Frage an Jo Leinen von Jörg S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Leinen,
warum haben Sie der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zugestimmt?
Ich glaube, wie das Gesetz zum "Großen Lauschangriff" ist auch dieses Gesetz nicht mit unserer Verfassung vereinbar.
Findet dadurch nicht so etwas wie ein Paradigmenwechsel in der Bundesrepublik Deutschland statt? (Ich gebrauche ausdrücklich "Bundesrepublik Deutschland", weil wir als Land so etwas ähnliches in der DDR ja schon mal hatten...)
Sehen Sie durch die Vorratsdatenspeicherung nicht alle Bürger unter einen Generalverdacht gestellt? Wie stehen Sie persönlich dazu? Stehen Sie zu diesem Abstimmungsverhalten oder ist es das Ergebnis eines Fraktionszwangs bei Ihnen?
Ich habe mich der Sammelklage gegen dieses nationale Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen.
Mit freundlichen Grüßen
J.Stöckel
Sehr geehrter Herr Stöckel,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Ich möchte auf diese wichtige Frage gerne antworten, auch wenn sie nicht direkt in meinen parlamentarischen Arbeitsbereich fällt.
Die Speicherung von persönlichen Kommunikationsdaten ist ein sensibles Thema, das wir eingehend im Europäischen Parlament beraten haben. Die Verabschiedung der Richtlinie halte ich aus verschiedenen Gründen nach wie vor für richtig.
Ich bin der Überzeugung, dass mit diesem Instrument die Strafverfolgungsbehörden in die Lage versetzt werden, bei schweren Straftaten international agierende Täter zu ermitteln und so für mehr Sicherheit zu sorgen. Die Speicherung von Kommunikationsdaten war bereits gängige Praxis in Europa und bedurfte einer einheitlichen Regelung, die auch die gleichen Standards beim Datenschutz und der Datensicherheit gewährleistet. Einen Paradigmenwechsel kann ich insofern nicht erkennen, da zu geschäftlichen Zwecken die Telekommunikationsunternehmen in Deutschland Daten auch bereits für bis zu sechs Monate gespeichert haben (für Abrechnungszwecke siehe § 97 Abs. 3 Satz 3 Telekommunikationsgesetz, TKG).
Wir konnten durchsetzen, dass nur Verkehrsdaten gespeichert werden, aber keine Kommunikationsinhalte. Verkehrsdaten sind Daten aus denen sich ergibt, von welchem Anschluss aus zu welchem Anschluss hin wann und wie lange telekommuniziert wurde, also die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen. Für das Internet werden die IP-Adresse und die Anschlusskennung gespeichert, nicht aber welche Internetseiten aufgerufen wurden. Im Mobilfunkbereich wird die Ortung zu Beginn des Gesprächs registriert, aber keine weitergehenden Daten, die für ein Bewegungsprofil genutzt werden können. Nochmal: es werden keine Inhalte gespeichert und keine Daten, die Benutzerprofile ermöglichen.
Die Verwendung dieser Daten ist Polizei und Justiz nur dann erlaubt, wenn ein richterlicher Beschluss z.B. wegen des Verdachts auf Menschenhandel oder terroristische Straftaten dazu ermächtigt. Das Schutzniveau für die Datensicherheit ist sehr hoch und führt keinesfalls zu einem „Großen Lauschangriff“ wie sie eingangs erwähnt haben.
Mir wäre es lieber, wir würden in einer Zeit leben, in der man in der Strafverfolgung auf solche Methoden verzichten könnte. Die Realität sieht leider anders aus.
Mit freundlichen Grüßen,
Jo Leinen