Frage an Iris Firmenich von Angelika H. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Firmenich,
überall werden (mit Fördermitteln) Kindergärten und Kinderkrippen gebaut bzw. ausgebaut. Viele Eltern und Arbeitsgeber jubeln.
Ich als Mutter und Großmutter sehe diese Entwicklung kritisch. Ich behaupte, in 10 Jahren werden junge Mütter, welche ihrem Gefühl nachgehen, ihr Kleinstkind unter ca. 2 Jahren selbst zu hause zu betreuen, schief angesehen. Ich selbst habe das in der DDR erlebt. Um mein Studium nicht zu gefährden, gab ich mein erstes Kind in eine Kinderkrippe. Bei meinem zweiten Kind wollte ich das morgendliche Weinen zum Abschied, Klammern, Unruhe, Stress u.a. nicht wieder mir und dem Kind zumuten. Ich blieb 3 Jahre zu hause. "Ob ich mir denn d a s leisten könne?", "Fällt Dir nicht die Decke auf den Kopf?", "Das Kind braucht doch Gesellschaft!", "Willst Du nicht arbeiten-oder...?", usw.usf.
Es waren die schönsten 3 Jahre meines Lebens!
Warum gönnen wir den Kindern und den Müttern nicht diese Zeit? (Sicherlich gibt es Situationen, wo so ein Platz notwendig ist.)
Auslöser für mein Anliegen an Sie war der Bericht in spiegel online: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/studie-ueber-die-gruende-von-migranten-ihre-kinder-zu-hause-zu-erziehen-a-903758.html "Einer der wesentlichen Gründe für die Entscheidung der Eltern sind pädagogische Vorstellungen. Zum Beispiel darüber, wann der richtige Zeitpunkt ist, ein Kind außerhalb der Familie betreuen zu lassen. Türkischstämmige Bürger kennen etwa aus ihrem Herkunftsland die Institution Kindergarten kaum. ....Der Schwerpunkt in der Erziehung der Kleinkinder besteht dort darin, eine gute und enge Beziehung zwischen Eltern und Nachwuchs aufzubauen. "
Sehr geehrte Frau Firmenich, war das nicht auch bislang der Schwerpunkt für Kinder deutscher Familien, bevor man seit einiger Zeit damit begonnen hat, dies wie zu DDR-Zeiten zu untergraben? Der deutsche Michel geht brav früh um Sechs mit seinem Kind aus dem Haus!
Mit freundlichen Grüßen
Angelika Hörner
Liebe Frau Hoerner,
wir kennen uns ja nun schon lange. Ich finde es gut, dass Sie sich so intensiv mit Politik beschäftigen und auch deutlich Ihre Meinung sagen. In Ihrem Schreiben an abgeordnetenwatch.de sprechen Sie ein Thema an, was auch mir sehr am Herzen liegt. Sie haben Ihr Zweifel, ob es wirklich im Interesse der Kinder ist, sie so zeitig wie möglich in eine Kita zur Betreuung zu geben und Sie stellen die umfangreiche Förderung für den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur in Frage. Da haben Sie ja ein Thema angesprochen, zu dem es wirklich viel zu sagen gibt.
Als CDU-Politikerin und Mutter dreier Kinder bin ich selbst davon überzeugt, dass es für das Kind wichtig und sehr förderlich ist, wenn es in der ersten zwei bis drei Jahren in einem familiären und geborgenen Umfeld aufwachsen kann. Kinder brauchen für ihre Entwicklung stabile Bindungen zu ihren engsten Bezugspersonen, brauchen Sicherheit und positive emotionale Erfahrungen, damit sie sich zu selbstsicheren, lebensfrohen Persönlichkeiten entwickeln können. Neuopsychologen bestätigen dies immer wieder und zeigen uns auch den Zusammenhang zwischen fehlenden Bindungen und Verhaltensauffälligkeiten im späteren Leben auf. Leider will der Mainstream diese Stimmen nicht hören.
Wie ist die derzeitige Situation:
In unserer Gesellschaft werden Normen gesetzt, die leider kaum jemand hinterfragt.
Warum soll ein Kind möglichst schon ab dem vollendeten 1. Lebensjahr in eine Kita gehen?
1. Es wird behauptet, dass frühkindliche Bildung nur in einer Kindertagesstätte stattfindet und wer sein Kind nicht in die Kita bringt, hält es von Bildung fern und handelt verantwortungslos.
