Frage an Jens Kerstan von Sofia S. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Kerstan,
ich habe eine Frage bezüglich der Bildungspolitik. Es freut mich, in ihrem Wahlprogramm lesen zu können, dass die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften stärker gefördert werden sollen und die Universitäten modernisiert werden sollen, denn das ist bei der Ausstattung der Bibliotheken und den Bedingungen in so manchen Vorlesungen und Seminaren dringend notwendig. Nun frage ich mich, wie Sie ein gutes Bildungsprogramm finanziell umsetzten wollen, wenn sowohl das Erststudium für alle gebührenfrei bleiben soll und sogar alle Studierenden unabhängig vom Einkommen der Eltern Bafög beziehen dürfen. Ist es nicht wie bisher gerechter, die Studierenden, deren Eltern es sich nicht leisten können, ein Vollstudium zu finanzieren, mit Bafög zu helfen, während man denjenigen, deren Eltern das Studium bezahlen können, viel mehr damit hilft, indem man das eingesparte Geld in Lehrmittel und Verbesserung der Lehrqualität und der Räumlichkeiten investiert? Welche konkreten Maßnahmen stellt sich Ihre Partei vor, die Situation an den Universitäten zu verbessern?
Und zum Abschluss noch eine Frage zur Wirtschaft: Wie möchte Ihre Partei Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit, zwei sehr wichtige Anliegen einer Politik, unter einen Hut bringen?
Ich habe gesehen, dass Sie zwar wenige Fragen beantwortet haben, diese aber dafür sehr persönlich und ausführlich. Ich hoffe von Ihnen Antwort zu erhalten.
Herzlichen Dank und mit freundlichen Grüßen
Ihre Sofia Shaw
Liebe Sofia Shaw,
vielen Dank für ihre Fragen.
Ich beantworte allerdings nicht nur wenige sondern alle Fragen die an mich gestellt werden. Aber in der heißen Phase des Wahlkampfes bin ich sehr viel auf der Straße und bei Veranstaltungen unterwegs, so dass nicht viel Zeit für Arbeit am Computer bleibt. Verzögerungen bei der Beantwortung von Fragen lassen sich dadurch leider nicht vermeiden.
Zuerst zu Bildungspolitik:
An die Hochschule gehört aus unserer Sicht, wer die Begabung und das Interesse dafür hat. Das soll nicht von der Geldbörse der Eltern abhängig sein. Wir wollen keine Studiengebühren für das Erststudium bis zum Diplom, Magister, Master oder einem anderen Grad. Bei der Finanzierung setzen wir uns für ein elternunabhängiges Modell ein, denn für uns sind Studentinnen und Studenten eigenständige Erwachsene, die nicht länger über die Finanzen ihrer Eltern definiert werden sollten. Wir haben den Kreis der Geförderten erhöht und den Darlehensanteil auf 10.000 Euro erhöht. Die 17. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks hat gezeigt, wo die Schwachen des momentanen Fördersystems liegen: vor allem beim Mittelstand. Während die Bildungsbeteiligung derjenigen, die aus einer niedrigen sozialen Herkunftsgruppe kommen, zwischen 1996 und 2000 immerhin von 8 auf 11 % gestiegen ist, ist der Anteil derjenigen aus der mittleren sozialen Herkunftsgruppe von 49 auf 29% gesunken. Die Mittelschicht war die Einzige soziale Gruppe deren Beteiligung gesunken ist, denn auch die die hohen sozialen Herkunftsgruppen haben ihre Beteiligungsraten gesteigert.
Es müssen bessere Studienbedingungen und ausreichend Studienplätze geschaffen werden. Über einen fairen Wettbewerb - Studierende sollen sich ihre Uni aussuchen, aber auch die Unis sich ihre Studierenden - wollen wir mehr Effizienz und Transparenz in die Hochschulen tragen. Eine Möglichkeit, das Studium elternunabhängig und für alle gleichermaßen zugänglich zu machen, sind intelligente Modelle der Hochschulfinanzierung. Gleichzeitig bedeutet die Entscheidung für eine Universität und ein bestimmtes Studium, dass die Studierenden öffentliche Mittel bewegen, sei es durch Studienkonten oder Gutscheine. Damit werden auch Anreize für eine gute Forschung und Lehre gegeben. Den Bedürfnissen der Studenten wird so mehr Gewicht verliehen.
