Warum werden Langzeitarbeitslose, die aufgrund des Alters, körperlicher und geistiger Verfassung bzw. guter Gesundheit arbeiten könnten regelmäßig als "hilfebedürftig" eingestuft?
Guten Tag Herr Heil, Sie schreiben in Ihrer Antwort vom 12.7.23: "Wer hilfebedürftig ist, dem gewährleistet der Staat ein menschenwürdiges Existenzminimum." Warum wird ein arbeitsfähiger Langzeitarbeitsloser, der eigentlich nur in ein Arbeitsverhältnis einmünden müsste, als hilfebedürftig eingestuft? Zumal aktuell der Bedarf an Arbeitskräften riesig ist und nicht gedeckt werden kann. Dies gilt insbesondere für Helfer- bzw. Anlerntätigkeiten. Langzeitarbeitslose mit multiplen Vermittlungshemmnissen aufgrund von Krankheit, sozialen Problemen usw. sind nicht vermittelbar und auch nicht arbeitsfähig. Sie sind nicht arbeitsfähig solange individuelle Vermittlungshemmnisse bestehen bzw. wenn diese nicht beseitigt werden können. Wie differenzieren Jobcenter konkret bei arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen und bei denen, die eben nicht arbeitsfähig sind z.B. aufgrund von Krankheit bzw. Vermittlungshemmnissen? Oder gelten alle gleichermaßen als arbeitsfähig, vermittelbar und hilfebedürftig?
Sehr geehrte Frau M.
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Hilfebedürftig im gesetzlichen Sinne ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Das heißt, Hilfebedürftigkeit ist,wer seinen Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann, unabhängig von gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder anderen persönlichen Merkmalen.
In Deutschland ist es Aufgabe des Staates, hilfebedürftigen Menschen die finanziellen Mittel, die für den notwendigen Lebensunterhalt und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind, zu sichern. Dieses Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum leitet sich aus der Menschenwürde und dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes ab (sog. verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum).
Erwerbsfähige, die trotz umfassender Bemühungen keine Arbeit finden können oder mit ihrer Arbeit ein Einkommen erzielen, mit dem ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist, haben, wenn sie hilfebedürftig sind und die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Rechtsanspruch auf Bürgergeld, der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bürgergeld ist auch ergänzend, als aufstockende Leistung zum eigenen Einkommen zu leisten, wenn dieses nicht ausreicht.
Gleichwohl sind Leistungsberechtigte verpflichtet, den Lebensunterhalt zunächst aus eigenen Mitteln und durch den Bezug vorrangiger Leistungen zu bestreiten. Genau dieses Verständnis - dass zunächst jeder seine eigenen Möglichkeiten nutzt, um Hilfebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit zu überwinden - liegt auch dem Bürgergeld zugrunde. Deshalb erhält Bürgergeld auch nur der- und diejenige, der oder die hierbei mitwirkt, im Idealfall durch Arbeit. Wer nicht mitwirkt, muss mit Leistungsminderungen oder - in besonders schwerwiegenden Fällen - gar dem vollständigen Regelleistungsentzug rechnen.
Gleichzeitig können manche Bürgergeld-Beziehende nicht direkt in Arbeit vermittelt werden, da ihr Profil nicht zu den offenen Stellen passt. Insbesondere haben fast zwei Drittel der Arbeitsuchenden, die Bürgergeld beziehen, keinen verwertbaren Berufsabschluss. Der Großteil der offenen Stellen (rund 80 Prozent) richtet sich jedoch an Fachkräfte.
Und wie Sie richtigerweise beschreiben, haben viele Langzeitarbeitslose im Bürgergeldbezug gesundheitliche Probleme oder andere persönliche Vermittlungshemmnisse. Deshalb können Jobcenter auf eine Reihe von Maßnahmen zurückgreifen, um individuelle Hürden zum Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu beseitigen. Dazu gehören der erleichterte Erwerb von Grundkompetenzen und gezieltes Coaching, das auch familiäre und soziale Problemlagen in den Blick nimmt. Durch den Sozialen Arbeitsmarkt werden Langzeitarbeitslose an den Arbeitsmarkt herangeführt und engmaschig betreut, bis sie auf eigenen Beinen stehen. Unternehmen werden, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen, mit Lohnkostenzuschüssen unterstützt. Oft schaffen die Menschen danach den Übergang in ungeförderte Jobs.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB