Frage an Hubertus Heil von Ann-Kathrin F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Heil
Sie werden sicher auch die Zensurdebatte mitbekommen haben. Da mir mittlerweile das kalte Kotzen (um es polemisch, aber inhaltlich angemessen zu beschreiben) hochkommt, interessiert mich ihre Position. (Auch für die Wahl. Und da bin ich sicher nicht die Einzige...)
Kinderpornographie wird gerade zu einem Totschlagargument, das genutzt wird um bedenkliche Entwickelungen anzutreiben. Wer nicht für uns ist, muss gegen uns sein...(dabei ist niemand ernsthaft Verfechter von Kinderpornographie-sondern nur der Meinung,dass es erfolgreich geht,ohne die Freiheitsrechte einzuschränken.
"Niemand sonst als das BKA und eine möglichst geringe Zahl von Mitarbeitern bei den Internetprovidern darf sie sehen. Die Provider müssen die Listen laut Gesetz "gegen Kenntnisnahme durch Dritte" sichern und sie kommentarlos umsetzen.
(http://www.zeit.de/online/2009/17/netzsperren-bka-gesetz )
Im schlimmsten Fall hieße das: Die Seite muss nicht mal Kinderpornografie enthalten. Wer auf der Liste ist, wird gesperrt. Keiner hat die Möglichkeit, das zu prüfen. Und das "schöne": Ist ja auch egal, darf ja eh keiner in die Liste linsen.
Es gibt Beispiele aus anderen Ländern, die die Vorbehalte traurigerweise bestätigen(quelle: http://www.heise.de/ct/Die-Argumente-fuer-Kinderporno-Sperren-laufen-ins-Leere--/artikel/135867 Absatz "Aus den Augen...")
Zitat: Zypries hat in der Pressekonferenz gleich noch die Unschuldsvermutung abgeschafft [...]:
"Eine Strafbarkeit liege schon in dem Moment vor, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass es sich um ein Versehen oder eine automatische Weiterleitung gehandelt habe." Zitat ende.
(Zitiert: http://netzpolitik.org/2009/bundesregierung-beschliesst-zensurgesetz/ )
Warum schafft man es nicht, die Seiten zu ermitteln und sie aus dem Netz zu nehmen?
Selbst wenn der Server nicht in Deutschland ist lässt sich das schaffen. Eine einfache Anfrage genügt scheinbar um die Seiten vom Netz nehmen zu lassen. (Siehe heise.de-link)
Wie ist ihre Position?
Ich hoffe auf eine floskelfreie Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Ann-Kathrin Franz
Sehr geehrte Frau Franz,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de, in der Sie nach meiner Position zum Thema „Zugangserschwerung für bestimmte Homepages“ fragen.
Zunächst möchte ich auf folgendes hinweisen:
In der aktuellen Diskussion um Internetsperren im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet haben sich zwei Stimmen besonders hervor getan: Zum einen diejenigen, die hart gegen Kinderpornographie vorgehen wollen und nicht akzeptieren, dass Internetseiten mit solchen Inhalten für jedermann zugänglich sind. Zum anderen diejenigen, die die Stoppschilder im Internet als Vorboten weiterer Beschränkungen der Freiheit im Netz sehen.
Eins muss klar sein: Es wird uns nicht voran bringen, diese Positionen weiter gegeneinander auszuspielen.
Es ist selbstverständlich und unsere Pflicht, alles gegen Kinderpornographie zu tun, was in unserer Macht steht. Unsere Kinder und Jugendlichen haben das Recht, dass wir sie vor sexueller Gewalt und Ausbeutung effektiv schützen. Es besteht überhaupt kein Zweifel, dass dem Geschäft mit der sexuellen Ausbeutung Einhalt geboten werden muss. Neben einem Bündel an Maßnahmen, von einer effektiven Strafverfolgung bis hin zu einer Förderung von Hilfs- und Beratungsangeboten, ist die Bekämpfung kinderpornographischer Inhalte im Internet ein Baustein. Ich bin froh, dass es der SPD gelungen ist, den Grundsatz „löschen vor sperren“ durchzusetzen. Denn das oberste Ziel muss doch sein, dass kinderpornographische Inhalte aus dem Netz kommen. Wenn Löschen nicht gelingt - z.B. weil ausländische Provider nicht kooperieren wollen -, dann sollen Sperren helfen, dieses widerliche Geschäft zu erschweren und einzudämmen. Man muss an dieser Stelle klar sagen: Es handelt sich hier um einen Versuch. Wir können nicht voraussehen, inwiefern diese Sperren ihre Wirkung entfalten und uns unserem Ziel näher bringen. Deswegen ist dieses Gesetz auf drei Jahre beschränkt. Eine Evaluation nach zwei Jahren wird zeigen, ob dies ein effektiver Weg war oder nicht. Angesichts der Ergebnisse dieser Evaluation wird dann zu entscheiden sein, ob eine Verlängerung des Gesetzes überhaupt angebracht ist.
Nun gibt es Kritiker, die sich Sorgen machen, dass mit dem neuen Gesetz eine Infrastruktur geschaffen wurde, die auch für andere Zwecke als den Kampf gegen Kinderpornographie genutzt oder missbraucht werden könnte. Vor dem Hintergrund der jüngsten Forderungen aus der Union nach einer Ausweiterung von Internetsperren sind diese Befürchtungen verständlich. Mit der SPD wird es eine solche Ausweitung der Sperren auf andere Inhalte allerdings nicht geben. Wir wollen, dass das Internet nicht als ausgelagerte Parallelwelt betrachtet wird. Das Internet ist längst zu einem wesentlichen Teil unseres privaten und beruflichen Informations- und Kommunikationsverhaltens geworden. Wie kann man vor diesem Hintergrund annehmen, dass online andere Gesetze gelten könnten als offline? Online wie offline gelten selbstverständlich dieselben Gesetze. In Deutschland haben wir damit auch kein Problem: Unsere Provider nehmen rechtswidrige Inhalte (wie z.B. rechtsradikale Äußerungen) sofort aus dem Netz, wenn man sie darauf hinweist. Und trotzdem muss man anerkennen, dass im Internet andere Rahmenbedingungen herrschen.
Das Netz ist global: Wenn in Deutschland rechtswidrige Inhalte auf Servern im Ausland veröffentlicht werden, stößt der Rechtsstaat an seine Grenzen. Wir haben diese Realität der digitalen Welt anerkannt, wir werden uns aber nicht mit den Verhältnissen abfinden: Das Problem, dass der deutsche Rechtsstaat keine Eingriffsmöglichkeiten auf Inhalte ausländischer Server hat, ist eine internationale Herausforderung.
Wir müssen an einem internationalen „good-internet-codex“ arbeiten, dem sich möglichst viele Länder anschließen. In diesem Zusammenhang geht es nicht um Recht oder Freiheit. Es kann nur um Recht und Freiheit gehen. Die Frage, ob das Internet ein „rechtsfreier Raum“ ist, ist die falsche Frage. Vielmehr geht es darum, wie wir einen effektiven Schutz der Bürgerrechte in der digitalen Welt verwirklichen. Auf die Bürgerrechte kann sich berufen, wer Informations- und Meinungsfreiheit beansprucht. Auf seine Grundrechte kann sich aber auch berufen, wer vor sexueller Ausbeutung geschützt werden muss. Der Kampf gegen rechtswidrige Inhalte im Netz steht dem Kampf für Meinungsfreiheit und Demokratie im Internet in nichts nach.
Ich hoffe, dass ich Sie mit diesen Ausführungen überzeugen konnte und
verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil