Frage an Hubertus Zdebel von Jan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Zdebel
Meine Frage bezieht sich auf die aktuelle Situation des Journalisten Julian Assange, der laut Berichten des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer im britischen Belmarsh-Gefängnis unter Folterbedingungen inhaftiert ist, worunter seine gesundheitliche Lage extrem leidet.
Mich interessiert, wie sich die Linke zu dem Fall Assange positioniert. Denken Sie, dass die völkerrechtlichen Gundlagen in dieser Sache eingehalten oder missachtet werden?
Des weiteren interessiert mich, ob Sie die Pressefreitheit in unserer westlichen Wertegemeinschaft gefährdet sehen, oder ob sie der Meinung sind, dass es rechtskonform ist, einen Mann, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, in einem europäischen Land zu Tode zu foltern. Sollten Sie Einwände gegen die Haftbedingungen haben, bitte ich um Auskunft darüber, wie sich die Linke für Julian Assange einsetzt und was sie konkret in dieser Frage unternimmt.
Ich freue mich auf eine schnelle Antwort.
Mit freundlichen Grüßen,
J. M.
Sehr geehrter Herr M.,
ich teile Ihre Sorge um den gesundheitlichen Zustand von Julian Assange und die Missachtung grundlegender Menschenrechte wie die Pressefreiheit voll und ganz.
Die seit Jahren anhaltende juristische und politische Verfolgung eines Investigativ-Journalisten, der Kriegsverbrechen und dutzende staatliche Affären (hauptsächlich der USA, aber auch anderer Staaten) aufgedeckt hat, ist schon Skandal genug. Dass Assange mittlerweile seit Monaten massiver psychologischer Folter in der Isolationshaft ausgesetzt ist, macht die Situation unerträglich.
Der Schweizer Diplomat und UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, mahnte bereits Ende Mai 2019: „In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so wenig Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu missbrauchen.“
Es ist absolut erschreckend, wie in demokratischen Staaten elementarste Menschenrechte mit Füßen getreten werden, sobald die „nationale Sicherheit“ vermeintlich in Gefahr gerät. Nicht diejenigen, die Kriegsverbrechen publik machen, sondern diejenigen, die Kriegsverbrechen begehen oder vertuschen, gehören hinter Gitter. Die Verfolgung von Julian Assange schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, durch den JournalistInnen aus aller Welt, einschließlich EU-BürgerInnen, an die USA ausgeliefert werden könnten, wenn die Berichterstattung als ein Risiko für die nationale Sicherheit der USA interpretiert wird. Es liegt an uns allen, diesen gefährlichen Präzedenzfall einer extraterritorialen, außergerichtlichen Verfolgung auf europäischem Boden zu verhindern!
Es ist beschämend, wie sehr auch die Bundesregierung und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) vor den USA und Großbritannien kuschen, anstatt endlich konsequent Druck für Assanges Freilassung auszuüben. DIE LINKE hat sich von Beginn an dafür eingesetzt, dass Assange aus der Haft entlassen wird und ungehindert seiner wichtigen Arbeit nachgehen kann. Wir haben zudem die Bundesregierung aufgefordert, Julian Assange politisches Asyl anzubieten. Ganz allgemein fordert DIE LINKE ein Gesetz zum Schutz von Whistleblowern, wie Alexander Ulrich vor wenigen Tagen nochmal im Bundestag bekräftigte: https://www.youtube.com/watch?v=25v6dZC-n6k&feature=share
Unsere Außenpolitikerinnen Sevim Dağdelen und Heike Hänsel haben Assange noch vor seiner Inhaftierung in der ecuadorianischen Botschaft in London besucht (Dez. 2018) vor dem Gefängnis, in dem er in Isolationshaft gehalten wird, demonstriert (April 2019) und zuletzt an einer Gerichtsanhörung zu seiner drohenden Auslieferung an die USA (Okt. 2019) teilgenommen. Außerdem hat die Linksfraktion im Bundestag im vergangenen November eine Anhörung organisiert, an der u.a. Nils Melzer, Kristinn Hrafnsson (Chefredakteur wikileaks) und John Shipton (Julian Assanges Vater) teilgenommen haben.
Nähere Informationen zur Anhörung finden Sie hier: https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/neuer-krieg-gegen-den-journalismus/
Die Macht- und Profitinteressen, die durch die Veröffentlichungen von wikileaks gefährdet sind, sorgen bis heute dafür, dass Assange trotz anhaltender Proteste nicht freigelassen wurde. Unsere Antwort darf nicht Resignation sein, sondern weiterer Druck von unten, aus der Bevölkerung heraus. Nur wenn sich die Menschen eigenständig für die elementaren Grundrechte einsetzen, bleiben diese auch dauerhaft erhalten. Das ist leider eine bittere Lehre aus der Geschichte, die von ständigen politischen Rückschlägen und Freiheitseinschränkungen geprägt ist.
In dem Sinne wünsche ich Ihnen und uns viel Erfolg im weiteren Kampf für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit.
Mit besten Grüßen,
Hubertus Zdebel