Frage an Jan Philipp Albrecht von Martin H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehe geehrter Herr Albrecht,
Ich schätze Ihr Engagement für die bürgerlichen Freiheitsrechte sehr, und ich freue mich, dass die Grünen hier viel mehr bereit sind, sich für unsere freiheitliche Grundordnung einzusetzen, als es bei den regirungsparteien erkennbar ist.
Aber wenn es jetzt sogar bei der Union heißt, Ausspionieren unter Freunden sei "unakzeptabel", was ist damit gemeint? In Ihrer Antwort beschränken Sie sich darauf, eine "Verurteilung" der massenhaften Abhöraktionen zu verlangen. Aber kann das genug sein?
Warum fordern Sie und Ihre politischen Freunde nicht Sanktionen gegen die USA, die den USA wirklich weh tun würden, und zwar mehr als uns, also etwa die Kündigung der militärischen Zusammenarbeit? Denn im Gegensatz zum Freihandelsabkommen, das auch unserer Wirtschaft sehr nützen würde, brauchen wir keine US-Militäranlagen auf deutschem Boden. Seit den 1990er Jahren haben die USA diese Militäranlagen wiederholt für illegale militärische Aktionen genutzt und haben teilweise ihre NATO-Partner gedrängt, an solchen illegalen Militäraktionen teilzunehmen (insbesondere 1999 beim Krieg gegen Jugoslawien, aber auch 2003 beim Krieg gegen den Irak). Diese Kriege haben zu unermesslichem Leid geführt und zu keinem Nutzen für Deutschland.
Meine Fragen sind also:
(1) Welchen Nutzen hat die Bundesrepublik Deutschland von den amerikanischen Militäranlagen in Deutschland?
(2) Warum fordern Sie nicht, die weitere militärische Zusammenarbeit davon abhängig zu machen, dass die USA sich an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland halten?
Mit bestem Dank,
Ihr
Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Haspelmath,
zunächst vielen Dank für Ihre Fragen und bitte entschuldigen Sie die etwas verspätete Antwort.
Es ist natürlich nicht genug nur eine Verurteilung der massenhaften Abhöraktionen zu verlangen. Wir brauchen eine deutlich bessere Durchsetzung von Cybersicherheits- und Datenschutzregeln in Europa. Sowohl rechtlich, als auch technologisch muss Europa endlich unabhängig und selbstbestimmt werden. Nur so können wir unsere Grund- und Menschenrechte effektiv durchsetzen. Zudem müssen wir von den USA und anderen Drittstaaten verlangen, dass sie unsere rechtsstaatlichen Standards respektieren. Es muss ihnen klar gemacht werden: Nur wenn Ihr gleichwertige Standards - auch und gerade beim Datenschutz - für EU-Bürgerinnen und -Bürger vorseht, kann eine engere Zusammenarbeit und ein erleichterter Marktzugang (als von anderen Drittstaaten aus) stattfinden.
Um dies zu erreichen, fordern wir Grüne im Europäischen Parlament regelmäßig scharfe Sanktionen. Etwa die Neuverhandlung der so genannten Safe Harbour Erklärung, mit der Unternehmen wie Facebook und Google überhaupt erst Daten in die USA schaffen können. Oder durch die Aufforderung an die EU-Kommission, das Abkommen zur Weitergabe von SWIFT-Bankdaten an die USA zu kündigen. Vor allem aber das Aussetzen der Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP ist eine Sanktion, die für die US-Regierung mehr als spürbar ist. Leider haben nicht alle diese Forderungen die Mehrheit im Europäischen Parlament erhalten, weil insbesondere Konservative und Wirtschaftsliberale Schwierigkeiten mit solch scharfen Sanktionen sehen. Es macht in dieser Situation nicht so viel Sinn, noch weitergehende Sanktionen in den Raum zu stellen, die ohnehin nicht mehrheitsfähig wären. Es wäre auch nicht richtig, von deutscher Seite aus den Amerikanern die militärische Zusammenarbeit zu kündigen und diesen Konflikt auf nationaler Ebene auszutragen. Der aktuelle Vorstoß der Bundesregierung, der amerikanischen Dominanz ein Deutschland-Netz entgegenzustellen, statt den Kampf um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen im digitalen Markt anzunehmen und die gemeinsamen Werte der EU mit Blick auf die Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten zu verteidigen, kann letztendlich keine ernsthafte Wende bieten. Die Reaktion auf die amerikanische Überwachung sollte daher auf europäischer Ebene erfolgen.
Die Datenschutzgrundverordnung der EU wäre dazu ein erster Schritt. Es muss eine digitale Unabhängigkeitserklärung her, die den Geltungsanspruch von Rechtsstaat, Bürgerrechten und Demokratie auch in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung erhebt. Eine digitale Unabhängigkeitserklärung, die den Bürgern und Verbrauchern ihre Kontrolle und Selbstbestimmung nach europäischem Vorbild zurückgibt und gleichzeitig den europäischen Unternehmen eine gleichberechtigte Chance im digitalen Markt einräumt. Genau dies will die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union erreichen. Ein gemeinsamer digitaler Markt, der allen zu gleichen Chancen offensteht und verbindliche, hohe Standards für die Bürger und Verbraucher mit sich bringt. Dabei geht es nicht um Abschottung oder Einschränkung, es geht darum, ein offenes Spielfeld zu schaffen, in dem verlässliche Regeln für alle gelten, ganz gleich, wo die betroffenen Unternehmen, Behörden, Bürger und Verbraucher herkommen. Es ist ein großer Erfolg, dass das Europäische Parlament mit den Stimmen aller Fraktionen deutlich Position für einen einheitlichen EU-Datenschutz bezogen hat.
Unsere Bürger- und Freiheitsrechte zu schützen ist ein Grünes Kernanliegen und daher werde ich mich auf allen Ebenen weiter dafür einsetzen.
Ich hoffe, meine Antwort konnte Ihnen weiter helfen.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Philipp Albrecht