Frage an Jan Philipp Albrecht von Michael J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Albrecht,
ich hätte eine Frage, wie es aussieht im EU-Parlament/EU-Kommission/EU-Rat.
Ich habe den Eindruck das es keine große Lobby für uns Verbraucher und für die Umwelt gibt.
Ich höre immer wieder das Industrie-Lobbisten hier großen Einfluss haben und die EU Gesetzgebung unredlich beeinflussen. Auf der Gegenseite höre ich, dass der Kontakt wichtig sei, da die Lobbisten die betroffenen Industriezweige vertreten und man mit den Firmenvertretern sprechen sollte.
Wie ist Ihr Eindruck? Sind die Gespräche zu den Lobbyisten wirklich von großem Wert für die Allgemeinheit oder werden die Interessen der Allgemeinheit dadurch eher geschadet?
Sehr geehrter Herr Janik,
vielen Dank für Ihre Frage.
In der Tat haben (Industrie-)Lobbyisten einen großen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung. Dabei spielen vor allem die finanziellen Mittel eine Rolle. Große Unternehmen sind hier gegenüber beispielsweise kleineren Nichtregierungsorganisationen im Vorteil. Sie können es sich leisten Lobbyisten speziell für eine einzelne legislative Gesetzesinitiative anzustellen, welche sich an die Abgeordneten wenden um ihre Positionen vorzutragen. Zusätzlich haben sie die Möglichkeit über die eigenen Verbände ebenfalls an die Abgeordneten heranzutreten und für ihre Positionen zu werben. Durch Veranstaltung von Kongressen und Tagungen besteht ein weiterer Weg, um mit den Entscheidungsträgern in Kontakt zu kommen. Kleinere NGOs sind finanziell meist nicht in der Lage solch einen Aufwand zu betreiben.
Neben diesem Ungleichgewicht an zur Verfügung stehenden Ressourcen ist Lobbyismus vor allem ein Problem der Transparenz. Die Eintragung in das europäische Lobbyregister ist freiwillig, eine Verpflichtung scheiterte auch jüngst bei der Überarbeitung der Regelungen (mehr dazu unter https://netzpolitik.org/2013/eu-lobbyregister-vorschlaege-ungenuegend/ ). Schätzungen gehen von ca. 30 % nicht registrierten Lobbygruppen in den europäischen Institutionen aus. Im Rat gibt es kein Register. Es ist jedoch naheliegend, dass auch hier Lobbyvertreter versuchen Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen.
Lobbyismus ist nicht per se verwerflich. Gerade bei sehr komplexen Sachverhalten mit weitreichenden Folgen können und sollten sich die Betroffenen einmischen, um ihre Expertise einzubringen und die Folgen der Gesetze aus ihrer Sicht zu bewerten. In meiner Funktion als Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Datenschutzgrundverordnung habe ich in den letzten Jahren ein massives Lobbying erlebt, welches über das legitime Maß hinaus ging und durch das gezielte Streuen von Falschinformationen versuchte, Einfluss auf meine Arbeit zu nehmen. Auf meiner Internetseite habe ich dazu eine ausführliche Einschätzung veröffentlicht: http://www.janalbrecht.eu/themen/datenschutz-und-netzpolitik/lobbyismus-zur-eu-datenschutzreform.html
Ich hoffe Ihnen mit meinen Ausführungen weiter geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Philipp Albrecht