Frage an Jan-Marco Luczak von Stefan G. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Luczak!
Anlässlich der täglichen Katastrophennachrichten über den Euro einerseits und den ständigen Verlautbarungen Ihrer Partei andererseits, in denen Sie ständig vom stabilen Euro und einer Stabilitätsunion sprechen, würde ich doch gerne wissen, wie Sie selbst zur derzeitigen Europa-Politik stehen und ob Sie selbstkritisch meine Wut, und wahrscheinlich die Wut vieler weiterer Bürger, verstehen können?
Ich finde folgende Punkte dabei brennend:
Missachtung der Demokratie:
- Die meisten EU-Gesetze werden durch Kommissare und nicht, wie in der Gewaltenteilung üblich, durch ein Parlament gemacht.
- EU-Verfassung vom Volk abgelehnt? Dann führt man sie eben als Lissabonner Vertrag ein
- Lissabonner Vertrag/Euro: Man lässt so oft abstimmen, bis das Ergebnis passt.
Stabiler Euro:
- Sie behaupten, der Euro sei stabiler als die DM. Dabei stimmt das nicht, da die DM in den Jahren vor der Euro-Einführung genauso stabil war wie der Euro.
Stabilitätsunion statt Transferunion?
- Täglich neue Katastrophenmeldungen über nicht ausreichende Rettungspakete. Ironischerweise spricht die Regierung von einer "Stabilitätsunion", damit Europa trotzdem positiv klingt
- Inzwischen korrigiert man sich auf Billionen, die als Hilfen notwendig seien
- Anstatt Länder durch abgewertete Kurse wettbewerbsfähig zu machen, müssen sich die Länder mit dem Euro massiv verschulden
Der Euro als "Garant für Wohlstand und Exporte":
- Die meisten Exportsteigerungen gehen nicht in die Euro-Länder, sondern in die Nicht-Euro-Länder!
Mich interessiert dabei Folgendes:
1. Können Sie verstehen, dass Bürger die vielen Widersprüche und Ungereimtheiten satt haben?
2. Gibt es noch Politiker, die sich für das ganze Chaos verantwortlich zeigen und zu ihrem Gewissen und den Fehlern stehen?
3. Würden Sie den Wunsch akzeptieren, wenn sich eine Mehrheit der Bürger für die Wiedereinführung der DM aussprechen würde?
Sehr geehrter Herr Ganzow,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 25.10.2011 in der Sie mehrere Punkte bezüglich der Eurokrise ansprechen.
Im Verlauf der europäischen Integration wurden nach und nach mehr Kompetenzen an die Europäische Union übertragen. In der Vergangenheit bestand tatsächlich ein Ungleichgewicht innerhalb der europäischen Institutionen. Spätestens mit dem Vertrag von Lissabon änderte sich diese Praxis grundlegend. Heute ist beispielsweise das Europäische Parlament am Gesetzgebungsverfahren gleichberechtigt beteiligt. Ein „Diktat“ der Europäischen Kommission besteht nicht. Die Gewaltenteilung wird somit besser denn je garantiert. Entscheidungen im Rat der Europäischen Union bedürfen ab 2014 einer sogenannten „doppelten Mehrheit“, d.h. jede Entscheidung muss von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten (mindestens 55 %), welche gleichzeitig mindestens 65 % der Bevölkerung der EU-Mitgliedsstaaten repräsentieren, getragen sein.
Auch die nationalen Parlamente haben jetzt mehr Einfluss. Sie werden nun früher über Vorhaben der Europäischen Kommission informiert und können die Gesetzesvorhaben bereits in diesem Prozess zurückweisen, wenn sie etwa die Subsidiarität verletzt sehen. Des Weiteren wurde erstmals ein europäisches Bürgerbegehren eingeführt, welches von einer Million EU-Bürgern in Gang gesetzt werden kann. Die Europäische Kommission ist demnach gezwungen sich mit dem Bürgerbegehren auseinanderzusetzen sowie einen diesbezüglichen Rechtsakt vorzuschlagen. Außerdem wird den Mitgliedsstaaten ferner ein Austrittsrecht hinsichtlich des Vertrages eingeräumt.
Der Vertrag von Lissabon war insofern ein wichtiger Meilenstein in der gemeinsamen europäischen Geschichte und wurde nicht über die Köpfe der Bürgerinnen und Bürger hinweg verabschiedet, sondern von den Mitgliedsstaaten gestaltet sowie von deren Parlamenten ratifiziert. Die Ablehnung des irischen Referendums beruhte zum großen Teil auf spezifisch Irland betreffenden Fragen wie z.B. die rechtlichen Rahmenbedingung bei Abtreibungen. Richtig ist, dass es mehrfach nicht gelang, die mit dem Vertrag verbundenen Fortschritte ausreichend zu erklären und zu kommunizieren. Dies wurde daher nachgeholt. Nichtsdestotrotz unterscheidet sich der Vertrag von Lissabon von einer ursprünglich vorgesehenen EU-Verfassung. So wurde u.a. das Amt des Außenministers nicht eingeführt. Die Position des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik unterscheidet sich davon in einigen Punkten wesentlich. Die Frage hinsichtlich der Bedeutung der Namen „EU-Verfassung“ oder „EU-Vertrag“ ist letztlich immer eine der Definition.
Im Vergleich zur Deutschen Mark ist der Euro stabiler, weil er durch das Währungsgeflecht seiner Mitgliedsstaaten u.a. weniger inflationsanfällig ist. Dieser Fakt macht sich gerade mittel- und langfristig positiv bei den Bürgerinnen und Bürgern im Euroraum bemerkbar, da ihre auf der sogenannten „kalten Progression“ beruhenden Vermögenseinbußen geringer ausfallen als mit der Deutschen Mark. Eine Wiedereinführung der D-Mark hätte für unsere nationale Wirtschaft fatale Folgen. Deutschland stünde ohne den Euro und deren Wirtschaftsraum weitaus schlechter da als heute. Damit wäre eine starke Aufwertung unserer Währung verbunden. Als exportabhängiges Land würden deutsche Produkte im Ausland zu teuer. Das ginge mit einem massiven Absatzeinbruch und demnach steigender Arbeitslosigkeit einher.
Die Länder der Eurozone dauerhaft wettbewerbsfähig zu machen ist dabei unser langfristiges Ziel, was allerdings eine kurzfristige Unterstützung notwendig macht. Essentiell wichtig ist, dass die Mechanismen zeitnah greifen, um die Eurozone mit deren Mitgliedsstaaten bereits heute zu stabilisieren.
Ich verstehe den Ärger und die Sorge der Menschen über die aktuelle Situation, leider lassen sich in der Vergangenheit gemachte Fehler wie u.a. die Aufweichung der Maastricht-Kriterien und deren unentschlossene Durchsetzung nicht in einer Verhandlungsnacht korrigieren. Allerdings sind wir – auch wenn ich Ihre Bauchschmerzen teile – mit den verabschiedeten Mechanismen auf einem guten Weg, die Macht der Ratingagenturen sowie die der hochspekulativen Banken generell zu beschränken und in Finanznot geratene Eurostaaten wirksam zu unterstützen. Wer Hilfe in Anspruch nimmt, muss dabei vor allem effektive Sparanstrengungen vornehmen. Dafür tritt die Bundesregierung in jeder Sitzung ein.
Ich hoffe Ihnen mit der Beantwortung Ihrer Fragen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jan-Marco Luczak