Frage an Ingrid Arndt-Brauer von Joachim N. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Arndt-Brauer,
heute habe ich in den Medien von Ihren Vorschlag erfahren, dass Sie eine einheitliche Mehrwertsteuer von 16 % auf alle Lebensmittel eingeführt werden soll! Laut Medien vertreten Sie die Auffassung, in Deutschland seien die Lebensmittel spott billig und deshalb sei eine geringfügige Verteuerung der Lebensmittel - offensichtlich durch die Erhebung von 16 % Mehrwertsteuer auf alle Lebensmittel - der Bevölkerung zumutbar!
Dazu hätte ich von Ihnen gerne folgende Fragen beantwortet:
1.
Verkennt die SPD ihr Wählerklientel (SPD Wähler sind in der Regel die Bürger dieses Landes mit geringem Einkommen) ?
2.
Ist mit einer Änderung ist beabsichtigt, mit der Änderung des Mehrwertsteuersatzes zugleich die kalte Progression der Einkommenssteuer zu beseitigen ?
Sehr geehrter Herr Neu ,
vielen Dank für Ihre Fragen. Meine Äußerung zu den Lebensmittelpreisen war sehr unglücklich und wurde daher folgerichtig falsch verstanden, was mir sehr leid tut. Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn sind unsere Preise für Nahrungsmittel kaufkraftbezogen eher günstig. Im Jahre 2012 gaben Bundesbürger im Schnitt ca. 13% ihres Einkommens für Tabak, Nahrungsmittel und Getränke aus.
Mein MwSt.-Vorschlag galt der Steuervereinfachung. Es gibt einen unbestreitbaren erheblichen Wildwuchs bei den Mehrwertsteuersätzen. Dessen mehr als 200 Ausnahmen werden häufig gezielt für steuerliche und wirtschaftliche Gestaltungszwecke zum Schaden der Allgemeinheit ausgenutzt. Daher halte ich die Mehrwert-/Umsatzsteuer grundsätzlich für ein ungeeignetes Instrument Steuergerechtigkeit herzustellen.
Die SPD hat in ihrem Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2013 viele Vorstellungen für mehr Steuergerechtigkeit entwickelt, die wesentlich gezielter wirken. Darunter das Anheben des Spitzensteuersatzes auf 49% und die Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 25 auf 32%. Darüber hinaus wollten wir hohe Einkommen auch bei der Erbschafts- und Vermögenssteuer stärker in die Pflicht nehmen. Wie Ihnen bekannt ist, ließen sich alle diese Maßnahmen zur Erhöhung der Steuergerechtigkeit nicht in den Koalitionsvertrag hineinverhandeln - was als 25% Koalitionspartner gegenüber mehr als 41% bei den Unionsparteien auch nicht möglich war.
Was die einkommensschwachen Haushalte (insbesondere die der Bezieher von Transfer- und Hilfsleistungen) betrifft: Hier hat der Gesetzgeber Vorsorge getroffen, damit diese nicht von Preissteigerungen überfordert werden! Sollte es entgegen der Ergebnisse der Studie des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitutes durch einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz zu Mehrbelastungen von Menschen kommen, die auf Transferzahlungen angewiesen sind (Hartz-IV, Sozialhilfe, Grundsicherung), würde dieses durch höhere Regelsätze/Anpassung des Existenzminimums ausgeglichen. Die Höhe der Regelsätze wird regelmäßig überprüft und der Preisentwicklung angepasst. Grundlage ist die statistische Erhebung des Konsumverhaltens der 20% der Haushalte mit dem untersten Einkommen. Dieses geschieht mit der sog. Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (kurz „EVS”). Die EVS wird seit 50 Jahren im Abstand von fünf Jahren durchgeführt und ergibt ein repräsentatives Bild der Lebenssituation der Bevölkerung in Deutschland. Das wichtigste Ziel der EVS ist es, Daten für die Berechnung der Regelsätze für die ALG II/Sozialhilfe/Grundsicherung bereitzustellen.
Um kurzfristige Änderungen der Lebenshaltungskosten zu erfassen, erfolgt zusätzlich eine jährliche Anpassung. Deren Höhe hängt von einem „Mischindex“ ab, in den die Preisentwicklung (zu 70 Prozent) und der Lohnentwicklung (zu 30 Prozent) eingehen. Die Anpassung nach diesem gesetzlich festgeschrieben Mechanismus erfolgt immer zu Jahresbeginn. Preissteigerungen bei Lebensmitteln würden somit im zeitig mehrheitlich ausgeglichen werden können.
Geringverdienern helfen vor allem eines: Gute Löhne! Gegen langjährigen Widerstand werden wir einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn beschließen. Dieser wird gezielt vielen Menschen mit geringem Einkommen zu Gute kommen. Auch Maßnahmen gegen Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen sowie die Aufnahme weiterer Branchen in das Arbeitnehmerentsendegesetz zielen darauf ab, die Einkommenssituation von Geringverdienern zu verbessern.
Ich hoffe, dass ich Ihnen den Hintergrund meines Vorschlages etwas besser erläutern konnte. Die SPD und auch ich selbst werden übrigens weiter am Ziel einer gerechteren Steuer- und Arbeitsmarktpolitik festhalten. Um diese noch besser durchsetzen zu können, bedarf es jedoch anderer Mehrheitsverhältnisse.
Zu Ihrer zweiten Frage kann ich Ihnen mitteilen, dass mein Vorschlag nicht in Zusammenhang mit der Beseitigung der "kalten Progression" steht. Angesichts der gegenwärtigen geringen Inflation ist zu diesem Thema keine gesetzliche Initiative geplant.
Mit freundlichen Grüßen
Ingrid Arndt-Brauer, MdB