Frage an Jan Mücke von Leon W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Mücke,
sicherlich haben Sie bereits von den Plänen des Bundesministers des Inneren, Herrn Dr. Schäuble, gehört. Er versucht, die Angst der Bürger vor einer Terrorgefahr zu schüren und darauf aufbauend die Unschuldsvermutung und damit den Rechtsstaat und wichtige Grundrechte abzuschaffen. Dies würde eine Zeit der staatlichen und justiziellen Willkür einläuten.
Außerdem hat das Kabinett kürzlich die Vorratsdatenspeicherung beschlossen, mit der alle Bürger pauschal verdächtigt werden.
Daher möchte ich Sie fragen, wie Sie gedenken, im Bundestag einerseits zur Vorratsdatenspeicherung und andererseits zu den aktuellen Gesetzesvorhaben Herrn Dr. Schäubles abzustimmen.
Mit freundlichen Grüßen,
Leon Weber
Sehr geehrter Herr Weber,
vielen Dank für Ihre Email. Tatsächlich ist das Vorhaben der Regierung mehr als nur fragwürdig. Wir in der FDP-Bundestagsfraktion werden uns mit allen Mitteln dagegen wehren. Auf unserer Klausurtagung haben wir dazu einen Beschluss gefasst, den ich Ihnen gern zu Ihrer Kenntnis weitergebe:
Terrorismus wirksam bekämpfen - Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wahren - Erosion des Rechtsstaats beenden
I.
1. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen zu einem unverzüglichen Kurswechsel in der Innen- und Sicherheitspolitik auf. Maßstab müssen die Prinzipien unserer Verfassung, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, und die vom Bundesverfassungsgericht nach dem 11. September 2001 in einer Vielzahl von Entscheidungen entwickelte Rechtsprechungslinie zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit sein.
2. Wiederholt haben die höchsten deutschen Gerichte korrigierend eingreifen müssen:
- Luftsicherheitsgesetz
- Europäischer Haftbefehl
- Rasterfahndung
- Online-Durchsuchungen von Computern
- Durchsuchung von Redaktionsräumen (Cicero-Entscheidung).
3. Daraus folgt: An die Stelle von Gesetzesaktionismus müssen die Beseitigung von Vollzugsdefiziten, die konsequente Anwendung geltenden Rechts und eine bestmögliche personelle, technische und finanzielle Ausstattung der Sicherheitsbehörden treten, an die Stelle von Hysterie Besonnenheit und Entschlossenheit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Bundeskanzlerin Angela Merkel muss den maßlosen Forderungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, die von den eigentlichen Problemen, z.B. beim Digitalfunk, ablenken und eine sachliche Diskussion über notwendige Maßnahmen verhindern, Einhalt gebieten. Sie muss ihren Innenminister, der zugleich auch Verfassungsschutzminister ist, auf eine grundrechtsbewusste Innen- und Sicherheitspolitik festlegen.
4. Seit Wochen ist Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble dabei, rechtsstaatliche Fundamentalgewissheiten bis hin zur Unschuldsvermutung in Frage, zumindest aber unter Vorbehalt zu stellen. Er verstärkt damit eine Politik, die unter seinem Amtsvorgänger begonnen wurde und von der Abschaffung des Bankgeheimnisses über Eingriffe in das Versammlungsrecht bis hin zur Einschränkung des Rechtsschutzes durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz Schily II reichte. Aktuell drohen die Grenzen zwischen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, Polizei und Nachrichtendiensten, Polizei und Militär sowie äußerer und innerer Sicherheit zu verschwimmen.
5. Je mehr die Sicherheitsbehörden präventiv, insbesondere im Vorfeld von noch nicht konkretisierten Gefahrenlagen tätig werden, umso mehr droht die Tendenz zu einem Überwachungsstaat, in dem grundsätzlich jedermann verdächtig ist. Deshalb darf es prinzipiell keine verdachtslosen Eingriffe in Bürgerrechte geben auf Grund lediglich abstrakter Gefahrenprognosen. Zudem gilt: Je schwerer ein Eingriff, desto konkreter muss die Verdachtslage sein und desto effektiver muss der Rechtsschutz für den Betroffenen sein.
