Frage an Jens Pühse von Jens K. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Pühse,
in Ihrer Antwort zum Thema Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, kann man klar erkennen, wie sie alles verallgemeinern. Ich frage mich woher nehmen Sie Ihre Erkenntnisse ?
Können Sie alle Ihre Aussagen beweisen ? Wenn ja, dann hätte ich gerne die Quellen.
Ansonsten verbitte ich mir jede unqualifizierte Aussage im Bezug auf die Bundeswehr. Als Kandidat für den Bundestag müssten gerade Sie den Einsatz, den die Soldaten leisten respektieren und würdigen. Die Soldaten setzen sich dort mit ihrem Leben für die Afghanische Bevölkerung ein. Damit tragen Sie auch zu unserer Sicherheit bei.
Wollen Sie einem Vater dessen Sohn bei einem Terroranschlag umkommt, erklären das wir etwas hätten ändern können, wenn wir unseren Einsatz in Afghanistan fortgesetzt hätten ?
Die Bundeswehr bleibt und ist eine Parlamentsarmee. Jeder Bürger der zum Wohle unserer Freiheitlich Demokratischen Grundordnung (FDGO) handelt und gerade alle Bundestagsabgeordneten bzw. kandidaten sollten dies verstehen.
Sehr geehrter Herr Köhler,
erst einmal vielen Dank für ihre kritischen Anmerkungen zu meinem Beitrag über die Sicherheitspolitik. Ihre Fragen und Anregungen geben mir die Möglichkeit, hier noch einmal detaillierter auf den von Ihnen bezeichneten Problemkreis einzugehen.
Daß sich seit dem Sturz der Taliban im Jahre 2001 die Lage der Menschen in Afghanistan verschlechtert hat, ist keine Verallgemeinerung meinerseits. Vielmehr sind sich hier die meisten Experten einig. Um Ihnen hier einige Beispiele zu benennen, verweise ich auf eine entsprechende Pressemeldung der Hilfsorganisation „World Vision“ in Deutschland, deren Vorstandsvorsitzender Christoph Waffenschmidt in einem am 10. August 2009 stattgefundenen Fachgespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Bündnis 90 /DIE GRÜNEN, Omid Nouripour, deutlich machte, daß Arbeitslosigkeit, Armut und Korruption große Probleme in Afghanistan sind. In der Pressemeldung, die in verschiedenen Print-Medien veröffentlicht wurde, heißt es weiter: „Waffenschmidt verwies darauf, daß die Lage in Afghanistan seit dem Sturz der Taliban im Oktober 2001 von Jahr zu Jahr schwieriger werde. Das zeige, daß die sogenannten „Provincial Reconstruction Teams“ (PRT), die der NATO unterstellt sind, den zivilen Wiederaufbau im Land nicht gewährleisten könnten. „Der Wiederaufbau in Afghanistan muß von erfahrenen Nichtregierungsorganisationen übernommen werden und nicht von militärischen Organisationen mit angeblich entwicklungsorientiertem Auftrag.“ Jahr für Jahr, stellt Waffenschmidt weiter fest, hat sich die Lage der Menschen seit 2001 verschlechtert. Afghanistan ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. 54 Prozent der afghanischen Kinder sind chronisch unterernährt und viele Kinder sterben vor Erreichen des fünften Lebensjahrs. Viele Schwangere und junge Mütter sterben vor, während oder kurz nach der Geburt. World Vision arbeitet seit 2001 in Afghanistan und ist in der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit unter anderem im Bildungs- und Gesundheitsbereich tätig. Ich möchte dieser Organisation ausdrücklich an dieser Stelle zugestehen, daß sie sich mit der Lage im Land auskennt.
Sollte Ihnen dieser Beleg nicht reichen, so verweise ich weiterhin auf eine unverdächtigere Publikation, die in großen Teilen die Lage in Afghanistan ebenso wie World Vision beurteilt. Da es sich bei dem Herausgeber der hier von mir angesprochenen Publikation um die SPD-Bundestagsfraktion handelt, wird selbstverständlich eine andere politische Bewertung der Umstände vorgenommen. Bei der Publikation handelt es sich um den Bericht und Fortschrittsbericht „Afghanistan 2009“. Diesen Bericht können sie bei Interesse sicherlich bei der genannten Bundestagsfraktion anfordern.
Verfolgt man weiterhin die Berichterstattung über die Lage in Afghanistan in den letzten Monaten, dann wird doch auch hier deutlich, daß sich dort etwas zusammenbraut, dessen Ausmaß wir an dieser Stelle noch nicht vorhersehen können.