Unsinn! Es kommt doch in erster Linie darauf an, ob und wie das Elternhaus seine Pflichten zu erfüllen bereit und in der Lage ist. Ich bin seit Jahren als Vorstandsmitglied in der Evangelischen Grundschule Frankenberg engagiert. Wir haben etliche Familien, die sich bewusst dafür entschieden haben, ihre Kinder - meist mehrere - in den ersten Jahren zu Hause zu erziehen. Diese Kinder sind wohlerzogen und stehen in ihrem Entwicklungsstand den anderen nicht nach. Natürlich gibt es Familien, die nicht in der Lage sind, ihrer Elternverantwortung nachzukommen. Darunter leiden meistens die Kinder. Dort ist die Kita mit Sicherheit eine gute Alternative für das Kind - aber weshalb muss man das auf alle verallgemeinern? Kinder brauchen auch keine Bildungsangebote im Sinne von Schule für die ganz Kleinen. Sie brauchen Räume und Gelegenheiten, sich auszuprobieren, zu experimentieren. Möglichkeiten, ihre Umwelt zu erforschen. Begreifen kommt von anfassen! Kinder kann man nicht "bilden", Bildung passiert in einem aktiven Selbstlernprozess mit Begleitung in der ganzen Breite unseres alltäglichen Lebens, in allem, was für das Kind in seinem Umfeld wichtig ist. Das kann das häusliche Umfeld sein, eine Tagespflegestelle oder auch eine gut aufgestellte Kita.
Unabhängig davon ist es für Kinder natürlich wichtig, Kontakt zu anderen Kindern zu haben, besonders bei Einzelkindern. Deshalb gehen Kinder auch gern "zu den KIndern" in eine Einrichtung. Sie brauchen Spielkameraden. Für die ganz Kleinen kann das auch ein Krabbelgruppe leisten oder ein Mutti-Treff mit dem Nebeneffekt, dass die jungen Mütter Kontakte knüpfen, sich austauschen und nicht einsam zu Hause sitzen.
2. Unsere Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Wo es vor einigen Jahren als Mutter mit kleinen Kindern äußerst schwer war, einen Job zu finden, hat die Wirtschaft nun die Arbeitskräftereserve "Frauen" entdeckt und möchte natürlich auch die jungen Muttis schnell wieder am Arbeitsplatz sehen. Das ist der Grund, weshalb viele Unternehmen beginnen Betriebskitas zu errichten oder sich in Kitas "einzukaufen" und dort Plätze für ihre Mitarbeiterinnen vorzuhalten. Daran ist nichts zu kritisieren. Der zweite, noch wichtigere Schritt wäre jetzt, zu akzeptieren, dass Kinder Zeit brauchen. Das heißt, die Unternehmen müssen sich Gedanken machen, wie sie flexiblere Arbeitszeitmodelle schaffen, Teilzeitarbeit ermöglichen, Fortbildung anbieten, damit die Mutter fachlich auf dem Laufenden bleiben kann, Toleranz bei Krankheit des Kindes zeigen und trotz Kindererziehung die Aufstiegschancen der jungen Mütter gewährleisten. Dort hapert es noch sehr. Frauen, die beruflich Karriere machen wollen und trotzdem nicht auf Kinder verzichten, leben in einem ständigen Zwiespalt zwischen dem schlechten Gewissen gegenüber ihrem Kind/ ihren Kindern, für die sie zu wenig Zeit haben und ihrem eigenen hohen Anspruch an den Job, den sie auf Grund der Familie nicht erfüllen können. Das ist eine belastende Situation!
3. Manche Frau und Mutter würde gern länger mit ihrem Kind zu Hause bleiben, kann aber nicht, weil das Familieneinkommen zu gering ist und sie Geld verdienen muss. Besonders hart betroffen sind davon Alleinerziehende (auch Väter), die gar keine Wahl haben, als nach einem Jahr wieder zur Arbeit zu gehen. Auch für Selbständige ist es keine Option, länger als unbedingt notwendig aus dem Beruf auszusteigen, da sonst ihre Existenz auf dem Spiel steht. In Berufen mit einem schnellen Wissenszuwachs, z.B. in der EDV-Branche, bedeutet ein Jahr und länger zu pausieren, dass man unter Umständen den Wiedereinstieg nicht mehr schafft, weil man der Anschluss an das aktuelle Niveau verloren hat. Ganz junge Mütter (Schülerinnen und Studentinnen) wollen ihre Ausbildung abschließen und wieder andere möchten gar nicht länger zu Hause bleiben, weil ihnen dort "die Decke auf den Kopf fällt", was heißt, dass sie zu Hause einsam sind und keine oder zu wenige soziale Kontakte haben. Daran sient man, dass es keine Pauschalantwort auf die Frage der Kinderbetreuung geben kann, weil die konkrete Situation einer Familie maßgeblich für die Entscheidung ist.
