Frage an Hubertus Zdebel von Alf H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Zdebel!
Die Wahlperiode des gegenwärtigen Deutschen Bundestages hat die Halbzeit überschritten, damit auch die Große Koalition. Es gibt nun zweieinhalb Jahre parlamentarische Erfahrung mit der Situation einer unter die 20%-Marke verkleinerten Opposition. Diese Tatsache bringt Fragen mit sich. Ich denke v.a. an das Recht auf Anstrengung einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht, das Recht auf Durchsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, die Regelung der Redezeiten im Parlament, die Besetzung der Parlamentarischen Ausschüsse (in bestimmten Fällen) sowie die finanzielle Ausstattung der Fraktionen, wobei die grundsätzliche Notwendigkeit einer Kompensation der strukturellen Überlegenheit der Regierungspartei(en) durch die Oppositionszuschläge anerkannt ist.
Beispiel: Die Redezeiten der Fraktionen in den Debatten entsprechen ihrer quantitativen Stärke. Mir ist bekannt, dass es eine Vereinbarung aus dem Beginn dieser Legislaturperiode gibt, wonach die Oppositionsparteien eine um wenige Minuten erhöhte Redezeit erhalten. Da es keine „Koaliti-on in der Opposition“ gibt, müssen auch konträre oppositionelle Positionen vertreten und dargelegt werden können.
Meine Fragen an Sie sind:
1. Sind Sie der Auffassung, dass in der laufenden Legislaturperiode genug getan wurde, um die Rechte der Opposition zu sichern und zu wahren?
2. Welche weiteren und angemessenen Möglichkeiten sehen Sie, um die verfassungsgemäße Rolle der Opposition zu stärken?
3. Welche Möglichkeiten sehen Sie, das prinzipielle Recht der Opposition aus Art. 93 GG (Nor-menkontrollklage) zu sichern?
Diese Anfrage ist parteiübergreifend formuliert; dies entspricht nicht nur meiner parteipolitischen Präferenzoffenheit, sondern ist auch der Tatsache geschuldet, dass ich sie an alle vier Angeordneten meines Wahlkreises stelle.
Mit freundlichen Grüßen
Alf Hammelrath
Lieber Herr Hammelrath,
vielen Dank für Ihre Frage. Gerade vor dem Hintergrund des kürzlich ergangenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts haben Ihre Fragen zu den Oppositionsrechten im Parlament natürlich besondere Aktualität. Bevor ich zum Urteil des BVerfG Stellung nehme, möchte ich zunächst kurz an den Hergang erinnern, der zu unserer Klage führte:
Wir von der LINKEN sind mit der Handhabe der Oppositionsrechte durch die Regierungskoalition seit Beginn der Legislaturperiode überhaupt nicht einverstanden. Wie Sie richtig anmerken, hat es zu Beginn des Jahres 2014 einige Zugeständnisse von CDU/CSU und SPD gegeben. Die Geschäftsordnung des Bundestags wurde entsprechend um §126a ergänzt. Für die Dauer der 18. Wahlperiode schreibt die Geschäftsordnung nun vor, dass ein Untersuchungsausschuss einberufen werden muss, sobald 120 Mitglieder des Bundestages ihn beantragen (GRÜNE und LINKE stellen zusammen 127 Abgeordnete). Laut Artikel 44 Grundgesetz wird hierzu jedoch ein Quorum von ¼ der Abgeordneten benötigt, welches mit den Stimmen von LINKEN und GRÜNEN nicht erreicht werden kann. Auch wurden der Opposition bei den Redezeiten leichte Zugeständnisse gemacht. Keine Änderung gab es jedoch bspw. im Falle der Beantragung der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG).
Wir von der Linksfraktion halten es für ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Vorgehen, die Rechte der Opposition einzig auf Grundlage der Geschäftsordnung zu sichern. Die rechtliche Handhabe ist äußerst bedenklich, da sie die Bestimmungen der Geschäftsordnung nach dem Willen der Regierungskoalition über die grundgesetzlichen Quoren stellt, die ja nach wie vor gelten. Wir erachteten es daher als notwendig, das Grundgesetz in den entsprechenden Paragraphen 23, 39, 44, 45a und 93 zu ändern und haben zu Beginn der Legislaturperiode einen diesbezüglichen Antrag in den Bundestag eingebracht (siehe dazu BT-Drucksache 18/838: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/008/1800838.pdf ). Dieser sah vor, die grundgesetzlich verankerte Quorenregelung um die Möglichkeit zu ergänzen, dass u.a. Subsidiaritätsklagen, Untersuchungsausschüsse und abstrakte Normenkontrollen von „der Gesamtheit der Fraktionen, die nicht die Bundesregierung tragen“, beantragt werden können. Damit wäre grundgesetzlich gesichert worden, dass die Opposition bei zu geringer Stimmenanzahl unabhängig vom Erreichen des 25-Prozent-Quorums wirksam ihre Rechte wahrnehmen kann.
