Frage an Jens Kerstan von Dr. Ben J. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Kerstan,
vorab eine Bemerkung: Ich finde die Möglichkeit, dank "kandidatenwatch" Fragen zu stellen, optimal.
Ihre Partei möchte eine Bürgerversicherung einführen. Welche Vorteile soll diese Form der Absicherung gegen den Krankheitsfall gegenüber der herkömmlichen Krankenversicherung haben? Für mich besteht hier die Gefahr, vergleichbar der Renten- und Arbeitslosenversicherung, dass eine weitere Sozialversicherung zum Spielball der Politik werden kann. Ist wenig Geld in der Steuerkasse, dann werden die Ausgaben gekürzt. Die Situation vor allem jüngerer Ärztinnen und Ärzte ist ziemlich perspektivlos. Die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verschlechtern sich zunehmend, die Situation in den niedergelassenen Praxen ist für Jüngere auch nicht mehr gut. Teilen Sie diese Einschätzhung? Sehen Sie die Gefahr, dass wir einen Engpass an Ärzten bekommen? Denken Sie, dass eine Bürgerversicherung wirklich gegen alle Krankheitsrisiken eine optimale Absicherung bietet? Der junge Erstwähler hat die Frage nach dem Generationenvertrag und der Gerechtigkeit zwischen den Generationen gestellt. Ihre Antwort kann ich dort nachlesen. In meiner Familie wird über diese Wahl viel diskutiert, unsere Kinder sind sehr unschlüssig, was und wen sie wählen sollen, auch wenn sie eine Präferenz für Ihre Partei haben. Als langjähriger CDU-Wähler bin ich verunsichert, dass der CDU-Kandidat Fischer gar nicht auf Fragen antwortet, sich also dem Dialog mit dem Souverän entzieht. Hier schließe ich mich der Kritik meiner Kinder an. Doch was ist das Überzeugende Ihrer Partei, was das Argument, einem Wertekonservativen wie mir, eine andere Wahlentscheidung nahezulegen?
Mit freundlichen Grüßen
B. Jaspers
Sehr geehrter Herr Dr. Jaspers,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Auch wir Grünen sind vor allem eine werteorientierte Partei. Dabei gibt es durchaus eine Menge Überschneidungen zu wertkonservativen Überzeugungen. Die Bewahrung der Schöpfung, die Sicherung der Zukunftschancen unserer Kinder und die Sorge für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, aber auch in aller Welt, entsprechen durchaus christlichen oder humanistischen Werten. Wir Grüne haben daneben allerdings auch einen starken Schwerpunkt bei den libertären und Freiheitswerten, wie Selbstbestimmung, Demokratie, Bürger- und Minderheitenrechte. Im Mittelpunkt steht dabei für uns eine lebenswerte und sichere Zukunft für alle zu erreichen. Aus unserer Sicht muss sich zur Realisierung dieser Ziele eine Menge auf dieser Welt ändern, was vielleicht, aber nicht zwangsläufig, mit konservativen Vorstellungen kollidieren kann. Meine Antworten auf die Fragen von Herrn Niclas Rabe können Ihnen für die Bereiche Bildung, Generationengerechtigkeit und Integration ein Bild von unseren Vorstellungen geben.
Aber zu Ihren Befürchtungen bezüglich der Bürgerversicherung, nach denen Sie mich gefragt haben:
Unser Konzept der Bürgerversicherung bricht nicht so radikal mit der solidarischen Krankenversicherung wie das CDU-Konzept der Kopfpauschale. Die Bürgerversicherung tastet das bisherige System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht an. Auch in Zukunft soll ein solidarischer Ausgleich zwischen den Versicherten das "Lebensrisiko Gesundheit" abdecken, ohne dass die Politik direkten Einfluss hat. Die Bürgerversicherung bezieht nur weitere Bevölkerungsgruppen wie Beamte, Selbständige und Privatversicherte in die gesetzliche Versicherung ein, die bisher keinen solidarischen Beitrag zur Absicherung des Krankheitsrisikos leisten. Aus unserer Sicht ist es nicht mehr länger vertretbar, dass gerade Gutverdienende sich aus der Solidarität der gesetzlichen Krankenkasse verabschieden können, indem sie in die Privatversicherung wechseln. Wir wollen, dass alle unabhängig von ihrem Einkommen einen solidarischen Beitrag leisten. Dabei sollen die privaten Versicherungen gar nicht abgeschafft werden. Sie sollen nur - wie die gesetzliche Krankenversicherung - einem Kontrahierungszwang unterliegen und alle aufnehmen müssen. Die Konzentration nur auf die "guten Risiken" wäre dann nicht mehr möglich. Die unterschiedlichen Unternehmen stünden auch weiterhin in einem Wettbewerb um die beste Leistung und den niedrigsten Beitrag. Die Einbeziehung von Einnahmen aus Mieten und Pachten würde darüber hinaus die starke Koppelung an den Lohn abschwächen, was eine Senkung der Lohnnebenkosten ermöglicht, was wiederum neue Jobs schaffen würde.
Bei der Kopfpauschale der CDU würde allerdings genau das passieren, was Sie befürchten: Der Solidarausgleich findet bei der Kopfpauschale nicht mehr innerhalb der Krankenversicherung statt (alle sollen ja den gleichen Beitrag zahlen), sondern Niedrigverdiener erhalten einen Zuschuss aus Steuermitteln. Dafür müssen Steuern erhöht werden, da diese zusätzlichen Ausgaben mit den bestehenden Steuersätzen nicht geleistet werden können. Bei jeder Wahl würde aber dieser steuerfinanzierte Ausgleich zur Debatte stehen. Ob so auf Dauer ein von Wahlergebnissen abhängiger Solidarausgleich sichergestellt werden kann, wage ich sehr zu bezweifeln. Ungerecht ist dieses System auf jeden Fall. Sowohl Chefarzt wie auch Krankenschwester zahlen den gleichen Beitrag. Für Gutverdienende wird dieses System erhebliche finanzielle Entlastungen bringen, während Niedrig- und auch einige Normalverdiener auf einmal auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein werden.
Natürlich ist die Bürgerversicherung nicht die Antwort auf alle Probleme im Gesundheitswesen. Sie stellt nur die Finanzierung sicher. Effizienz und qualitätssteigernde Maßnahmen oder die von Ihnen angesprochene Berufsaussichten von Ärzten im Gesundheitssystem bedürfen weiterer Anstrengungen.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan