Parteikollegen Söder und Holletschenk haben sich vor ein paar Tagen dahingehend geäussert, dass eine Impfpflicht wichtig seie, um endlich fortschrittlichen Ländern wie Israel nicht hinterherzuhinken. Israel ist aber Berichten zu Folge gerade dabei zu erleben, dass die Impfung, auch die Boosterung, 1. gar nicht relevant vor Omicron schützt und 2. kaum mehr schwere Verläufe registriert werden. Siehe folgende Berichte der Times of Israel als Beispiel:
https://www.timesofisrael.com/us-experts-say-israels-forever-boosting-strategy-not-effective-in-long-run/
und
https://www.timesofisrael.com/health-officials-believe-2-3-million-israelis-will-get-omicron-tv/

Zudem, auch deutsche Virologen wie Hr. Stöhr argumentieren gegen die Notwendigkeit und Rechtfertigung einer Impflicht, siehe hier im Merkur:
https://www.merkur.de/welt/corona-omikron-experte-virologe-stoehr-inkubationszeit-infektion-aktuell-news-zr-91217431.html?itm_source=story_detail&itm_medium=interaction_bar&itm_campagin=share

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Sehr geehrter Herr H.,

vielen Dank für Ihre Nachricht vom 8. Januar 2022, in welcher Sie auf die Frage nach einer Rechtfertigung für eine Impfpflicht vor dem Hintergrund der Virusvariante Omikron eingehen.

In Abstimmung mit dem Staatsministerium für Gesundheit und Pflege kann ich Ihnen Nachfolgendes mitteilen: Die Einführung einer Impfpflicht gegen COVID-19 stellt einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz oder in das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz dar. Diese Grundrechte können seitens des Staates beschränkt werden, soweit hierfür Rechtsfertigungsgründe bestehen. Zu nennen ist hierbei insbesondere der Schutz von Leben und Gesundheit, wie es auch und gerade der Schutz vor Seuchen und ansteckenden Krankheiten zum Gegenstand hat. Im Rahmen der dabei erforderlichen Abwägung sind dann jeweils alle Umstände zu berücksichtigen und in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

In diesen Ausgleich einzustellen sind etwa die von dem Coronavirus SARS-CoV-2 ausgehenden Gesundheitsgefahren einerseits, die möglichen Impfreaktionen andererseits, aber auch andere in Betracht kommende, ggf. weniger stark eingreifende aber ebenso wirksame Maßnahmen der Pandemiebekämpfung. Eine Impfpflicht kommt also nur in Betracht, sofern sie nach umfassender Abwägung aller relevanten Umstände geeignet, erforderlich und angemessen erscheint, um die Gefahren einer pandemischen Lage wirksam zu begrenzen und es kein milderes Mittel gibt. Die Einführung einer Impfpflicht kann also nie das erste Mittel, sondern nur ultima ratio sein.

Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt als sehr hoch ein. Ursächlich ist insbesondere das Auftreten und die rasante Verbreitung der neuartigen Virusvariante Omikron (B.1.1.529), die sich nach derzeitigem Kenntnisstand deutlich schneller und effektiver verbreitet als die bisherigen Virusvarianten. Laut Ständiger Impfkommission (STIKO) deuteten erste Analysen aus dem Vereinigten Königreich auf eine im Vergleich zur Delta-Variante höhere Übertragbarkeit sowie auf ein erhöhtes Risiko für eine Reinfektion hin.

Zur Schwere der Krankheitsverläufe können aktuell noch keine zuverlässigen Aussagen getroffen werden. Die höhere Übertragbarkeit begünstigt jedenfalls eine schlagartige Erhöhung der Infektionsfälle – wie sie auch aktuell bereits in Deutschland zu beobachten ist – und in der Folge kann es zu einer schnellen Überlastung des Gesundheitssystems und ggf. weiterer Versorgungsbereiche kommen. Die Infektionsgefährdung wird für die Gruppe der Ungeimpften als sehr hoch, für die Gruppen der Genesen und Geimpften mit Grundimmunisierung (zweimalige Impfung) als hoch und für die Gruppe der Geimpften mit Auffrischungsimpfung (dreimalige Impfung) als moderat eingeschätzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen trotz Impfung mittels PCR-Test positiv getestet werden und das Virus übertragen, ist jedenfalls bei Vorherrschen der Infektion mit der Delta-Variante deutlich vermindert. Darüber hinaus ist die Virusausscheidung bei Personen, die trotz Impfung eine SARS-CoV-2-Infektion durchlaufen, kürzer als bei ungeimpften infizierten Personen.

Laut RKI bieten die COVID-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) sowie der Vektor-Impfstoff Vaxzevria (AstraZeneca) eine hohe Wirksamkeit von etwa 90 % gegen eine schwere COVID-19-Erkrankung (z. B. Behandlung im Krankenhaus) und eine Wirksamkeit von etwa 75 % gegen eine symptomatische SARS-CoV-2-Infektion mit der Delta-Variante. In Bezug auf die Impfstoffwirksamkeit gegen die Omikron-Variante liegen erste Ergebnisse aus epidemiologischen Studien vor. Die Studienergebnisse zeigen, dass die Wirksamkeit der Grundimmunisierung gegenüber symptomatischer Erkrankung durch die Omikron-Variante mit der Zeit zwar deutlich nachlässt und im Vergleich zur Wirksamkeit gegenüber der Delta-Variante deutlich geringer ist. Die Studiendaten zeigen jedoch auch, dass ein guter Schutz gegenüber der Omikron-Variante durch eine Auffrischungsimpfung erzielt werden kann. Laut STIKO ist es daher das Ziel, die Auffrischungsimpfkampagne zu intensivieren, um letztlich schwere Verläufe von COVID-19 zu verhindern und die Transmission der sich ausbreitenden Omikron-Variante zu vermindern.

Nach Einschätzung der Experten werden regelmäßige Testungen, die Einhaltung von Hygienekonzepten und die Beachtung der AHA-Regeln allein nicht ausreichen, um die Corona-Pandemie nachhaltig zu bewältigen, ohne dass wir uns immer wieder in kurzen Abständen neuen Ansteckungs- und Erkrankungswellen gegenübersehen. Dies wird nur mit einer hohen Impfquote gelingen. Für die Senkung der Neuinfektionen, den Schutz der Risikogruppen und die Minimierung von schweren Erkrankungen ist die Impfung der Bevölkerung gegen COVID-19 auch und gerade mit Blick auf die Omikron-Variante von zentraler Bedeutung. Denn der Großteil der Neuinfektionen wird nach wie vor durch fehlenden Impfschutz verursacht, obwohl ungeimpfte Personen nur noch rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen. 

Um das Ziel einer ausreichend hohen Impfquote zu erreichen, werden wir auch weiterhin auf Aufklärung und Überzeugung setzen, um die Menschen auf diese Weise zu motivieren, sich impfen zu lassen. Ob es unter Berücksichtigung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz verhältnismäßig und geboten ist, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen, falls sich die Impfquote nicht sehr bald deutlich verbessern sollte, muss in den nächsten Wochen sorgfältig abgewogen werden.

Ich danke Ihnen erneut für Ihre Anfrage und wünsche Ihnen alles Gute.

Bleiben Sie gesund.

Mit freundlichen Grüßen

Joachim Herrmann, MdL

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