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Hubertus Heil
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Frage von Gudrun R. •

Frage an Hubertus Heil von Gudrun R. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Heil,

ich habe gerade gehört, dass sich die SPD jetzt für eine Abschaffung der Kinderfreibeträge, für eine Umstellung auf Festbeträge, für eine Anpassung der Hartz-IV-Leistungen für Kinder und den Ausbau der Kitas einsetzt. ich finde, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist, möchte aber gern von Ihnen wissen, warum Sie sich erst jetzt von diesem unsäglichen Freibetragssystem verabschieden wollen (?), obwohl doch klar ist, dass dieses System die besser Verdienenden stärker fördert als diejenigen, die mehr Geld nötiger hätten. Die SPD ist seit 1998 an der Regierung beteiligt, davon sieben Jahre als großer Koalitionspartner. Warum war eine Kehrtwende nicht früher möglich?

Mit freundlichem Gruß
Gudrun Rogge

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Rogge,

vielen Dank für Ihre Anfrage an mich auf www.abgeordnetenwatch.de, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.

Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Noch nie war unser Wohlstand so groß wie heute. Die große Mehrzahl der Kinder hat sehr gute Chancen, sich gesund und mit guter Bildung zu entwickeln. Dies ist gut, denn Kinder sind unsere Zukunft und das Fundament unserer Gesellschaft. Mit Sorge müssen wir allerdings feststellen, dass die Chancen eines Kindes auf Bildung, gesunde Entwicklung, Teilhabe und Selbstbestimmung immer noch stark von der sozialen Herkunft abhängen. Das wollen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ändern. Unser Ziel sind gleiche und gute Lebensbedingungen für alle Kinder. Wir treten ein für Aufstieg und Gerechtigkeit. Wir wollen eine Gesellschaft gleicher Chancen -- unabhängig von der sozialen Herkunft.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstehen Armut nicht nur als Einkommensarmut. Wir verstehen Armut umfassender als Mangel von Teilhabe z.B. an Bildung, an materiellen Gütern, an sozialen Kontakten oder an einer guten gesundheitlichen Entwicklung. Die Ausprägungen von Armut bedingen sich jedoch oft wechselseitig. Um Armut nachhaltig zu bekämpfen, reicht es nicht allein, soziale Transfers zu erhöhen. Wir müssen vielmehr an den vielschichtigen Ursachen ansetzen. Wichtig ist dabei der Befund: Arme Kinder leben in armen Familien. Und Familien sind arm, wenn und weil die Eltern keine oder schlecht bezahlte Arbeit haben.

Die Diskussion über die richtigen Wege zur Vermeidung von Armut hat mit dem Dritten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung neue Fahrt aufgenommen. Der Bericht zeigt, dass Kinder häufig armutsgefährdet sind. Er zeigt ebenso, dass unser Sozialstaat wirkt und wir schon eine Menge erreicht haben: 34 Prozent aller Kinder wären ohne den Sozialstaat armutsgefährdet. Durch soziale Leistungen wird das Armutsrisiko bei Kindern um zwei Drittel auf 12 Prozent gesenkt. Die zentralen Konsequenzen aus dem Bericht heißen für uns:

Unser Ziel für die Umgestaltung des Familienleistungsausgleichs ist eindeutig: Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein. Der derzeit praktizierte Familienleistungsausgleich erfüllt dieses Ziel nicht, das liegt an seiner Ausgestaltung, die in wesentlichen Teilen von der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts befördert wurde. Bei dieser werden einseitig reichere Familien bevorteilt: Ehepaare mit einem Kind und einem Einkommen oberhalb von ca. 62.800 EUR erhalten durch die dann immer stärker entlastenden Kinderfreibeträge absolut mehr als Familien mit geringem Einkommen, für die das Kindergeld von 154 EUR günstiger ist. Niedrige Einkommen werden durch die geltenden Kinderfreibeträge also weniger entlastet als durch das Kindergeld. Spitzenverdiener hingegen profitieren von der Kinderfreibeträgen mit einer monatlichen Wirkung von bis zu 230 EUR.

Wir wollen den Familienleistungsausgleich daher so umgestalten, dass die Wirkung seiner Komponenten für alle Familien gleich ist -- egal, ob sie mehr oder weniger Einkommen haben. Um das zu erreichen, streben wir die Umgestaltung der Freibeträge in einer Weise an, die alle Kinder gleich fördert. Die Freibeträge sollten künftig ab dem ersten Euro Wirkung entfalten und nicht erst für Spitzenverdienerinnen und -verdiener.

Die SPD will eine Verbesserung der Leistungen für Kinder. Über deren Höhe und Ausgestaltung wird im Lichte des Existenzminimumberichtes entschieden.

Mit dem im Herbst fertig gestellten Existenzminimumbericht werden die konkreten Daten für das in jedem Fall steuerfrei zu stellende Existenzminimum vorliegen. Wir werden nach der Veröffentlichung des Berichts einen konkreten Vorschlag für die Ausgestaltung eines solchen solidarischen und gerechten Familienleistungsausgleichs vorlegen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass jede Kürzung des Freibetrags Gefahr läuft, vom Bundesverfassungsgericht kassiert zu werden. Die obersten Richter hatten 1999 die Politik angewiesen, das Existenzminimum des Kindes steuerfrei zu stellen und den Satz alle zwei Jahre an die gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen.

Aber ich bin heute zuversichtlicher, dass wir den Vorschlag auch in die Tat umsetzen können, denn unter Rechtswissenschaftlern gibt es mittlerweile unterschiedliche Meinungen zum Kinderfreibetrag.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Heil

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