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Jens Kerstan
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Niclas R. •

Frage an Jens Kerstan von Niclas R. bezüglich Recht

Hallo Herr Kerstan,
bin jetzt 18 Jahre und wähle zum 1. Mal.
Um mich richtig zu entscheiden, möchte ich von Ihnen wissen, was für Sie die wichtigsten Ziele bei der Bildungspolitik sind?
2. möchte ich wissen, wie Sie und Ihre Partei Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Generationen schaffen wollen?
3. Interessiert mich, wie stellen Sie sich eine gerechte Migrationspolitik vor?
Danke.
Freundliche Grüße
Niclas

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Niclas Rabe,

danke für Ihre Fragen. Sie haben da sehr wichtige, aber auch sehr umfangreiche Themenbereiche angesprochen. Ich will versuchen, nicht zu ausführlich zu antworten. Wenn Sie in einzelnen Bereichen noch genauere Angaben wünschen, fragen Sie gerne noch einmal nach.

Zu 1) Die wichtigsten Ziele der Bildungspolitik: Die solidarische Modernisierung unseres Landes ist ohne gerechte Bildungschancen für alle nicht denkbar. Bildung ist die Basis, auf der jeder Mensch selbständig das Leben gestalten und Verantwortung übernehmen kann - für sich, für die Gesellschaft und für die Umwelt. Bildung ist für uns mehr als die Anhäufung von ökonomisch verwertbarem Wissen, aber gute Bildungspolitik ist immer auch gute Wirtschaftspolitik. Eine Wissensgesellschaft im globalen Wettbewerb kann es sich nicht leisten, Talente und Begabungen unentdeckt zu lassen. Gerade eine schrumpfende und alternde Gesellschaft hat einen steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Jüngeren und gut weiter gebildeten Älteren.
Bildung fängt bei uns nicht erst in der Schule an, sondern beginnt bei der Kinderbetreuung und in der Vorschule. Wir wollen mehr und früher fördern. Dabei müssen wir auch zugunsten der Kleinen umschichten. Deshalb wollen wir mit zusätzlichen Mitteln die pädagogische Qualität verbessern, den Bildungsauftrag der Kita stärken und fordern eine kostenfreie Vorschule für alle.
Wir sind der festen Überzeugung, dass Deutschland eine Schule braucht, die Kinder nicht wie im dreigliedrigen Schulsystem aussortiert, sondern die Kinder und Jugendlichen individuell nach ihren Fähigkeiten fördert. Wir wollen, dass die Jugendlichen länger gemeinsam in einer Schulform lernen und dabei individuell gefördert werden. Nur so kann die Zahl der Abiturientinnen/Abiturienten und Studentinnen/Studenten in Deutschland erhöht werden. Im internationalen Vergleich erwerben in Deutschland viel zu wenige das Abitur oder die Hochschulreife. Das kann sich Deutschland als rohstoffarmes Land nicht erlauben.
Wir wollen das Bafög zu einer elternunabhängigen Unterstützung ausbauen. Das Erststudium bis zum Diplom, Magister, Master oder einem vergleichbaren Grad soll gebührenfrei bleiben. Wir wollen die Hochschulfinanzierung zu einem relevanten Teil an die Nachfrage der Studierenden koppeln, um deren Bedürfnissen mehr Gewicht zu verleihen. Dazu können Gutscheine, Studienkonten oder auch Indikatorenmodelle eingesetzt werden.

Zu 2) Wie wollen wir Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Generationen schaffen: Ein Miteinander der Generationen und gleichberechtigte Lebenschancen für alle sind unser Ziel. Es war ein wichtiges Gründungsmotiv der Grünen, dass heutige Generationen nicht zu Lasten zukünftiger Generationen leben dürfen, indem sie Raubbau an unserer natürlichen Lebensgrundlage betreiben. Umweltschutz und ein schonender Umgang mit den begrenzten Ressourcen der Erde ist die unverzichtbare Voraussetzung nicht nur für das Leben der heutigen, sondern auch für die Zukunftschancen zukünftiger Generationen.

Wir wollen, dass Deutschland eine solide und allen Generationen gerechte Finanzpolitik bekommt. Die öffentlichen Kassen von Bund, Ländern und Kommunen sind leer. Gleichzeitig steht der Staat vor kostenintensiven Aufgaben, ohne die die Zukunft nicht gewonnen werden kann. Wir brauchen mehr Geld für Bildung, um unseren Kindern die besten Voraussetzungen mit auf den Weg geben zu können. Wir brauchen mehr Geld für Kinderbetreuung, um Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Wir brauchen mehr Geld für Investitionen, auch um unsere Schulen und Universitäten in Schuss halten zu können.
Trotzdem muss die Verschuldung begrenzt werden, da es nicht gerecht wäre, wenn allein zukünftige Generationen die Zeche durch Schuldentilgung und Zinsen bezahlen müssen. Deshalb wollen wir u.a. vor allem umweltschädliche Subventionen streichen, wie die Entfernungspauschale und die Kohlebeihilfe abschaffen, eine Steuer auf Kerosin sowie die Mehrwertsteuer für grenzüberschreitende Flüge einführen und ungerechtfertigte Ökosteuer-Ausnahmen für Großverbraucher konsequent reduzieren.

Der zu erwartende demografische und soziale Wandel infolge von niedrigen Geburtenraten und steigender Lebenserwartung stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Er kann nur durch eine gemeinsame Gestaltung durch Jung und Alt gelingen. Der demografische Wandel verlangt auch einen weiteren Umbau der Rentensysteme. Weniger erwerbstätige Menschen müssen mehr Nichterwerbstätige mitfinanzieren. Eine generationengerechte Politik steht vor der Aufgabe, die Kosten hierfür möglichst gerecht zwischen allen Generationen und Einkommensgruppen zu verteilen. In der gesetzlichen Rentenversicherung haben wir durch die Einführung des genannten Nachhaltigkeitsfaktors den Generationenvertrag neu gestaltet und dafür gesorgt, dass zukünftige Generationen nicht überfordert werden. Die gesetzliche Rente wird sich aber grundsätzlich stärker zu einer Basisabsicherung entwickeln müssen. Deshalb werden wir ergänzende private Vorsorge in unterschiedlichen Formen weiter fördern. Wir werden aber auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung zur Mitfinanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme entlassen.

Zu 3) Wie stellen wir uns eine gerechte Migrations-politik vor: Eine gerechte Migrations- und Integrationspolitik ist gegenwärtig eine der größten politischen Herausforderungen in Deutschland. Für uns Grüne hat das Thema eine absolute Priorität.
Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer Vielfalt unterschiedlicher Meinungen und Lebensentwürfe. Diese Pluralität hat sich durch Einwanderung noch verstärkt. Multikulturalität in Deutschland, aber auch in Hamburg ist eine Tatsache, Integration ist eine Aufgabe und Herausforderung, die gesamtgesellschaftlich angegangen werden muss. Mit einer im Polizei- und Ordnungsrecht verhafteten Ausländerpolitik werden wir diesen Herausforderungen nicht mehr gerecht.
Deshalb haben wir einen Perspektivwechsel eingeleitet: Weg von der alten Ausländer- und Aussiedlerpolitik, hin zur Integrationspolitik als gesellschaftspolitischer Zukunftsaufgabe. Wir brauchen mittelfristig eine aktive Einwanderungspolitik mit einem innovativen Punktesystem. Dabei verstehen wir Integration nicht als Einbahnstraße. Grundlage von Integration ist eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dies erfordert Anstrengungen von allen beteiligten Akteuren - der Mehrheitsbevölkerung und den Migrantinnen und Migranten - gleichermaßen. Konkret bedeutet dies, dass die Partizipation und Bildungschancen der Migrantinnen und Migranten in allen gesellschaftlichen Bereichen gefördert und strukturelle Diskriminierungen abgebaut werden. Integration setzt an den Qualifikationen der eingewanderten Bevölkerung an und begreift kulturelle Unterschiede nicht als Defizite. Dafür müssen gemeinsame Erfahrungsräume geschaffen werden. Nur so kann dem Rückzug in Parallelgesellschaften entgegengewirkt werden; Bildungseinrichtungen haben hierbei einen besonderen Auftrag - Integrationsangebote sollten möglichst früh ansetzen. Nur so kann verhindert werden, dass sich migrationsbedingte Probleme, wie etwa mangelnde Sprachkenntnisse, über längere Zeiträume tradieren und Folgeprobleme entstehen. Die Förderung sprachlicher Kompetenz sollte im frühkindlichen Entwicklungsstadium beginnen und über vorschulische Bereiche bis in die Grundschule gezielt fortgesetzt werden, um sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche aufgrund von Sprachschwierigkeiten bei ihrer späteren Berufswahl nicht benachteiligt sind. Integration fördern heißt auch, die Teilhabe an politischen Willensbildungsprozessen zu ermöglichen. Nur wer sein Lebensumfeld aktiv mitgestalten kann, wird Identifikation entwickeln. Politische Integration setzt somit auch Beteiligungsrechte für Migrantinnen und Migranten voraus. Partizipation wird durch aktives und passives Wahlrecht auf kommunaler Ebene weiter gestärkt.

Eine zukunftsfähige, moderne Integrationspolitik kommt nicht ohne rechtliche Gleichstellung und politische Integration der Migrantinnen und Migranten aus. Wir setzen uns für die erleichterte Einbürgerung und eine großzügige Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ein. Der automatische Verlust der Staatsbürgerschaft bei Deutschen, die einen anderen Pass annehmen, führt zu erheblichen Unsicherheiten und muss dringend reformiert werden.

Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan