Frage an Jan Mücke von Günther S. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Mücke,
unter der Überschrift "Kein Verkauf von Bahnaktien" erhielten Sie von mir im Auftrag von weiteren 27 Bürgern die Aufforderung einem Verkauf von Bahnaktien nicht zu zustimmen. Wie werden Sie abstimmen? Sollten Sie unserer Forderung nicht folgen wollen, so wären wir auf diesem Wege über eine Erläuterung Ihres Abstimmungsverhaltens oder einer persönlichen Antwort dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Günther Sorgalla
Sehr geehrter Herr Sorgalla,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de.
Ich habe Ihr Schreiben, auf das Sie sich beziehen, erhalten und bereits beantwortet. Es müsste Ihnen in Kürze zugehen. Um auch anderen Interessierten meine Position zum Thema Bahnprivatisierung zu verdeutlichen, füge ich die an Sie gerichtete Antwort diesen Zeilen an.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Mücke
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt sich für ein klares Strukturkonzept für den Bahnsektor ein, das auf Attraktivitäts- und Effizienzsteigerung durch Wettbewerb und Privatisierung setzt. Mit dieser Strategie werden weiter die Ziele der Bahnreform von 1994 verfolgt: Mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen und den Staatshaushalt spürbar zu entlasten. Zur Privatisierung haben wir seit vielen Jahren eine eindeutige Position. Wir sind für die Privatisierung der Verkehrssparten der Deutschen Bahn, jedoch gegen eine Privatisierung als integrierter Konzern mit Schienennetz.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir es, dass die Bundesregierung den im September 2007 eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuordnung der Eisenbahnen des Bundes nicht mehr weiterverfolgt. Dieser Gesetzentwurf beinhaltete eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn mit integriertem Schienennetz, was ordnungs-, verkehrs- und industriepolitisch kontraproduktiv gewesen wäre. Das nunmehr am 28. April vom Koalitionsausschuss beschlossene Privatisierungsmodell ist demgegenüber ein Fortschritt, weil das Netz nicht integriert teilprivatisiert wird und weil die Trennung von Netz und Betrieb bereits strukturell angelegt ist. Allerdings kann der Koalitionsbeschluss aus unserer Sicht nur ein Einstieg in die Privatisierung sein, keinesfalls der Endzustand. Die von der Bundesregierung gewollte Beschränkung der Beteiligung Privater auf 24,9 % und der Ausschluss des unternehmerischen Einflusses privater Investoren haben mit einer echten Privatisierung wie etwa bei der Deutschen Telekom AG oder der Deutschen Post AG nichts zu tun. Die Deutsche Bahn AG als dauerhafter Staatskonzern ist für den Steuerzahler hochriskant. Im Bankenbereich musste der Steuerzahler in den letzten Wochen mit etwa 30 Milliarden Euro für Misswirtschaft von Unternehmen geradestehen, die sich im Eigentum oder Miteigentum des Staates befinden. Niemand kann ausschließen, dass ähnliche Risiken auch im internationalen Logistikmarkt auftreten können. Verkehr und Logistik sind keine Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge. Die FDP-Bundestagsfraktion lehnt es ab, dass ein Staatskonzern - abgesichert auf Kosten des Steuerzahlers - echten Privatunternehmen Konkurrenz macht.
Auch aus unserer Sicht lässt das Verkehrsangebot der Deutschen Bahn teilweise zu wünschen übrig. Dies wird insbesondere im Freistaat Sachsen deutlich. Verbesserungen werden jedoch nicht durch einen Verzicht auf die Kapitalprivatisierung der DB erreicht. Die Einstellung des InterRegio-Verkehrs sowie mehrerer InterCity-Verbindungen (darunter auch die Sachsen-Franken-Magistrale) erfolgte zu einer Zeit, als sich die Deutsche Bahn hundertprozentig im Eigentum des Bundes befand. Vielmehr erhalten durch die von uns angestrebte Herauslösung der Infrastruktur aus dem DB-Konzern auch Drittanbieter die Möglichkeit des diskriminierungsfreien Zugangs zum Schienennetz. Neue Marktteilnehmer werden das Verkehrsangebot nachhaltig bereichern. Die Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn wird auch nicht dazu führen, dass der Bund bei unternehmerischen Entscheidungen der Bahn neuerdings keinen politischen Einfluss mehr ausüben kann; denn ein solches Verhalten verbietet sich bereits heute. Anfang der 90er Jahre lagen die Einnahmen aus dem Transportgeschäft der Deutschen Bahnen unterhalb der Personalkosten. Die Bahnen belasteten den Steuerzahler immens und stellten ein stetig zunehmendes Haushaltsrisiko dar. So war eines der Ziele der Privatisierung der Deutschen Bahnen 1994, den Bahnbetrieb durch Effizienzsteigerungen wieder wirtschaftlicher zu gestalten. Die nunmehr als Aktiengesellschaft aufgestellte Deutsche Bahn sollte nicht mehr politischen Einzelentscheidungen ausgesetzt sein, sondern - unter Berücksichtigung des Daseinsfürsorge-Auftrags - unternehmerisch frei entscheiden dürfen.
Am 08. Mai 2008 hat sich auch der Bundestag in 1. Lesung mit der Bahnprivatisierung beschäftigt. Beratungsgegenstand war nicht ein neuer Gesetzentwurf, sondern lediglich ein Antrag der Koalitionsfraktionen. Dieser Antrag enthält nichts anderes, als eine wörtliche Wiederholung des Beschlusses der Koalitionsrunde vom 28. April, angereichert mit etwas Lyrik zum Eisenbahnwesen. Anders als in einem Gesetz werden in dem Antrag lediglich die Eckpunkte der geplanten Privatisierung beschrieben. Die genaue Ausgestaltung bleibt dann der Regierung vorbehalten. Der Antrag ist gewissermaßen der formale Arbeitsauftrag des Parlaments an die Regierung. Er hat lediglich deklaratorische Bedeutung; echte Gestaltungs- oder Änderungsmöglichkeiten hat der Bundestag nur theoretisch, faktisch jedoch nicht, da die Koalitionsfraktionen den Absprachen im Koalitionsausschuss folgen werden.
Verfassungsrechtlich ist grundsätzlich gegen den von der Koalition vorgesehenen Verzicht auf ein Privatisierungsgesetz nichts einzuwenden. Dies ist durch Art.87 e GG gedeckt. Privatisiert wird nicht die Deutsche Bahn AG, sondern lediglich ihre Tochtergesellschaften, soweit sie Verkehr und Logistik zum Geschäftsgegenstand haben. Dies kann durch Beschlüsse von Hauptversammlung und Aufsichtsrat der DB AG erfolgen. Anders könnte die verfassungsrechtliche Beurteilung allerdings aussehen, wenn es zu einer weitgehenden Personenidentität der Vorstände von DB AG und der Transport- und Logistik AG kommt, insbesondere beim Vorstandsvorsitzenden. Dann nämlich gewinnt die Tatsache an Bedeutung, dass das Netz weiterhin durch einen Beherrschungsvertrag an die Holding gebunden ist und der Vorstand der teilprivatisierten Transport- und Logistik AG faktisch in die Infrastruktur hineinregieren kann. Wir werden diesen verfassungsrechtlichen Aspekt also im Auge behalten.
Politisch ist der Verzicht auf ein Privatisierungsgesetz jedenfalls fragwürdig. Die Bahnprivatisierung ist seit über fünf Jahren Gegenstand einer politischen Diskussion, an deren Ende nach Auffassung aller Beteiligten ein Privatisierungsgesetz stehen sollte. Folgerichtig wurde im Sommer 2007 von der Bundesregierung ein Privatisierungsgesetz eingebracht. Dieses wurde jedoch durch die Beschlüsse des SPD-Bundesparteitags im Oktober 2007 hinfällig. Nachdem klar wurde, dass auf ein Privatisierungsgesetz verzichtet wird und damit die Beteiligungsmöglichkeiten des Bundestages zurückgedrängt werden sollen, haben wir im April 2008 den Antrag "Bahnprivatisierung zügig und konsequent beschließen" (Drucksache 16/8774) eingebracht. Darin werden im Wesentlichen zwei Forderungen erhoben: erstens die Entscheidung über die Privatisierung durch ein Gesetz, zweitens die rechtzeitige Verabschiedung der notwendigen Begleitgesetzgebung.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen wird bereits am 29. Mai in 2./3. Lesung im Bundestag beraten. Die FDP-Bundestagsfraktion wird dem Koalitionsantrag aus den dargestellten Gründen voraussichtlich nicht zustimmen. Die FDP setzt sich für eine echte Privatisierung ein, nicht jedoch für eine Pseudo-Privatisierung, denn wir wollen eine Wettbewerbsbranche Schienenverkehr, dazu braucht es eine klare Struktur. Die Verkehrs- und Transportsparten der DB müssen vollständig privatisiert werden. Das Schienennetz sollte von den Konzernschwestern getrennt und als neutrale Plattform für alle in Deutschland tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen dienen. Für diesen Weg wird sich die FDP-Bundestagsfraktion weiter stark machen.