Ich sage deshalb noch einmal deutlich, daß aus meiner Sicht die NATO-Strategie in Afghanistan gescheitert ist und die Bundeswehr deshalb aus Afghanistan abgezogen werden muß. Die Aufbauarbeit in Afghanistan ist nun Aufgabe von erfahrenen Entwicklungshelfern und nicht von militärischen Organisationen mit angeblich entwicklungsorientiertem Auftrag (PRT-Teams, Provincial Reconstruction Teams).
Vielleicht ist es an dieser Stelle auch sehr hilfreich, wenn man sich einmal die „Erfolge“ der NATO-Strategie und der militärischen Präsenz vor Augen führt. Es gibt keine NATO-Kontrolle über Afghanistan, weder im umkämpften Süden und Osten noch im relativ ruhigen Norden, wo die Bundeswehr ihre Schutzburgen ausgebaut hat. Von den Soldaten, die dort gewissenhaft ihren Dienst versehen, existiert in der Heimat meist ein falsches Bild. Diese mit Logistik und Versorgungseinrichtungen überfrachtete Truppe, die sogar ihre gesamte Verpflegung aus Deutschland einfliegen läßt, als ob es in Afghanistan kein vorzügliches Hammel- oder Rindfleisch sowie herrliche Früchte gäbe, sind in ihren jeweiligen Basen regelrecht eingesperrt. Geradezu privilegiert sind die mobilen Einheiten, die in einem sich ständig reduzierenden Umkreis Patrouillen durchführen (obwohl das in den letzten Monaten natürlich auch entsprechend gefährlicher geworden ist). Für die übrigen Mannschaften gibt es keinen einzigen Ausflug. Zu Beginn ihrer Dienstzeit werden sie am Flugplatz abgesetzt und im gepanzerten Mannschaftswagen mit geschlossenen Luken zum nahen Camp gefahren. Dann folgen mehrere Monate eintönige Isolierung. Das kann doch nicht Sinn und Zweck des Einsatzes sein?
Die deutsche Öffentlichkeit unterliegt einer permanenten Desinformation. Das Attentat vom 11.09. 2001 war das Werk saudi-arabischer Studenten und nicht afghanischer Freischärler. Ebensowenig ist die Al Kaida eine afghanische, sondern eine saudische Organisation. Finanziert wird sie - so berichteten damals verschiedene US-Medien - zu einem wesentlichen Teil durch den Trust „Dar - el - Maal el Islami“ des hoch angesehenen Prinzen Mohammed el Faisal und seinesgleichen. Vergessen wir nicht, daß Osama bin Laden seine „grüne Fremdenlegion“ in enger Zusammenarbeit mit der CIA rekrutierte, um sie gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans einzusetzen. Sogar an der Aufstellung der Taliban des Mullah Omar waren amerikanische und pakistanische Geheimdienstler maßgeblich beteiligt. Die Geister, die damals gerufen wurden, ist man dann einfach nicht mehr losgeworden.
Afghanistan ist und bleibt aber ein problematischer Krisenherd. Jedwede Versuche, Kriege in Afghanistan zu gewinnen, sind bisher gescheitert. Ob die Briten 1840 oder die damalige Sowjetunion in jüngerer Geschichte - alle haben sich an Afghanistan die Zähne ausgebissen.
Ich befürchte, daß auch die NATO letztlich Afghanistan wieder unverrichteter Dinge wird räumen müssen. Wird es dann zu Chaos, zum Stammeskrieg, vielleicht sogar zur Aufspaltung kommen? Mit der jetzigen Strategie kann an diesem Zustand nichts verändert werden.
Ich respektiere sehr wohl die Leistungen, die unsere Soldaten in Afghanistan vollbringen. Ich lehne es aber ebenso ab, daß ihr Idealismus und ihre Opferbereitschaft für ein sinnloses und falsches Unterfangen mißbraucht wird. Gerade weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, sehe die Aufgabe eines Parlamentariers vor allem auch darin, hier verantwortungsbewußte Entscheidungen zu fällen. Sollte ich am kommenden Sonntag in den Bundestag gewählt werden, kann ich mich eben später nicht hinter der Regierung verstecken, wenn die Afghanistan-Strategie gescheitert ist. Als Parlamentarier trage ich dann einen Teil der Verantwortung mit. Dieser Verantwortung werde ich mich dann auch stellen und ebenso konsequent gegen die jetzige NATO-Strategie stimmen. Ich möchte nicht, daß deutsche Soldaten für US-amerikanische Interessen regelrecht verheizt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Pühse