Jens Peter Seipenbusch
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Frage von Marlin F. •

Frage an Jens Peter Seipenbusch von Marlin F. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Mit großer Sorge beobachte ich, wie der Lobbyismus der Unterhaltungsindustrie das Urheberrecht immer weiter missbraucht. Eine Verlängerung der Schutzfristen von Tonaufnahmen von 50 auf 70 Jahre wurde vor wenigen Tagen im EU-Parlament beschlossen, die Kommission wollte sogar 95 Jahre haben.

Dies halte ich für eine Enteignung am Volk. Die Musikfirmen und Künstler wussten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung genau, auf welche Schutzfristen sie sich einlassen. Dem Volk wurde hier einmal ein Recht zugesprochen: nach 50 Jahren werden diese Aufnahmen gemeinfrei. Dieses Recht wurde dem Volk nun einfach entrissen!

Ich kritisiere scharf, dass insbesondere das EU-Parlament keine Vertretung der Bürger der EU zu sein scheint. Es ist ja offensichtlich, wie die Entscheidung im Falle einer direkten Demokratie ausgesehen hätte. Entsprechend ist festzustellen, dass die Entscheidung des EU-Parlaments nicht die Interessen derjenigen vertreten hat, die es gewählt haben.

Wieso kommt niemand mal auf die Idee zu sagen: hey Leute, ihr habt damit 50 Jahre lang Geld verdient, wenn ihr jetzt noch darauf angewiesen seid, seid ihr selbst Schuld!

Da verwundert es nicht, dass ein Großteil das geltende Recht nicht akzeptiert und stattdessen eben illegal kopiert. Der Grund für die Akzeptanz von illegalen Kopien ist somit auch als ein Widerstand gegen die Repression zu verstehen, der die Bürger ausgesetzt sind. Oder würden Sie noch eine Industrie finanziell unterstützen, der Sie gerade eben erst über das EU-Parlament enteignet hat?

Warum entscheidet das EU-Parlament also dermaßen gegen die Interessen des Volkes? Und warum werden private Kopien, die es schon immer gegeben hat und auch immer geben wird, fortlaufend kriminalisiert? Warum wählt überhaupt das Volk noch das EU-Parlament, wenn es sich offensichtlich gegen dessen Interessen einsetzt? Wie soll man so noch an die Demokratie glauben?

Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrter Herr Frickenschmidt,

Aus Ihrer Frage lese ich einen berechtigten Ärger über die gesetzgeberische Entwicklung auf dem Gebiet des Urheberrechts und über die Machtstrukturen der EU und deren Entscheidungen insgesamt heraus. Sie sprechen mir damit aus der Seele. Genau aus solchem Frust und der Sorge um das Abdriften in eine Überwachungsgesellschaft heraus habe ich mich Ende 2006 dazu durchgerungen, meinen Teil zur Veränderung dieser unhaltbaren Zustände beizutragen und mich politisch mit der Piratenpartei in die Politik einzubringen.

Die Entwicklung beim Urheberrecht folgt einem Schema, das auch auf anderen Gebieten beobachtbar ist. Symptomatisch dafür ist der Spruch der CDU in NRW: "Privat vor Staat" - der aber gelebt wird als "Private Profite vor Gemeinwohl", natürlich ohne dieses Motto auf die Verluste anzuwenden, die werden weiter kommunalisiert. Das Urheberrecht ist ein komplexes Thema und ist von jeher geprägt von dem Versuch des Ausgleichs zwischen den Schaffenden und der Gemeinschaft. Die heutige Marktdominanz von großen Rechteverwertungskonzernen führt zu einer Einseitigkeit, die auf viele heutige Politiker unreflektiert durchschlägt, da die Interessen der Gemeinschaft offenbar von diesen nicht mehr selbst vertreten werden, sei es aus Unwissen, sei es aus Kalkül oder sogar Eigennutz. Dies ist umso ärgerlicher als momentan die Weichen für die Verteilung des Wohlstandes in der Informationsgesellschaft gestellt werden und da sieht es für das Gemeinwohl bisher düster aus, ganz zu schweigen von der unverhältnismäßigen Betonung rein materialistischer Aspekte. Wir PIRATEN haben uns nicht nur beim Urheberrecht und bei Patenten die Interessen der Gemeinschaft auf die Fahnen geschrieben.

Bei der EU liegen m.E. zwei fundamentale Probleme vor. Zum einen ist die jetzige Konstruktion undemokratisch. Das Parlament ist kein echtes Parlament, der Rat hat zuviel Macht - man stelle sich analog vor, Deutschland werde vom Bundesrat regiert und die Bundestagswahl wäre eine weitgehend folgenlose Veranstaltung. Zum zweiten ist Brüssel sowohl räumlich als auch strukturell enorm weit weg von den Bürgern und das läßt sich auch mit noch so teuren Marketingkampagnen nicht ändern. Daher werden dort fröhlich Entscheidungen gefällt, die oft Kopfschütteln provozieren. Die Piratenpartei fordert u.a., dass die Zuständigkeiten der EU drastisch reduziert werden, damit nicht soviel wie möglich sondern so wenig wie möglich in Brüssel entschieden wird - das ist Subsidiarität. Die sog. Harmonisierung ist tatsächlich meistens eine Gleichmacherei, die gesamte EU hat einen furchtbar technokratischen Ansatz. Der einzig gangbare Weg, dies zu ändern, ist sich langfristig politisch zu engagieren und andere davon zu überzeugen mit ihrer Stimme einen Unterschied zu machen. Demokratie ist nicht die optimale Lösung, sie ist aber die am wenigsten schlechte. Insofern muss man nicht an Demokratie glauben, man muss nur mitmachen.

Mit freundlichen Grüßen,

Jens Seipenbusch