Doch nicht nur, dass dieser Antrag von der Großen Koalition weggestimmt wurde. Die GRÜNEN haben sich lediglich enthalten und stattdessen der Änderung der Geschäftsordnung zugestimmt. Ich bin der Meinung, dass die Oppositionsrechte nicht von einem ausgekungelten modus vivendi abhängig sein dürfen, der mal so mal so ausgestaltet ist, je nachdem worauf man sich in der Geschäftsordnung einigt. Es bedarf klarer rechtlicher Regelungen anstatt fauler Kompromisse. Deshalb hat die Fraktion der LINKEN eine Organklage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Am 3. Mai wurde unsere Klage jedoch abgewiesen.
Die Begründung des Verfassungsgerichts erscheint mir zunächst plausibel. Laut Auffassung der Richter begründe das Grundgesetz keine spezifischen Rechte für die Oppositionsfraktionen. Die Ausübung von Minderheitenrechten sei „nicht auf oppositionelle Akteure“ zu beschränken, sondern diese Minderheitenrechte seien den „Abgeordneten, die bestimmte Quoren erfüllen, ohne Ansehung ihrer Zusammensetzung zur Verfügung zu stellen.“ Will sagen: Die Anzahl an Stimmen, die einer zu kleinen Opposition fürs Quorum fehlen, könnten theoretisch ja auch aus dem Regierungslager kommen. Dabei bezieht sich das BVerfG auf Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes: „Sie [die Abgeordneten des Deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Leider unterwerfen sich die Abgeordneten im Parlament jedoch regelmäßig dem sogenannten „Fraktionszwang“, und gerade nicht ihrem eigenen Gewissen. Beim Thema Fracking ist mir das zuletzt wieder aufgefallen. Obwohl durchaus einige Abgeordnete der Regierungskoalition sich in ihren Wahlkreisen gegen Fracking aussprechen, stimmten die meisten zuletzt gegen unseren Antrag für ein ausnahmsloses Fracking-Verbot. Eine solche Praxis im Sinne des „Koalitionsfriedens“ ist im Bundestag leider gang und gäbe. Daher hilft an dieser Stelle eine minutiöse Auslegung des Grundgesetzes insofern nicht weiter, als es der Realität im Parlament nicht entspricht. Dass sich jemals Abgeordnete der Regierungsfraktionen den Anträgen auf eine abstrakte Normenkontrolle anschließen würden und auf diesem Wege das nötige Quorum erfüllt würde, ist zwar theoretisch möglich, praktisch halte ich es jedoch für gänzlich ausgeschlossen.
Aus diesem Grund haben wir einen Antrag auf Grundgesetzänderung ins Parlament eingebracht. Es ist schon klar, dass es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts ist, das Grundgesetz zu ändern. Wie Sie sich denken können, ist aber die Bereitschaft der Regierungskoalition zur Absenkung des Quorums im Grundgesetz nicht vorhanden. Die in der Geschäftsordnung nur für diese Wahlperiode festgelegte Ausweitung der Oppositionsrechte steht meiner Ansicht nach jedoch auf äußerst wackligen Füßen. Mir leuchtet es nach wie vor nicht ein, wie es möglich sein soll, dass die gelockerten Bestimmungen der Geschäftsordnung gelten, obwohl die entsprechenden Grundgesetzartikel weiterhin ein Quorum von ¼ vorschreiben. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat die Bedeutung der oppositionellen Kontrollbefugnisse deutlich betont. Sie seien nicht nur im eigenen Interesse der Opposition, sondern dienten der öffentlichen Kontrolle der Regierung. Angesichts der herrschenden Mehrheitsverhältnisse im Bundestag halte ich die Sicherung dieser Kontrollbefugnisse nach wie vor für nicht gewährleistet. Das Thema wird uns also sicherlich weiter begleiten.
Linke Oppositionsarbeit in den Parlamenten wird dennoch weiter darin bestehen, auch hier Alternativen vorzuschlagen und zu erklären, an welchen Interessen und Machtkonstellationen unsere Vorschläge und Anträge unter den gegebenen Umständen scheitern, und die Menschen zu ermutigen, sich selbst zu engagieren. Insofern verstehe ich meine Arbeit im Bundestag auch als Dienstleistung für die außerparlamentarische Bewegung. Auch das Fragerecht des Bundestages etwa konnten wir in der Vergangenheit immer wieder dazu nutzen, um Informationen zu politischen Vorhaben und Verfahren sowie gesellschaftlichen Vorgängen ans Tageslicht zu holen und öffentlich nutzbar zu machen. Und findet die beste Wahrung von Oppositionsrechten nicht ohnehin außerhalb der Parlamente statt, überall dort, wo Menschen sich organisieren, gegen neoliberale Politik und verlogene Krisenlösungsstrategien von rechts protestieren und sich für ein gutes Leben für alle einsetzen?
Sollten Sie weitere Fragen, Hinweise oder Anregungen haben, wenden Sie sich jederzeit gern erneut an unser Berliner Büro oder an das Wahlkreisbüro in Münster.
Mit besten Grüßen,
Hubertus Zdebel, MdB