Frage an Hubertus Zdebel von Kai N. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Zdebel,
aufmerksam beobachten wir die Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen ("TAFTA"/"TTIP") zwischen der EU und den USA und die Auswirkungen auf die Bereiche Umwelt, Ernährung, Kultur und Verbraucherschutz.
Wie ist Ihre Haltung dazu, speziell unter Berücksichtigung dieser Bereiche?
Sehr geehrter Herr Niggemann,
vielen Dank für Ihre Frage. Vorweg kann ich schon einmal grundsätzlich sagen, dass ich dafür bin, das Freihandelsabkommen mit den USA zu stoppen. Denn das Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommens ("Transatlantische Handels- und Investmentpartnerschaft"-TTIP) ist ein Großangriff auf die sozialen und ökologischen Rechte der Menschen beiderseits des Atlantiks und nutzt den großen Banken und Konzernen wie JP Morgan Chase, Goldman Sachs, Deutsche Bank und Monsanto.
Da Zölle im Handel zwischen der EU und den USA bis auf wenige Bereiche (z. B. Landwirtschaft) eine geringe Rolle spielen, stehen im Zentrum des Verhandlungsmandates für die Europäische Kommission der Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse sowie die Verhinderung des Aufbaus neuer Hemmnisse. Diese „nichttarifären Handelshemmnisse“ sind jedoch im Wesentlichen nichts anderes als Gesetze und Vorschriften, die zum Nutzen der Gesellschaft erlassen worden sind. Mit dem vorliegenden, extrem weitgehenden Verhandlungsmandat können nationale soziale und ökologische Standards als handelshemmend interpretiert und beseitigt werden, zugunsten des Profitinteresses der Konzerne und zum Schaden von Mensch und Umwelt.
Während soziale und ökologische Regulierungen beiderseits des Atlantiks abgebaut werden, sollen im Gegenzug die Rechte der Konzerne durch ungehinderte Niederlassungsfreiheit und umfangreichem Investitionsschutz gestärkt werden. Durch ein erweitertes Klagerecht (Investor-to-State-Schiedsgerichtsverfahren) könnten US- Konzerne gegen soziale und ökologische Standards in Europa vor Schiedsgerichte ziehen und hohe Schadensersatzforderungen einklagen - und umgekehrt. Der Schiedsspruch selbst ist einer Überprüfung durch nationale Stellen entzogen. Ausländische Investoren können nationale Gesetzgebungen und Vorschriften umgehen oder aushebeln. So werden demokratisch gewählte Parlamente ihrer Gesetzgebungsgewalt beraubt. Dank dieser Investitionsschiedsgerichtsbarkeit kann dann etwa der US-Konzern Monsanto Genprodukte in Europa durchsetzen oder Chevron Fracking - gegen jede demokratische Entscheidung.
Die vorgesehene Erweiterung bzw. Vertiefung der „regulatorischen Disziplinen“ führt zu einer grundlegenden Einschränkung nationaler und lokaler Regulierungsautonomie. Bereits frühzeitig, also vor dem Erlassen von Regeln und Gesetzen für den Waren- und Dienstleistungsbereich soll mittels Konsultationen verhindert werden, dass den Unternehmen „mehr Lasten als möglich“ auferlegt werden.
Was die Verhandlungen über ein Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) und die EU-Kommission nicht schaffen, soll nun über das TTIP realisiert werden: Den Abbau jeglichen Schutzes des Dienstleistungssektors sowie des öffentlichen Beschaffungswesens vor dem Profitstreben privater Unternehmen. Richtschnur ist das höchste Liberalisierungsniveau eines Vertragspartners. Im Abkommen zwischen der USA und Kanada wurde etwa der Negativlistenansatz gewählt, das heißt, eine Dienstleistung, die nicht explizit von der Liberalisierung und Privatisierung ausgenommen wurde, ist für ausländische Investoren frei gegeben. Dies würde dann auch für die Europäische Union drohen. Durch die Liberalisierung von Bereichen der Öffentlichen Daseinsvorsorge und der Vergabe Öffentlicher Aufträge würden kommunale Wasserwerke zu abzuschaffenden Monopolen. Die Öffentliche Beschaffung würde kein Instrument mehr sein können, um die Wirtschaft vor Ort oder umweltfreundliche Alternativen zu fördern.
Darüber hinaus drohen eine weitere Deregulierung des Finanzsektors sowie die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Die Liberalisierung des Patentrechts wird Monopolisten im Bereich des geistigen Eigentums stärken, z.B. bei Pharmaprodukten.
Bei Realisierung des TTIP kommen ferner der Schutz und die Vielfalt von Kulturgütern gemäß der UNESCO-Konvention unter Druck durch die US-Unterhaltungsindustrie. Kultur und Medien aus dem Freihandelsabkommen herauszunehmen, wäre im übrigen nur ein Placebo, denn etwa die Buchpreisbindung ist in dieser Ausnahme überhaupt nicht mit einbegriffen. Sämtliche Fördermaßnahmen auf EU-Ebene im Bereich audiovisueller Medien und anderer Kulturträger werden weiter infrage gestellt werden. Aufgrund der fortschreitenden Liberalisierung ist davon auszugehen, dass auch Filmförderung und Theatersubventionen als nicht weiter zu duldender Protektionismus des europäischen Kulturmarktes bewertet werden. Ich trete für den Schutz und die Förderung der Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen ein statt für eine fortschreitende Liberalisierung der Märkte. Meiner Ansicht nach ist Kultur nämlich keine normale Handelsware. Die Künste, kulturelle Bildung, Erinnerungskultur sind unverzichtbar für eine lebendige Demokratie.
Der ökologische Umbau der Wirtschaft und der vorsorgende Verbraucherschutz werden ebenfalls sabotiert. Das TTIP wird Europa mit Gentechnik-Lebensmitteln und Biokraftstoffen fluten. Selbst die unzureichende EU-Chemikalienrichtlinie REACH und die EURO-Norm für Auto-Emissionen werden nichtig. Die US-Agro-Industrie bedroht zudem durch aggressives Lebensmittel-Dumping die nachhaltige Landwirtschaft in Europa, etwa durch den Einsatz von Klon- und Hormonfleisch. So ist in den USA die Desinfektion von Geflügelfleisch im Chlorbad erlaubt. Ebenso dürfen immer noch Wachstumshormone zur Leistungssteigerung der Tiere eingesetzt werden.
Aus all diesen Gründen fordere ich den Stopp der Verhandlungen über ein Freihandels- und Investitionsabkommen mit den USA. Die Bundesregierung muss gegenüber der EU durchsetzen, dass die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach dem Vorbild Australiens und diverser lateinamerikanischer Staaten aus allen Handelsabkommen gestrichen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Zdebel