Frage an Jakob von Weizsäcker von Reinhard G.
Sehr geehrter Herr von Weizsäcker,
Die "Europäischen "Partnerschafts"abkommen" mit bestimmten Afrika-Karibik-Pazifik-Staaten sollen derzeit (u.a. auch im Bundestag) ratifiziert werden. Sie wurden nicht auf Augenhöhe abgeschlossen.
Brauchen nicht wirtschaftlich schwächere Staaten die Möglichkeit, ihre Wirtschaft durch Schutzzölle und Einfuhrbeschränkungen zu schützen? Nur ein Beispiel: Geflügelteile, die sich in Europa nicht verkaufen, werden tief gefroren und nach Afrika exportiert. Dort machen sie den afrikanischen Geflügelzüchtern zu starke Konkurrenz. Außerdem gefährden sie die Gesundheit, da die Kühlkette unterbrochen wird.
Bei den EPAs geht es nicht nur um Zölle, sondern unter anderem auch, ähnlich wie beim geplanten Handelsabkommen TISA, um Dienstleitungen. Zum Beispiel: internationale Leiharbeit und Finanzdienstleistungen. Ärmere Länder werden jetzt schon ausgeplündert, indem von ausländischen Banken hohe Kreditzinsen (30 % und mehr) verlangt werden. Glauben Sie, dass westliche Großbanken durch die EPAs an den "südlichen Ländern" noch stärker verdienen werden?
Was sagen Sie zu dem Lohndumping durch internationale Leiharbeit - wenn dabei nach dem schlechteren Tarif bezahlt wird? Und zu den Hungerlöhnen, die westliche Konzerne in den südlichen Ländern zahlen? Flüchten Menschen nicht auch, weil ihnen wirtschaftlich die Lebensgrundlage genommen wird? Was sagen Sie zu dem Vorschlag, dass Flüchtlinge in Deutschland nicht mal den Mindestlohn erhalten sollen?
EPA hat noch viel mehr negative Auswirkungen. Einige werden auf den "EPA Factsheets" der "Stop EPA"-Kampagne angesprochen: www.stopepa.de/img/factsheet_EPAs.pdf
Wie stehen Sie zu den EPA-Abkommen?
Bestimmt kennen Sie das "Alternatives Handesmandat". Dabei haben sich Experten von Gewerkschaften und anderen Organisationen zusammengeschlossen, um Alternativen zur Handelspolitik zu erarbeiten. Was halten Sie von den Vorschlägen vom Alternativen Handelsmandat?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr G.,
vielen Dank für Ihre Frage!
Zum Hintergrund: Da die vorherigen Handelsverträge zwischen der EU und den AKP-Staaten nicht den Standards der Welthandelsorganisation WTO entsprachen, wurde es erforderlich, diese durch neue Abkommen zu ersetzen. So wurde bereits im Jahr 2008 ein Abkommen mit den Staaten der Karibik (CARIFORUM) geschlossen. Aktuell befasst sich das Europäische Parlament mit einem Entwurf für ein WPA mit der Gruppe der westafrikanischen Staaten (ECOWAS).
Tatsächlich knüpfen wir Sozialdemokraten im Europäischen Parlament unsere Zustimmung zu den WPA an Bedingungen. Sie müssen Auflagen enthalten, die Umwelt- und Sozialstandards garantieren. Außerdem ist es wichtig, einen kontinuierlichen Kontrollmechanismus vorzusehen, der die Effekte der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen verfolgt. So können dann negative Auswirkungen einzelner Aspekte der WPA mittels einer Revisionsmöglichkeit ausgesetzt werden. Hierbei ist insbesondere die Zivilbevölkerung der AKP-Staaten zu beteiligen - auch um die lokale gesellschaftliche Entwicklung zu unterstützen.
Aber im Grunde stellen Sie ja eine viel größere Frage, nämlich die nach der besten Entwickungsstrategie für ärmere Länder. Hier gibt es zwei widerstrebende Prinzipien. Einerseits ist es sicher richtig, dass erfolgreiche Länder ihren eigenen Weg gehen. Das Erfolgsmodell von Schweden ist nicht dasselbe wie das Erfolgsmodell von Kanada oder von Singapur. Andererseits fällt auf, dass die praktisch alle großen Entwicklungserfolge der letzten Jahre als einen zentralen Pfeiler die exportgetriebene Wirtschaftsentwicklung hatten. Das gilt übrigens ganz besonders für China, wo durch diese exportgetriebene Wirtschaftsentwicklung Hunderte von Millionen Menschen inzwischen der bitteren Armut entkommen sind und in den letzten Jahren angefangen haben, von der Lohndynamik weiter zu profitieren.
Natürlich wären auch heute noch die Löhne in China für einen deutschen Arbeitnehmer zum Überleben viel zu wenig. Aber aufgrund der viel höheren Produktivität in Deutschland können die Löhne bei uns viel höher sein, und die Produktivät ist bei uns nicht zuletzt aufgrund der internationalen Verflechtung und Spezialisierung so hoch. Das Erstaunliche ist also: tendenziell profitieren vom Welthandel sowohl ärmere Entwicklungsländer wie auch Länder wie Deutschland.
Deshalb bin ich auch tendenziell für die Partnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten, die eine bessere Integration dieser Ländern in den Weltmarkt ermöglichen. Dabei steckt allerdings der Teufel im Detail und insgesamt darf die Möglichkeit dieser Länder, ihren eigenständigen Weg der Entwicklung zu gehen, nicht über Gebühr eingeschränkt werden. Davon ausnehmen möchte ich aber ausdrücklich die Handlungsspielräume korrupter Eliten, die häufig international abgeschottete Märkte zu ihrem privaten wirtschaftlichen Vorteil ummünzen.
Richtig ist auch, dass es im Vergleich zu den TTIP-Verhandlung, bei der sich zwei zumindest ähnlich starke Verhandlungspartner gegenüber stehen, bei den Verhandlungen mit den AKP-Staaten eher die Gefahr eines Macht-Ungleichgewichts zu Gunsten der EU gibt. Deshalb begrüße ich es sehr, wenn die Zivilgesellschaft genau hinschaut, was wir unseren ärmeren Partnerländern abverlangen, auch wenn ich mir manchmal wünschen würde, dass die Entwicklungschancen, die sich durch solche Abkommen ergeben können, ähnlich klar gesehen und beschrieben würden wie die zweifelsohne auch vorhandenen Risiken.
In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihr Interesse und Ihr Engagement für eine gerechte Handelspolitik und verbleibe
mit freundlichen Grüßen,
Jakob Weizsäcker