Grundsätzlich muss mehr Geld in die Hochschulen investiert werden. Die dafür notwendigen Mittel wollen wir konkret durch Streichung nicht mehr zeitgemäßer oder umweltschädlicher Subventionen wie der Eigenheimzulage und der Pendlerpauschale freimachen.
Zur Verbindung "Wirtschaftlichkeit" und "Nachhaltigkeit":
Ökologie und Ökonomie sind nicht zwangsläufig Gegensätze wie konservative und liberale Kreise meinen. Es ist sehr wohl möglich die Lebensgrundlagen der heutigen und aller zukünftigen Generationen sicherzustellen und gleichzeitig durch Innovationen zukunftsfähige Jobs zu schaffen. Zum einen sind Umweltschutz und andere grüne Innovationsfelder selber bedeutende Wirtschafts- und Arbeitsplatzfaktoren geworden. Sie tragen auch zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft bei, denn die Nachfrage nach neuen Technologien im Bereich "Energie" oder auch Verfahren zum Einsparen von Material, Ressourcen oder Emissionen aus Deutschland steigen. Ökologische Steuerreform, Atomausstieg, Klimaschutzprogramm, Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Altbausanierung, Marktanreizprogramm für Erneuerbare Energien, Emissionshandel etc.: Alle diese Maßnahmen hat die Rot-Grüne Regierung in den letzten Jahren auf den Weg gebracht. Alle diese Maßnahmen schützen die Umwelt und sorgen für mehr Schwung in der Wirtschaft. Ein weiterer positiver, "nachhaltiger" Faktor ist, dass Umweltschutz nicht nur die direkten betrieblichen Kosten verringern kann. Er verhindert auch die Entstehung von volkswirtschaftlichen Schäden und dient der Vermeidung schwer kalkulierbarer unternehmerischer Risiken. Eine belastete Umwelt ist für viele Krankheiten verantwortlich und verursacht enorme Folgekosten für unser Gesundheitssystem, z.B. durch krebserregenden Dieselruß, krankmachenden Lärm oder Allergie auslösende Chemikalien.
Auch die so genannten "alten Industrien" profitieren, so z.B. die Stahlindustrie, die schon heute mehr Stahl an Windkraftanlagenhersteller verkauft als an die Werften. Aber auch neben klassischer Umweltschutz- und Energietechnologien gibt es in der Wirtschaft Potentiale der ökologischen Modernisierung, die Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit verbindet: Energiesparende Passivhäuser, sparsamere Autos, biologische Lebensmittel, Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen usw. Umweltschutz ist gleichzeitig wichtig für den Arbeitsmarkt: In Deutschland hat er sich in den letzten 2 Jahren mit fast 1,5 Millionen Beschäftigten zu einem bedeutenden Wirtschafts- und Standortfaktor entwickelt. Und die Tendenz ist steigend, z.B. beim Ökotourismus, den umweltorientierten Versicherungsdienstleistungen, dem integrierten produktionstechnischen Umweltschutz oder auch der Nanotechnologie. Besonders dynamisch sind die Erneuerbaren Energien (heute sind hier 130.000 Menschen beschäftigt - mehr als in der Atom- oder Kohleindustrie), der Export von Umwelttechnologie und umweltbezogene Dienstleistungen. Besonders hohe Beschäftigungspotenziale werden für die Zukunft bei der Energieeinsparung, vor allem im Gebäudebestand, und beim Export von Umwelttechnologie gesehen. Umweltschutz ist also eine "Industrie" mit überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten. Letztlich sind die Erneuerbaren Energien und Umwelttechnologie die einzigen neue Industrien in der Deutschland in den letzten Jahren international eine führende Rolle übernommen hat. Die Weichen für morgen werden heute gestellt: Wichtig ist nicht nur, dass es in der nahen Zukunft effiziente Energie, sparsame Autos oder andere, Ressourcen schützende Innovationen gibt, sondern auch, wer sie erforscht und verkauft. Wir kämpfen dafür das von diesem Arbeitsplatzpotential so viele Arbeitsplätze wie möglich in Deutschland entstehen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan