Frage an Jan-Marco Luczak von Christoph S.
Danke für Ihre Antwort vom 24.2.2016
Warum braucht man für viele technische Einzelheiten (Kabelfarbe, Blinker...) einen schwierig auszuhandelden umstrittenden Vertrag, genügt dort nicht eine engere Zusammenarbeit der Normenanstalten DIN, ISO, CEN, ANSI usw? Wären die dann wohl zum Wohle der Wirtschaft auch schneller fertig?
Im 19ten Jahrhundert waren Zölle für das dt. Kaiserreich und die Zentral-USA sehr wichtige Einnahmequellen für den Staatshaushalt. Kann der Staat auf diese Zölle so einfach verzichten oder braucht er eigentlich die Einnahmen für seine vielen Aufgaben? Spielen diese bei Kaufentscheidungen wirklich eine Rolle, wenn z.B. 10% des Großhandelspreises des Absenderlandes Zoll erhoben wird, im Vergleich zu Transportkosten oder Verwaltungkosten und Kaufmannslöhnen?
Sind Zölle vielleicht doch ein geeignetes Instrument, um die Souveränität der Staaten im Sinne einer eigenständigen Wirtschafts- und Sozialpolitik aufrechtzuerhalten und eine ruinöse Konkurenz um die besten Standorte zu verhindern?
Könnte man den aggressiven Beigeschmack von Zöllen dadurch verhindern, dass ganz einfach stehts der Absender- und der Empfängerstaat der Ware/Dienstleistung die Hälfte der Einnahmen bekommt, die Höhe der Tarife gemeinsam ausgehandelt werden (von gemeinsammen Parlamentskommisionen) und beide Staaten das Geld gemeinsam eintreiben?
Nützen uns eingenlich noch die vielen Exporte oder werden die gar nicht mehr mit echtem Geld, sondern mit uneinbringlichen Forderungen bezahlt?
Wäre nicht auch wichtig in den Vertrag aufzunehmen: mehr Fairnes und gegenseitige Amtshilfe beim Erheben und Eintreiben von Steuern oder eine Methodik zur gerechten Verteilung der Konzerngewinne auf die Staaten, in denen er tätig ist?
Sehr geehrter Herr Strebel,
zum Thema TTIP möchte ich erneut auf meine umfangreichen Ausführungen zum geplanten und kontrovers diskutierten Freihandelsabkommen verweisen:
Die Verhandlungen über TTIP laufen bereits seit drei Jahren. Leider war das Vorhaben zunächst wenig von Transparenz geprägt. Es entstand der Eindruck von Geheimverhandlungen im Hinterzimmer. Dies hat dazu geführt, dass bei vielen Menschen ein Misstrauen gegenüber dem Vorhaben entstanden ist. Dabei prägten oft weniger Fakten als vielmehr wilde Spekulationen und teilweise bewusst falsche Behauptungen die öffentliche Debatte.
Deshalb ist es wichtig, dass die EU-Kommission im vergangenen Jahr die TTIP-Dokumente frei zugänglich ins Internet gestellt hat. Es gab zudem Anhörungen von Bürgern, verschiedener Interessengruppen und Nichtregierungsorganisationen. Die EU-Kommission unterrichtet regelmäßig die Regierungen der Mitgliedstaaten über den Verhandlungsprozess. Auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages können inzwischen in einem eigens eingerichteten Leseraum Einsicht in die Texte nehmen. Ich persönlich habe mich bereits für einen Termin vorgemerkt und werde diese Möglichkeit nutzen. Denn als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter möchte ich wissen, worüber ich am Ende im Parlament entscheide.
Von einer Aushöhlung der Demokratie kann bei TTIP keine Rede sein. Das Freihandelsabkommen wird von demokratisch gewählten Regierungen verhandelt und am Ende stimmen das EU-Parlament sowie die Parlamente jedes einzelnen Mitgliedstaates darüber ab. Demokratische Kontrolle ist also gewährleistet.
TTIP reiht sich in eine lange Liste erfolgreicher Freihandelsabkommen ein, die im Interesse Deutschlands sind. Denn die EU und besonders Deutschland profitieren in hohem Maße von international frei handelbaren Gütern und Dienstleistungen sowie von grenzüberschreitenden Investitionen. In Deutschland hängt jeder vierte Arbeitsplatz am Export. Wenn wir unseren Wohlstand und unsere hohen sozialen Standards hierzulande erhalten wollen, brauchen wir eine starke deutsche Exportwirtschaft.
Konkret geht es bei TTIP unter anderem darum, Zölle abzubauen, den Unternehmen aus der EU und den USA jeweils einen diskriminierungsfreien Marktzugang zu ermöglichen, Zulassungsverfahren zu vereinfachen sowie Berufsabschlüsse und gegenseitige Standards anzuerkennen. Allein in der für uns so wichtigen Automobilbranche könnten jährlich bis zu eine Milliarde Euro an Zöllen gespart werden. Solche Kosten verteuern Produkte bislang unnötig und zwingen Unternehmen an anderer Stelle Geld einzusparen.
Auch Zulassungsvorschriften verursachen erheblichen Aufwand und Kosten: In den USA darf der hintere Blinker am Auto rot sein, während er in der EU gelb sein muss. Ein Maschinenbauer muss die gleiche Maschine mit roten Kabeln für den europäischen und mit blauen Kabeln für den US-Markt fertigen. Oftmals handelt es sich um andere Standards, deren Schutzniveau aber nicht niedriger ist. Das beste Beispiel hierfür ist das sogenannte „Chlorhühnchen“, das in Deutschland eine gewaltige öffentliche Empörung ausgelöst hat. In den USA ist es gängige Praxis, das Geflügel während der Produktion mit Chlor zu desinfizieren. Das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) hat das „Chlorhühnchen“ bereits vor einiger Zeit als „nicht gesundheitsgefährdend für den Verbraucher“ eingestuft. Das Beispiel taugt also kaum als Symbol für vermeintlich niedrige US-Standards. Und ob die europäische Methode, Hühner während der Mast mit Antibiotika-Zugaben gegen Keime zu schützen, der wirklich gesündere Weg ist, möchte ich bezweifeln. Die USA haben in einigen Bereichen sogar höhere Standards als die EU, etwa bei Pestiziden in Fruchtsäften, Quecksilbergrenzwerten bei Kohlekraftwerken oder bei der Zulassung neuer Medikamente.
Ich finde es dennoch nachvollziehbar, dass sich viele Bürger um eine Absenkung europäischer Standards sorgen. Diese Bedenken werden in den Verhandlungen der EU auch berücksichtigt. So hat die Bundesregierung der EU-Kommission klare Vorgaben gemacht: Deutschland wird kein Gesetz zum Schutz von Menschen, Tieren oder Umwelt aufheben. Die Gesundheit der EU-Bevölkerung und notwendiger Umweltschutz sind nicht verhandelbar. Auch der Mindestlohn, das Streikrecht, Tarifverträge und ähnliche Standards bleiben von TTIP unberührt. Es gibt zudem weitgehende Ausnahmen zum Schutz der kommunalen Daseinsvorsorge wie etwa bei der Wasserversorgung. Einen oft behaupteten Privatisierungszwang gibt es nicht.
Deutschland setzt sich erfolgreich dafür ein, dass die ambitionierten Ziele des Freihandelsabkommens nicht auf Kosten der Souveränität der Staaten gehen. Das Recht, auch in Zukunft im Sinne des Allgemeinwohls zu regulieren, darf nicht angetastet werden. Der Gesetzgeber soll das Schutzniveau etwa im Bereich des Umwelt- oder Verbraucherschutzes selbst festlegen. TTIP dient dazu, gemeinsame Prinzipien zu vereinbaren, damit die konkrete Ausgestaltung von Schutzstandards möglichst geringe handelsbeschränkende Auswirkungen hat. Das bestehende hohe europäische Schutzniveau in verschiedenen Bereichen steht nicht zur Disposition.
TTIP wird auch Regelungen zum Investitionsschutz und zu Schiedsverfahren beinhalten. Die konkreten Verhandlungen zu diesem Komplex haben gerade erst begonnen. Ergebnisse liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vor. Die EU-Handelskommisssarin Malmström hat jedoch eine umfangreiche Reform des aktuellen Schiedsgerichtssystems vorgeschlagen. So soll unter anderem ein neuer „Investitionsgerichtshof“ mit öffentlich bestellten, hochqualifizierten Richtern geschaffen werden. Dieser Ansatz ist in etwa vergleichbar mit den Mitgliedern ständiger internationaler Gerichte wie dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist ganz klar, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen. Nur Investitionen, die im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des Gaststaats stehen, sind durch Investitionsschutzverträge geschützt.
TTIP bietet die Chance zur Verbesserung des Investitionsschutzrechts, die wir ergreifen sollten. Dazu gehören klarere Regeln für die Zusammensetzung und Funktionsweise der Schiedsgerichte, die Qualifikation und Unabhängigkeit der Richter, das Verhältnis zum nationalen Rechtsweg und die Frage von Revisionsmöglichkeiten. Darüber müssen und werden wir weiter mit unseren transatlantischen Partnern sprechen.
TTIP hat zudem eine globale, strategische Bedeutung. Wenn sich Europa mit den USA auf gemeinsame Regeln für eine Freihandelszone mit rund 800 Millionen Einwohnern verständigt, setzen wir damit weltweit Maßstäbe. Angesichts aufstrebender Mächte wie China, Indien oder den ASEAN-Staaten wird dies für die westlichen Demokratien zusehends schwieriger. Mit TTIP und CETA können die EU, die USA und Kanada ihre – im weltweiten Vergleich nach wie vor sehr hohen Standards – zum Maßstab für spätere internationale Abkommen bzw. für ein globales Freihandelsregime machen. TTIP ist dafür möglicherweise die letzte Chance. Nutzen wir diese Chance als Europäer nicht, so werden andere Länder diese Standards setzen – dann aber ohne jede Einflussmöglichkeit für Europa oder Deutschland.
Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die TTIP-Verhandlungen nicht ablehnen dürfen, sondern das Abkommen nach unseren Vorstellungen mitgestalten sollten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jan-Marco Luczak