6. Da die Politik des Bundesinnenministeriums gegen diese Grundsätze verstößt, und da die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries diese verfehlte Politik stets mitgetragen hat, sind auch künftig Konflikte mit dem Bundesverfassungsgericht vorgezeichnet. Dessen Rechtsprechung ist unmissverständlich. Wiederholt rief das Gericht dem Gesetzgeber in Erinnerung, dass sich die Kraft des Rechtsstaats gerade darin zeige, dass er auch den Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden Grundsätzen unterwerfe. Der Rechtsstaat lässt sich nicht dadurch schützen, dass man ihn aufgibt. Nicht alles ist rechtlich erlaubt, was technisch möglich ist. Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Diese Botschaft Karlsruhes gilt für die Liberalen uneingeschränkt. Sie war ausschlaggebend für das Nein der FDP-Bundestagsfraktion zum Luftsicherheitsgesetz, das vom Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde für verfassungswidrig erklärt wurde. Sie ist ausschlaggebend für die Haltung der FDP-Bundestagsfraktion zu den aktuellen Vorschlägen für eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze.
II.
Die FDP-Bundestagsfraktion
- spricht sich für eine Beschränkung der Nutzung biometrischer Passdaten auf den Zweck der Identitätsfeststellung und gegen einen automatisierten Abruf von elektronischen Passbildern durch die Polizeibehörden zum Zwecke der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und Straftaten sowie in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft der Polizei gegen eine Speicherung von digitalisierten Fingerabdrücken in den Passregistern der Meldebehörden aus;
- lehnt heimliche Online-Durchsuchungen von Privat-Computern ab, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Privatsphäre, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Fernmeldegeheimnis, und bekräftigt bestehende Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen des Einsatzes von Trojanern auf die Datensicherheit;
- setzt sich bei allen Eingriffsmaßnahmen für den Schutz der Pressefreiheit, insbesondere den Informantenschutz, ein sowie für den Schutz von Berufsgeheimnissen (u.a. Ärzte, Rechtsanwälte, Pfarrer, Steuerberater);
- lehnt eine Ermächtigung des Bundeskriminalamts zur Durchführung präventiver Rasterfahndungen ab;
- bekräftigt ihre ablehnende Haltung, Kommunikationsdaten anlasslos und verdachtsunabhängig für einen Zeitraum von sechs Monaten auf Vorrat zu speichern, und bedauert, dass sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene über frühere, einstimmig gefasste Beschlüsse des Deutschen Bundestages hinweg gesetzt hat;
- wendet sich daher auch gegen die Vorratsspeicherung der privat erhobenen Mautdaten für staatliche Zwecke;
- bekennt sich zum bewährten Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten;
- lehnt einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren über die bisherige Praxis hinaus ab;
- fordert eine umfassende Überprüfung der Rechtsgrundlagen für die Telefonüber-wachung, mehr Transparenz und strengere Maßstäbe bei der Benachrichtigungspflicht an die Betroffenen;
- fordert eine regelmäßige Überprüfung aller Eingriffsbefugnisse auf ihre Wirksamkeit und rechtsstaatliche Anwendung sowie eine Evaluation durch externe Sachverständige;
- fordert eine bestmögliche Ausstattung der Sicherheitsbehörden einschließlich der unverzüglichen Einführung des digitalen Polizeifunks;
- tritt dafür ein, Reibungsverluste wegen Kompetenzüberschneidungen verschiedener Polizeibehörden künftig zu vermeiden
- bekennt sich zum Vorrang des konsequenten Gesetzesvollzugs vor Gesetzes-verschärfungen;
- fordert eine Renaissance des klassischen Verständnisses von staatlichen Eingriffen als Maßnahmen zur Abwehr konkreter Gefahren anstelle eines Vorbeugungsdenkens, das dazu führt, dass es keine klaren Grenzen mehr für die Einschränkung von Bürgerrechten gibt und grundsätzlich jedermann verdächtig ist;
- bekräftigt, dass Prävention notwendig und mit den geltenden Gesetzen zur Gefahrenabwehr selbstverständlich auch möglich ist;
Die FDP-Bundestagsfraktion wird sich in einer künftigen Regierung für eine Korrektur der bürgerrechtlichen Fehlleistungen der rot-grünen und schwarz-roten Vorgängerregierungen einsetzen und die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit wiederherstellen.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Mücke MdB