Frage an Ingrid Arndt-Brauer von Guido F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Arndt-Brauer,
in Ihren Antworten an Herrn Grunhack und Herrn Dissars nehmen Sie Stellung zur Drogenpolitik und weisen auf verschiedene internationale Abkommen hin, die vermeintlich maßgeblich für die deutsche Gesetzgebung sind.
Artikel 36 des "Einheitsabkommens" besagt, dass die Unterzeichnerstaaten lediglich „unter Vorbehalt ihrer verfassungsrechtlichen Bestimmungen“ zur Umwandlung in nationales Recht verpflichtet sind. (vgl. http://tinyurl.com/34f8afa )
Wird diese innerstaatliche Ratifizierungsfreiheit durch andere Abkommen so eingeschränkt, dass Bestimmungen des Grundgesetzes und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts außer Kraft gesetzt werden?
Wenn nicht, warum ist dann nach dem Beschluss BVerfGE 90/145 ( http://tinyurl.com/bv90145 ), mit dem Verfassungsrichter entschieden, dass die Strafandrohung für Verhaltensweisen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen Cannabis vorbereiten, gegen das Übermaßverbot verstößt, dennoch keine Regelung möglich, die bei geringen Mengen auf eine Strafandrohung verzichtet und so für eine bundesweite Rechtsgleichheit sorgt?
Welche Sanktionen drohen bei einem Verstoß gegen die Abkommen?
Alkohol ist eine der gefährlichsten Drogen (vgl. "The Lancet",Bd.369, S.1047, 2007).
3.3 Mio. Bundesbürger sind abhängig von Alkohol oder konsumieren ihn missbräuchlich, 9,5 Mio. trinken täglich gesundheitsschädliche Mengen und mehr als 73.000 sterben jährlich aufgrund übermäßigen Alkoholkonsums (vgl. http://tinyurl.com/Alk-DHS ).
Im Jahr 2008 wurden 393.000 Personen wegen alkoholbedingter Krankheiten behandelt, 333.000 davon wegen psychischer und Verhaltensstörungen (Quelle: "Diagnosedaten der Krankenhäuser ab 2000" über www.gbe-bund.de, Stichwortsuche: Alkohol).
Warum wurde Alkohol bis heute nicht in die verschiedenen Abkommen aufgenommen?
Gibt es Bestrebungen Deutschlands, Alkohol in diese Abkommen einzubeziehen, und würden Sie diese Bestrebungen unterstützen?
Freundliche Grüße
Guido Friedewald
Sehr geehrter Herr Friedewald,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Das Einheitsabkommen bildet bis dato die Basis für eine weltweite Drogenkontrolle, ohne den wissenschaftlichen und medizinischen Gebrauch zu verhindern. Ich kann keine deutschen verfassungsrechtlichen Bestimmungen sehen, die Ausnahmen bei strafrechtlichen Maßnahmen gegen das „Anbauen, Gewinnen, Herstellen, Ausziehen, Zubereiten, Besitzen, Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Kaufen, Verkaufen, Liefern und Ausführen von Betäubungsmitteln sowie jede der nach Ansicht der betreffenden Vertragspartei gegen die Bestimmungen dieses Übereinkommens verstoßende sonstige Handlung“ notwendig machen würden.
Im Gegenteil, laut Artikel 39 des Einheitsabkommens sind die einzelnen Vertragsparteien sogar berechtigt, schärfere oder strengere Kontrollmaßnahmen zu treffen, als diese im Übereinkommen vorgesehen sind, wenn diese mit dem jeweiligen nationalen Recht vereinbar sind.
Die einzelnen Länder bekennen sich freiwillig zu diesem Abkommen, da sie alle ein Interesse an der Verhinderung von Drogenhandel, -anbau und -gebrauch haben. Daher ist ein Verstoß kaum vorstellbar, da er nationalen Interessen widersprechen würde. Sollte es dennoch passieren, werden sich die Länder auf geeignete wirtschaftliche Sanktionen verständigen. Verpflichtende Embargos wurden 1961 nicht festgeschrieben.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es kein „Recht auf Rausch“ gibt, wenn dadurch gegen den Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes verstoßen wird. Dort steht eindeutig, dass jeder das Recht auf eine freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat, mit unter anderem der Einschränkung, dass er dabei nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung und Recht und Gesetz verstoßen darf.
Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls eindeutig festgestellt, dass die Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes, die sich ausschließlich gegen den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten beziehen, NICHT gegen das Übermaßverbot verstoßen, weil es eine individuelle Beurteilung jedes einzelnen Falles ermöglicht und somit auch das Absehen von Strafe möglich ist.
Ich halte es für richtig, einen Ermessensspielraum vor Ort bei der Strafverfolgung zuzulassen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass es sich eben tatsächlich um einen gelegentlichen oder erstmaligen und geringen Verbrauch handelt, der geringer oder gar nicht strafrechtlich verfolgt wird, während man sich eben bei einer Häufung in einer kurzen Zeit nicht mehr darauf berufen kann und somit auch die strafrechtlichen Folgen tragen muss.
Ja, Sie haben recht, dass Alkohol, aber auch alle Tabakprodukte, missbräuchlich angewendet, schlimme Folgen für die Gesundheit haben. Aber man sollte mündigen Bürgerinnen und Bürgern zugestehen, möglichst eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten. Dazu gehört auch der Umgang mit Alkohol. Erwerb und Genuss gehören zur freien Entfaltung. Aber auch hier gilt, wird dabei gegen Gesetze verstoßen, erfolgt eine strafrechtliche Ahndung. Zum Beispiel, bei der Abgabe von Alkohol an Minderjährige.
Auch wenn manche Menschen bedauerlicherweise Alkohol als Droge missbrauchen, handelt es sich bei Alkohol vorrangig um ein Genussmittel während es sich bei Cannabis vorrangig um eine Droge handelt. Deutschland hat keine Bestrebungen zukünftig Alkohol in diese Abkommen einzubeziehen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Ingrid Arndt-Brauer