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Hubertus Heil
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Frage von Rudolf W. •

Frage an Hubertus Heil von Rudolf W. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Heil,

Das umlagefinanzierte Rentensystem besteht seit 1957. Vorher war es ein kapitalgedecktes System. Seit dieser Zeit werden versicherungsfremde Leistungen aus diesem System bezahlt. Das hat mit Demoskopie nichts zu tun. Das Vorhandensein dieser versicherungsfremden Leistungen belegt die Hans-Böckler-Stiftung und ist unter folgender URL einzusehen.
http://www.boeckler.de/cps/rde/xchg/SID-3D0AB75D-FE21FE85/hbs/hs.xsl/32014_34866.html
auch unter wikipedia ist der Begriff versicherungsfremde leistungen zu finden.
http://de.wikipedia.org/wiki/Versicherungsfremde_Leistungen

Wie setzen Sie sich dafür ein, diese versicherungsfremden Entnahmen wieder dem Rentensystem zur Verfügung zu stellen?

Rudolf Wöhrle

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Sehr geehrter Herr Wöhrle,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Rentensystem und versicherungsfremde Leistungen. Gerne möchte ich Ihnen hierauf antworten.

Eine strenge Abgrenzung oder gar Legaldefinition dessen was gemeinhin als „versicherungsfremde“ oder „nicht durch Beiträge gedeckte“ Leistungen der Rentenversicherung bezeichnet wird, gibt es nicht. Weder der Wissenschaft noch der Praxis ist es bisher gelungen, für die Rentenversicherung einen abgegrenzten Katalog von Versicherungsleistungen eindeutig und konsensfähig so zu bestimmen, dass sog. „versicherungsfremde Leistungen“ hinreichend klar identifiziert werden könnten. Der Grund für die genannten Abgrenzungsprobleme liegt in dem weiten Sicherungsauftrag der gesetzlichen Rentenversicherung.

Mit der Existenz „versicherungsfremder Leistungen“ wurden in der Vergangenheit gemeinhin Forderungen nach einem höheren Bundeszuschuss an die Rentenversicherung verbunden. Dem Bundeszuschuss wurde die Funktion zugewiesen, solche Leistungen abzudecken.

Der VDR (heute organisiert in der Rentenversicherung Bund) bezeichnete folgende Leistungen der Rentenversicherung als „versicherungsfremd“:

*Anrechnungszeiten:* Hierunter werden Zeiten der Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder auch Ausbildungszeiten verstanden, für die keine Beiträge gezahlt wurden. Leistungen dieser Art sind bereits in der Vergangenheit, spätestens beginnend mit dem Rentenreformgesetz 1992 sehr stark zurückgedrängt worden.

*Kriegsfolgelasten: *Hierunter fallen die rentensteigernde Anrechnung von Zeiten des Militär- oder militärähnlichen Dienstes im Zusammenhang mit dem Weltkrieg (für Wehr- oder Zivildienstleistende werden Beiträge gezahlt), Zeiten einer Gefangenschaft oder Internierung und Leistungen nach dem Fremdrentengesetz. Entsprechende Aufwendungen der Rentenversicherung spielen zwar im Rentenbestand noch eine Rolle, ihre Bedeutung geht jedoch mehr und mehr zurück. Für Fremdrentenzeiten gilt, dass dort das Leistungsniveau für den Rentenzugang - verglichen mit dem früheren Rechtszustand - zwischenzeitlich auf ein Minimum reduziert wurde.

*Zurechnungszeiten:* Diese werden selbst vom VDR als echte Versicherungsleistung bei Erwerbsminderungsrenten angesehen.

*Familienlastenausgleich:* Hierzu zählt insbesondere die rentensteigernde Anrechnung von Kindererziehungszeiten. Hierfür hat jedoch der Bund schon immer einen - zunächst pauschalen - Ausgleich gezahlt, der mit dem Rentenreformgesetz 1992 in den allgemeinen Bundeszuschuss einbezogen wurde. Zwischenzeitlich *zahlt der Bund echte Beiträge für Kindererziehungszeiten*, so dass im Zeitablauf hier nicht mehr von versicherungsfremden Leistungen gesprochen werden kann.

Als versicherungsfremd werden ferner Kinderberücksichtigungszeiten und die - insbesondere Frauen zukommende - Rente nach Mindesteinkommen (im Umfang der Höherbewertung) sowie die mit der Rentenreform 2001 eingeführte (Höher-)bewertung der ersten 10 Jahre nach der Geburt eines Kindes angesehen.

*Arbeitsmarktrisiken:* Damit werden solche Aufwendungen der Rentenversicherung erfasst, die sich mittelbar oder unmittelbar beispielsweise aus Frühverrentungen ergeben. Exakt abgrenzbar sind solche Aufwendungen nicht. **

*Bestandsschutz* in den neuen Bundesländern: Hierunter werden die von der Rentenversicherung gezahlten Auffüllbeträge (resultierend aus Vergleichsberechnungen nach DDR-Recht und nach Bundesrecht) sowie Renten- und Übergangszuschläge verstanden. Seit 1999 erstattet der Bund solche einigungsbedingten Leistungen. Ihr Umfang verringert sich im Zeitablauf stark (vgl. anliegende Tabelle 1 „Leistungen aus dem BMGS-Haushalt...“)

Der frühere Vorsitzende des Sozialbeirats Prof. Dr. Schmähl zählt sogar *Hinterbliebenenrenten* zu den „versicherungsfremden Leistungen“ mit der Begründung, sie seien einkommensabhängig. Allerdings ist diese Begründung wenig nachvollziehbar, weil es auch bei anderen Renten Anrechnungsbestimmungen gibt.

In den vergangenen etwa 25 Jahren ist der Umfang „versicherungsfremder Leistungen“ gerade nicht ausgeweitet, sondern sehr stark zurückgedrängt worden ist. Als Beispiel kann die rentensteigernde Anrechnung von Ausbildungszeiten benannt werden: Vor 1992 waren maximal 13 Jahre anrechenbar, heute gerade noch drei Jahre. Auch Kriegsfolgelasten z.B. aus der Anrechnung von sog. Ersatzzeiten gehen immer stärker zurück. Dies gilt auch für Leistungen nach dem Fremdrentenrecht.

Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) hat in einer Untersuchung für das Jahr 1995 die auf seiner Definition beruhenden „versicherungsfremden Leistungen“ abgeschätzt und beziffert. Danach waren 1995 von Rentenausgaben in Höhe von rd. 298 Mrd. DM 102 Mrd. oder 34,3 v.H. „versicherungsfremd“. Für 2003 ist von einer - auch nach der Definition des VDR - wegen der zwischenzeitlich ergriffenen Maßnahmen - erheblich niedrigeren Quote auszugehen. Die Größenordnung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen ist auch bis 2007 vergleichbar geblieben und hat sich nicht mehr erheblich verändert.

Ich hoffe, Ihnen hiermit weitergeholfen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Hubertus Heil

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