Das heißt, dass es jede Familie selbst wählen können muss, was für sie und ihr Kind/ihre KInder die richtige Entscheidung ist. Das kann eine Kita sein oder eine Tagespflege oder die Oma oder die Betreuung durch Mutter oder Vater zu Hause. Letzteres unterstützen wir in Sachsen seit Jahren durch unser Landeserziehungsgeld, was über die Elternzeit hinaus gezahlt und von vielen jungen Eltern gern in Anspruch genommen wird. Für diejenigen, die eine Betreuung für Ihr Kind/ihre Kinder benötigen oder wollen, braucht es Betreuungsplätze. Ab 1. August gibt es nun sogar einen Rechtsanspruch ab Vollendung des ersten Lebensjahres auf einen Betreuungsplatz. Dazu mag man stehen wie man will, es gehört zur Wahlfreiheit der Eltern dazu.
Mich ärgert allerdings sehr, wenn aus verschiednensten Richtungen der Politik und aus den Reihen mancher Verbände quasi eine Bewertung vorgenommen wird, was gute und was schlechte Entscheidungen sind. Der Streit um das Betreuungsgeld hat zuweilen Formen angenommen, die unerträglich sind. Es steht keinem Politiker/keiner Politikerin und auch niemand anderes zu, in irgend einer Weise zu werten, ob es gut und richtig ist, dass eine Mutter zu Gunsten ihres KIndes zu Hause bleibt oder ob sie ihr Kind in die Kita bringt. Anstatt die Erziehungsleistung der Familien mit Wertschätzung anzuerkennen, wird sie mit dem erniedrigenden Begriff der "Herdprämie" für das Erziehungsgeld herabgewürdigt. Mit welchem Recht? Als Argument wird dann wiederum auf die Fälle verwiesen, wo Kinder von ihren Eltern vernachlässigt werden und nicht die entsprechende Förderung erfahren. Sicher und leider gibt es Kinder, die sind in einer Kita besser aufgehoben als zu Hause. Aber darf man denn diese Fälle verallgemeinern und daraus ableiten, dass Kinder z. B. nur in der Kita richtig reden lernen, nur in der Kita "gebildet" werden? Haben wir nicht vielmehr schon in der DDR (dort ganz bewusst) den Eltern die Verantwortung für ihre Kinder abgenommen? Ist es nicht auch für manche Eltern ganz bequem, sich nicht um die Erziehung ihres Nachwuchses kümmern zu müssen?
Leider hat sich in unserem Land im Bezug auf dieses Thema ein unguter Mainstream entwickelt, wo jeder, der anderer Meinung ist, als altmodisch hingestellt wird. Das ist sehr schade. Dabei gibt es viele Argumente, die es zu bedenken gilt, wenn man ein Urteil fällen will, z.B. die Gegenüberstellung des finanziellen Aufwands für die Kita-Betreuung und für das Erziehungsgeld, wie Sie es ja getan haben.
Doch schauen wir noch ein Stück weiter: Was passiert in unserer Gesellschaft noch? Der Staat erweckt mit all seinen Fördermaßnahmen den Eindruck, er könne all das, was bisher Familien geleistet haben, mindestens genau so gut, wenn nicht sogar wesentlich besser. Kinderbetreuung kann nur gut ausgebildetes Fachpersonal, ebenso Altenpflege und das natürlich in Räumlichkeiten mit perfekten Bedingungen, die niemand zu Hause bieten kann. Die Wirtschaft braucht Fachkräfte und die immer und überall. Arbeitskräfte müssen mobil sein. Viele junge Menschen ziehen der Arbeit hinterher. Familienstrukturen wie sie früher waren, sind ein Auslaufmodell. Leider! Omas und Opas stehen jungen Eltern kaum noch als Unterstützung zur Verfügung, sie leben weit entfert. Auch wenn die alten Eltern pflegebedürftig werden sind immer seltener die eigenen Kinder in der Nähe, die helfen könnten. Also muss der Staat Ersatz schaffen. Über die emensen Kosten spricht man erst, wenn es anfängt, unbezahlbar zu werden. Doch in der Zwischenzeit hat sich unsere Gesellschaft so verändert, dass diese Entwicklung nicht rückgängig gemacht werden kann. Trotz aller Anstrengungen steigen die Geburtenraten in Deutschland nur marginal und eine Ursache ist der Zerfall der Familienstrukturen. Ich würde mich freuen, wenn sich diese Erkenntnis auch bei den Mainstream-prägenden politisch Verantwortlichen in Berlin durchsetzen würde. Die Leistungen der Erziehungsarbeit und der Pflege von Familienangehörigen braucht mehr gesellschaftliche Wertschätzung und es bedarf der Akzeptanz, dass Familien selbst über ihren Lebensentwurf entscheiden wollen. Finanzielle Förderung der Familien ist sinnvoll und nötig, aber gleichberechtigt und nicht als Mittel zur Differenzierung von guter oder schlechter Betreuung.