Frage an Horst Seehofer von Robert F. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Seehofer,
ist die betäubungslose Kastration von Schweinen, wie sie in diesen Filmaufnahmen ( http://www.tierschutzbund.de/fileadmin/mediendatenbank_free/TV-Spots/ohneBetaeubung.mpg ) zu sehen ist, allen Ernstes legal in Deutschland?
Falls ja, was konkret tun Sie dagegen?
Vielen Dank für Ihre Antwort und mit freundlichen Grüßen,
Robert Fies
Sehr geehrter Herr Fies,
für Ihr Schreiben danke ich Ihnen sehr.
Zum Hintergrund
Der typische Ebergeruch im Schweinefleisch wird durch Abbauprodukte des männlichen Geschlechtshormons Androstenon im Fleisch von unkastrierten männlichen Schweinen verursacht.
In Deutschland war in der Vergangenheit im nationalen Fleischhygienerecht der Grenzwert für den Gehalt an 5-alpha-Androstenon im Fleisch unkastrierter Eber auf 0,5 ?g/g Fett festgelegt worden. Bei der amtlichen Fleischuntersuchung wurde Eberfleisch, in dem ein Androstenongehalt unterhalb dieses Wertes gemessen worden ist, als genusstauglich beurteilt, oberhalb dieses Wertes dagegen als genussuntauglich wegen starken Geschlechtsgeruchs.
Seit dem Inkrafttreten des EG-Lebensmittelhygienerechts am 1. Januar 2006 gilt dieser Grenzwert nicht mehr. Seitdem muss Fleisch von Ebern nur noch dann als untauglich beurteilt werden, wenn es „organoleptische Anomalien, insbesondere ausgeprägten Geschlechtsgeruch“ aufweist.
Nach der AVV Lebensmittelhygiene, die am 26. September 2007 in Kraft getreten ist, sollen im Rahmen der amtlichen Fleischuntersuchung Geruchsabweichungen von frischem Fleisch mittels Koch- bzw. Bratprobe festgestellt werden.
Eine chemisch-analytische Untersuchung auf 5-alpha-Androstenon ist nicht mehr vorgesehen.
Damit obliegt es allein dem Ermessen des amtlichen Tierarztes, ob er Schlachtkörper von Ebern im Rahmen der amtlichen Fleischuntersuchung zusätzlich auf Geruchsabweichungen untersucht.
Um eine etwaige Geruchsabweichung zu vermeiden, können männliche Schweine kastriert werden. Nach einem Bericht der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit – EFSA – erfolgt dies bei ca. 80 % der männlichen Ferkel in der EU der 25.
Gängige Praxis ist in vielen Mitgliedstaaten der EU die chirurgische Kastration ohne Betäubung. Die betäubungslose Kastration ist europaweit nur innerhalb der ersten Lebenswoche zulässig.
Welche Alternativen gibt es? In denjenigen Mitgliedstaaten, in denen Eber nicht kastriert werden, werden die Eber regel-mäßig so jung geschlachtet, dass sie den typischen Ebergeruch im Fleisch noch nicht ausgebildet haben. Die Ebermast scheidet in Deutschland wegen der hierzulande praktizierten Mast zu höheren Mastendgewichten für die überwiegende Mehrheit der Betriebe vermutlich aus. Die Mast leichter Eber schätze ich derzeit als eine Nische ein, die zum gegenwärtigen Zeit-punkt kaum noch nennenswert ausbaufähig sein dürfte.
Ein bemerkenswertes Potential weist sicher das in Australien entwickelte Tierarzneimittel Improvac der Firma Pfizer auf. Pfizer hat einen Zulassungsantrag bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA gestellt. Bei positivem Bescheid würde eine solche Zulassung in der gesamten EU gelten und den Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arznei-mittels beinhalten. Pfizer geht nach hier vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass eine Zulassung Anfang 2009 erfolgen könnte.
Die Betäubung von Schweinen mittels Inhalationsnarkose ist in der EU bisher nicht generell zulässig, weil es kein für Schweine speziell zugelassenes Präparat gibt. Grundsätzlich ist eine Injektionsnarkose mit für das Schwein zugelassenen Stoffen möglich. Unabhängig von den geltenden Rechtsvorschriften erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass beide Methoden in der Wissenschaft sehr kontrovers betrachtet werden. So wird z. B. bei der Injektionsnarkose eine erhöhte Ferkelmortalität diskutiert, die sicher nicht im Sinne des Tierschutzes wäre.
Die Geschlechtssortierung von Spermien, mit dem Ziel, nur Sauen zu erzeugen, funktioniert nur im Labormaßstab. Ob es und wann es gelingen wird, diese Methode für einen größeren Durchsatz fortzuentwickeln, ist völlig offen.
Die Mast nicht kastrierter Eber auch bis zu hohen Mastendgewichten, kombiniert mit dem Aussortieren der Schlachtkörper bei Auftreten von Ebergeruch scheidet auf Grund fehlender Verwertbarkeit der aussortierten Schlachtkörper aus ethischen und wirtschaftlichen Gründen aus.
Züchterische Maßnahmen gegen den Ebergeruch erfordern sehr viel Zeit. Kenntnisse über ggf. unerwünschte Merkmalsbeziehungen sind nach hiesiger Kenntnis gering.
Forschung
Die Suche nach gangbaren Alternativen zur betäubungslosen Kastration wird in verschiedenen europäischen Ländern sehr intensiv betrieben.
Die EU finanziert ein Projekt zur Kastration von Ferkeln (PIGCAS). Darin werden keine experimentellen Forschungsarbeiten durchgeführt, sondern v.a. Informationen erhoben und Wissen vernetzt. Durch dieses europäische Projekt ist es gelungen, schon bestehende Kontakte zwischen den Arbeitsgruppen zu intensivieren und zu festigen. Die ersten Ergebnisse des Projektes wurden am 29./30. November 2007 in Noordwijk (NL) vorgestellt. Dieser Kongress hat demonstriert, wie breit diese Arbeiten ausgerichtet sind. Die noch offenen Aspekte sind identifiziert und werden bearbeitet.
Am 20. Juni 2008 ist im Amtsblatt der EU eine Entscheidung der KOM veröffentlicht worden, mit der Beschlüssen des EP gefolgt wird. Die Entscheidung schafft die Grundlage für die Finanzierung einer Studie über verbesserte Methoden für eine artgerechte Tierhaltung, u.a. im Hinblick auf Alternativen zur Kastration von Schweinen. Die Angebote sind bis zum 8. September 2008 einzureichen. Ab Auftragsvergabe stehen für die Bearbeitung 11 Monate zur Verfügung.
Fazit und Ausblick
Die betäubungslose Kastration von Ferkeln ist ein Thema, das regelmäßig reflektiert werden muss. Neue Entwicklungen müssen in diesem Bereich aufgeschlossen verfolgt und mit der gebotenen Gründlichkeit geprüft werden.
Zum heutigen Zeitpunkt ist allerdings noch keine Methode etabliert, die eine gleichzeitig tierschutzgerechte wie praxisgerechte und wirtschaftlich sinnvolle Alternative zur betäubungslosen Kastration von Ferkeln darstellt. Eine derartige Alternative wäre aber Grundlage für eine Überprüfung der geltenden Rechtsvorschriften.
Die Bewertung der bereits jetzt grundsätzlich verfügbaren Alternativen (Jungebermast und Kastration unter Betäubung) sowie ggf. zukünftig möglicher Verfahren aus Sicht des Tierschutzes, der Praktikabilität, der Wirtschaftlichkeit und der emotionalen Akzeptanz obliegt m.E. zunächst den Wirtschaftsbeteiligten: Landwirten, Fleischverarbeitern und Verbrauchern.
Die Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz AG Tierschutz hat die Erzeuger schriftlich gebeten, Analgetika bei der Kastration einzusetzen. Dieser Anstoß wird derzeit intensiv diskutiert.
Mit freundlichen Grüßen
Horst Seehofer