Frage an Ingrid Arndt-Brauer von Ulrich D. bezüglich Wirtschaft
Preissteigerung bis 50% - Laktoseintoleranz - Export Fern Ost
Sehr geehrte Frau Arndt-Brauer,
die Begründung der Milchverbände - über die Nachrichtensendungen der Fernsehanstalten verbreitet - über notwendige Preissteigerungen aller Milch enthaltenen Produkte bis zu 50% ab 1.8.2007 auf Grund höher Exporte in Richtung Fern Ost ist extrem unglaubwürdig.
Warum?
1. In Asien und Afrika betrifft die Laktoseintoleranz („Milchunverträglichkeit“) den größten Teil der erwachsenen Bevölkerung (90 % oder mehr), in Westeuropa, Australien und Nordamerika sind es 5 bis 15 % (bei hellhäutigen Menschen). Laktoseintoleranz gilt nur in Ländern mit verbreiteter Laktosetoleranz als Nahrungsmittelunverträglichkeit, in allen übrigen Ländern ist das der Normalzustand bei Erwachsenen.
Quelle: Wikipedia / Verein für Laktoseintoleranz / Die Zeit
2. Wenn in den Ländern mit über 90% Nahrungsmittelunverträglichkeit von Milchprodukten der Menschen, für den europäischen und nordamerikanischen Markt verstärkt Milchprodukte (ein lokaler Konsum ist ja ausgeschlossen) hergestellt werden sollte, ist der Gesamtbedarf an Milch weltweit fast gleich. Es würde dann im Gegenzug in den Ländern mit europäisch geprägten Menschen weniger hergestellt, da die Aufnahmefähigkeit eines Menschen begrenzt ist und laut Statistik die Bevölkerung in diesen Ländern abnimmt.
Oder spielen hier die Subventionen der EU ein Rolle?
Es scheint, dass die Profitgier mit Schlagworte aus PR-Agenturen: „Die Chinesen…., die Globalisierung…., Angebot und Nachfrage….., Aufstellung im globalen Wettbewerb.. usw.
begründet werden soll.
Was unternehmen Sie?
Fragen:
1. Diese angekündigten und teilweise schon vollzogenen Preiserhöhungen treffen gerade junge Familien und Senioren besonders stark. Wo bleibt das publikumwirksame Lamento der Politiker, wie es bei starken Steigerungen des Benzinpreises üblich ist?
2. Wo bleiben die notwendigen Rentenerhöhungen oder will man durch Mangelernäherung den Bestand der Alten reduzieren?
MFG
Dissars
Sehr geehrter Herr Dissars,
vielen Dank für Ihre Fragen. Da Sie mir zum wiederholten Male Fragen übersandt haben, möchte ich Ihnen ein persönliches Gespräch anbieten, welches die Gelegenheit zu einer vertieften Diskussion bietet. Für Terminabsprachen können Sie sich gerne an mein Büro in Berlin wenden. Ihre Fragen zur aktuellen Problematik der Nahrungsmittelpreiserhöhungen, besonders bei Milchprodukten, beantworte ich wie gerne:
Es gibt mehrere Gründe für den Preisanstieg für Milchprodukte sind. Trotz der von Ihnen angesprochenen Laktoseintoleranz werden in Asien, vor allem in Indien und China mit ihren Milliardenvölkern, aufgrund steigenden wirtschaftlichen Wohlstands deutlich mehr Milchprodukte konsumiert. Das gilt auch für Russland. Hinzu kommen Dürren in Neuseeland und Australien, die so als wichtige Milch-Lieferanten ausgefallen sind. Zudem ist die Landwirtschaft in Europa über die Flächenprämie marktangepasster geworden. Butterberge und Milchseen gehören zum Glück der Vergangenheit an. Ein kleinerer Teil der jetzigen Preissteigerungen ist auch auf die zunehmende Flächenverknappung durch konkurrierenden Anbau von Energiepflanzen zurückzuführen. Allerdings glaube ich, dass die Bioenenergien hier als Vorwand genutzt werden, um höhere Preise zu erzielen. Ein viel größeres Problem ist die Ausweitung der Fleischproduktion, die weltweit ca. 30% der Fläche beansprucht. Bei uns in Deutschland sogar ca. 60%! Die Welternährungsorganisation der UNO - die FAO - geht von einer Steigerung der benötigten Flächen für die Fleischerzeugung bis 2050 um 50% aus!
Es macht auch ökonomisch keinen Sinn jetzt wieder verstärkt die Milchwirtschaft zu subventionieren. Der Preis für unsere EU-Milcherzeugnisse liegt weit über dem Niveau des Weltmarktes. Wir subventionieren unsere Landwirtschaft in Europa, wodurch fast die Hälfte des EU-Budgets benötigt wird, um Landwirtschaft verbrauchernah zu erhalten. Erneute Subventionssteigerungen sind weder den Steuerzahlern zuzumuten, noch bewirken sie Preissenkungen. Eher würden die schon überwundenen Milchseen wieder entstehen, da auch Länder wie China seit dem Jahr 2000 ihre Milcherzeugung schon vervierfacht haben und zur Zeit ihre Produktion weiter ausbauen. Ein Ausbau der hochsubventionierten EU-Milchkapazitäten und der Exporte nach China und andere Länder in Übersee wäre auch handelspolitisch (WTO) kaum vermittelbar und klimapolitisch kontrapoduktiv - geben doch Kühe Methan an die Atmosphäre ab, welches ein 23 x stärkeres Treibhausgas ist als Kohlendioxid.
Grundsätzlich geben wir in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten wesentlich geringere Teile unseres Einkommens für Lebensmittel aus. Das hat dazu geführt, dass Bauern für die von uns gewünschten qualitativ hochwertigen Lebensmittel zu wenig bekommen haben, um wirtschaftlich zu produzieren. Gute Nahrung ist lebensnotwendig und hat auch ihren Preis. Daher denke ich, dass die Menschen auch etwas höhere Lebensmittelpreise akzeptieren (sollten). Ich bin allerdings dagegen, wenn der Handel versucht die jetzige Marktsituation für unangemessene Preiserhöhungen, wie die von Ihnen beschriebene Erhöhung für einzelne Milchprodukte bis zu 50%, auszunutzen. Hier werden meine Kollegen und ich genau hinsehen und alles tun was in unseren Möglichkeiten steht, um nicht adäquatem Preisanstieg gegenzusteuern.
Sie verweisen zu Recht auf die sozialen Auswirkungen der Preissteigerungen, die auch mich bewegen. Besonders die von Ihnen genannten Familien, Rentner und Sozialhilfe-Hartz IV-Empfänger spüren die Teuerungen bei den Grundnahrungsmitteln deutlich, da sie einen sehr viel höheren Prozentsatz ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben (müssen). Bislang haben die konstant niedrigen Nahrungsmittelpreise dafür gesorgt, die Inflation zu dämpfen und die Hartz IV-Bedarfssätze, sprich das Existenzminimum, mehr oder weiniger stabil zu halten. Wenn sich hier aber jetzt lang andauernde Veränderungen ergeben - bei gleichbleibenden oder gar steigenden übrigen Kosten für die Lebensführung - bin ich sehr dafür, die Bedarfssätze (s. Anmerkungen zur EVS) entsprechend anzupassen. Dafür will ich mich auch gerne einsetzen.
Das Existenzminimum für Empfänger von ALG II (Hartz IV) oder für RenterInnen (Grundsicherung) wird mittels einer sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt. Diese ist seit 1964 fester Bestandteil der amtlichen Statistik und wird gemeinsam durch das Statistische Bundesamt und die Statistischen Landesämtern im Abstand von fünf Jahren durchgeführt. Die EVS liefert damit aktuelle Ergebnisse über die Entwicklung der Lebensverhältnisse privater Haushalte im früheren Bundesgebiet für vier Jahrzehnte. Einbezogen werden alle Kosten für z.B. Mobilität, Strom, Kleidung, Nahrung, Kultur/Freizeit etc.). In den neuen Ländern und Berlin-Ost fand die EVS nach 1993 und 1998 im Jahr 2003 zum dritten Mal statt, so dass für Gesamtdeutschland für einen Zeitraum von zehn Jahren vergleichbare Informationen vorliegen. Die letzte (bundesweite) EVS fand 2006 statt, die nächste EVS ist für das Jahr 2008 vorgesehen. Rund 0,2 Prozent aller Haushalte, zuletzt etwa 75 000 (davon 15 000 in den neuen Ländern und Berlin-Ost), nehmen auf freiwilliger Basis an der EVS teil. Es handelt sich dabei um eine Quotenstichprobe. Die Haushalte werden nach einem Quotenplan ausgewählt. Die Grundgesamtheit der Haushalte wird dabei für jedes der 16 Länder nach vorgegebenen Quotierungsmerkmalen (Haushaltstyp, soziale Stellung des Haupteinkommensbeziehers und Haushaltsnettoeinkommen) gegliedert.
Ihre Forderung nach einer Rentenanpassung kann ich zwar nachvollziehen. Ihre darwinistische Andeutung, dass die Politik im Falle eines Verzichtes auf Rentenerhöhungen Mangelernährung gezielt in Kauf nimmt, um den "Altenbestand" zu minimieren, weise ich auf das aller schärfste zurück! Wie Sie vielleicht noch wissen, hat die rot-grüne Regierung im Jahre 2000 die sog. Altersgrundsicherung eingeführt. Wir haben damals den Rückgriff auf die Konten der Kinder beendet und eine eigenständige Altersgrundsicherung (auf dem ALG II-Niveau=Existenzminimum) für die Rentnerinnen eingeführt, die von ihrer Rente nicht auskömmlich leben konnten. Damit haben wir die versteckte oder verschämte Altersarmut beendet! Alte Menschen gingen nicht zum Sozialamt, damit nicht auf ihre Kinder zurückgegriffen wird. Viele hatten dann so wenig Geld, dass sie gehungert haben.
Wenn die EVS im nächsten Jahr ergeben sollte, dass die Bedarfssätze für das Existenzminimum angehoben werden müssen, werden auch die Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung erhalten von einer Anhebung profitieren. Das gilt auch für die Familien, wo es meiner Meinung nach dringend erforderlich ist, die Bedarfssätze für Kinder und Jugendliche zu überprüfen, um die sozialverträglichkeit zu gewährleisten.
mit freundlichen Grüßen
gez. Ingrid Arndt-Brauer