Frage an Jan Mücke von Karl Dr. H. bezüglich Verkehr
Was halten Sie davon, dass zahlreiche Verwaltungsbehörden und sogar viele Gerichte sich über die für Strassenneubauten zwingend vorgeschriebenen Immissionsgrenzwerte nach der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) hinwegsetzen?
Nach der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (E. vom 20.05.1998-11 C 3/97 = NVwZ 1999.67) ist bei Strassenneubauten oder wesentlichen Änderungen, die zu gesundheitsschädlichen Lärmwerten führen, eine Umplanung vorzunehmen.
Sind Sie dazu bereit, diese Forderung, gegen die ebenfalls häufig verstoßen wird,
zum Gegenstand einer zwingenden rechtlichen Regelung zu machen?
Sehr geehrter Herr Dr. Hofmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 14. September.
Ich teile Ihre Auffassung nicht, dass sich zahlreiche Verwaltungsbehörden und viele Gerichte über die Grenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) hinwegsetzen. Richtig ist, dass diese Verordnung Vorgaben für Schallschutz beim Neubau und grundsätzlich auch bei wesentlichen Änderungen von Straßen macht. Woraus Sie aber den Schluss ziehen, dass diese Vorgaben häufig missachtet werden, ist für mich nicht ersichtlich. Über die Einhaltung der Grenzwerte wacht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ständiger Rechtsprechung. Sollte ein Planfeststellungsbeschluss im Einzelfall entsprechende Mängel aufweisen, wird der Behörde im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung - spätestens durch das BVerwG - aufgegeben, den Beschluss durch Anordnung geeigneter Schallschutzmaßnahmen zu ergänzen. Sogar eine gänzliche Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ist nicht ausgeschlossen. Eine von Ihnen angedeutete Behördenwillkür wäre daher von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Die Planfeststellungsbehörde hat bei ihrer Entscheidung sämtliche öffentliche und private Belange gegeneinander abzuwägen. In diesem Rahmen nimmt die voraussichtliche Belastung der Betroffenen mit Lärm, der von der geplanten Straße ausgeht, eine wichtige Rolle ein. Als Zumutbarkeitsschwelle hat die Behörde regelmäßig die vom Verordnungsgeber festgesetzten Grenzwerte in der 16. BImSchV heranzuziehen. Hierbei ist jedoch nach der Rechtsprechung des BVerwG ausschließlich der Lärmpegel zu berücksichtigen, der vom geplanten Verkehrsprojekt selbst ausgeht. Dies kann im Einzelfall aber zu nicht mehr akzeptablen Ergebnissen führen. Es ist möglich, dass sich durch das Hinzutreten der neuen Lärmquelle der bereits vorhandene Lärmpegel auf ein Niveau erhöht, das Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Bewohnern verursachen könnte. In diesem (Ausnahme-)Fall darf sich die Planfeststellungsbehörde nicht auf die Vorgaben der 16. BImSchV zurückziehen, sondern muss sicherstellen, dass für die Betroffenen ein hinreichendes Schutzniveau gewährleistet ist. Gesundheitsrisiken sind nach der Rechtsprechung des BVerwG unter Verweis auf die Lärmwirkungsforschung jedoch nicht bei Lärminnenpegeln von weniger als 40 dB(A)in Wohnräumen und 30 dB(A) in Schlafräumen zu besorgen (vgl. BVerwGE 111, 108; DVBl 1997, 1127).
Die vorgenannte Verpflichtung der Behörde ergibt sich aus der Schutzpflicht des Staates aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Verwaltung ist danach gehalten, Handlungen zu unterlassen, die die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen gefährden. Danach wäre auch der Erlass eines Planfeststellungsbeschlusses unzulässig, der gesundheitsbeeinträchtigende Lärmpegel zur Folge hätte. Darauf hat das BVerwG bereits mehrfach hingewiesen (vgl. o.g. Urteile). Ich kann daher auch nicht Ihre Auffassung teilen, dass es bislang noch keine zwingende rechtliche Regelung gibt, die vor Gesundheitsschädigungen schützt. Die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht, das sowohl von den Behörden als auch von den Gerichten beachtet werden muss (vgl. Artikel 1 Absatz 3 Grundgesetz). Dies ist angesichts der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG auch geschehen. Für eine zusätzliche gesetzliche Regelung sehe ich daher keinen Bedarf.
Mit meinen besten Grüßen
Jan Mücke