Frage an Jan Philipp Albrecht von Birgit H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Albrecht,
geht es in dem Ausschuß "Bürgerliches Freiheiten, Inneres" (oder woanders) auch um die Weiterentwicklung von Demokratie auf europäischer Ebene? Wird das Thema : Volksbegehren und Volksentscheide auf europäischer Ebene diskutiert? Halten Sie persönlich die demokratischen Beteiligungsrechte der EU-Bevölkerung für ausreichend? Sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten? Was wäre notwendig, damit es zu mehr Demokratie auf Europa-Ebene kommt?
Viele Grüße, Birgit Hasselhoff
Liebe Frau Hasselhoff,
danke für ihr Interesse an der Weiterentwicklung und Stärkung der Demokratie auf europäischer Ebene. Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten und Inneres ist nur am Rande damit befasst, denn das Europaparlament hat einen eigenen Ausschuss für Verfassungsangelegenheiten. Dennoch ist dies natürlich ein Thema, das uns Abgeordnete alle betrifft.
Die Europäische Bürgerinitiative, mit der seit dem Lissabon-Vertrag eine Million Bürgerinnen und Bürger die EU-Kommission auffordern können, gesetzgeberisch aktiv zu werden, wird derzeit umgesetzt. Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass die Hürden für eine Anerkennung solcher Initiativen, etwa die nötige Anzahl der beteiligten Mitgliedsstaaten oder die Vorab-Zertifizierung der Online-Unterschriftensammlungen, nicht zu hoch gehängt werden. Auch muss sichergestellt werden, dass dabei nicht unnötig Daten von den Unterzeichnern erhoben werden und dass diese anschließend wieder gelöscht werden.
Insgesamt sind mit der Direktwahl des Europäischen Parlaments und seit dem Lissabon-Vertrag mit dessen umfassender Kontrollmöglichkeit der Entscheidungen von Kommission und Rat mittlerweile die demokratischen Qualitäten der EU im Brüsseler Institutionengefüge relativ hoch. Das Hauptproblem scheint mir derzeit zu sein, dass es keine wirklich europaweite Öffentlichkeit gibt, in der politische Debatten auch grenzüberschreitend geführt werden und in der die oft verschlungenen Wege der Entscheidungsfindung in Brüssel aufbereitet und nachvollziehbar gemacht werden. Hier hoffe ich auf ein dynamisches Wachstum von "unten" aus der Blogosphäre und anderen BürgerInnenmedien. In Kombination mit plebiszitären Elementen wie der europäischen Bürgerinitiative kann es hier hoffentlich mehr europaweite Kampagnen, Auseinandersetzungen und Debatten geben - die Demokratie lebt ja auch vom Streit um das bessere Argument.
Bei aller Sorge um die Demokratie in der EU darf man aber auch nicht vergessen, dass in einem Mehrebenen-System wie der EU die demokratische Kontrolle auf allen Ebenen gesichert werden muss. Die ebenfalls neuen Vorbehaltsrechte der nationalen Parlamente könnten hier einen wichtigen Beitrag leisten, auch die nationalen Interessenlagen und Realitäten bei EU-weiten Entscheidungen weiterhin zu berücksichtigen. Sehr weitreichenden Vorschlägen wie der manchmal geforderten Direktwahl des Kommissionspräsidenten stehe ich eher skeptisch gegenüber, da dies der Kommission im Endeffekt noch mehr Macht verleihen würde. Es gilt in der EU wie auch innerhalb Deutschlands, die passende Kompetenzaufteilung zur gleichzeitigen Wahrung von Bürgernähe und Handlungsfähigkeit in der Politik zu erreichen.
Beste Grüße,
Jan Philipp Albrecht