Frage an Hildegard Wester von Günter S. bezüglich Wirtschaft
Die wirtschaftliche Produktivität hat auf Grund umfassender technologischer Erfolge in den letzten Jahrzehnten weltweit enorm zugenommen. Seitdem wird in immer größerem Umfang menschliche Arbeitskraft durch den Einsatz von Maschinen und neue Produktionstechniken ersetzt. Mit anderen Worten: Immer weniger Menschen erwirtschaften immer mehr Güter, Waren, Dienstleistungen. Und immer weniger Menschen können sich die inzwischen im Überfluss hergestellten Waren und Güter leisten.
Der Ausweg aus dem Dilemma sieht der Mainstream in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft – national wie international - in der Steigerung der Produktivität bei Senkung der Arbeitskosten, Rationalisierungen und einem drastischen Abbau der sozialen Sicherungssysteme.
Im Ergebnis werden noch weniger Menschen noch mehr Waren, Güter, Dienstleistungen für ein geringeres Einkommen erwirtschaften und noch weniger Menschen werden sich noch weniger leisten können.
Dazu folgende Fragen an Sie:
1) Halten Sie Vollbeschäftigung zu menschenwürdigen Bedingungen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren für erreichbar?
2) Wenn nein, wie wollen Sie verhindern, dass die beschriebene Entwicklung zu einer dauerhaften Benachteiligung und Verarmung weiter Bevölkerungskreise geht?
3) Wie beurteilen Sie die Chancen und Möglichkeiten, die ein bedingungsloses Grundeinkommen (siehe z.B. www.grundeinkommen.de) in diesem Zusammenhang bietet?
Sehr geehrter Herr Sölken,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich aufmerksam gelesen habe und die mir Denkanstöße gegeben haben !
Wichtig ist mir, dass wir an dem Ziel festhalten, möglichst alle Menschen in Arbeit zu bringen. Diesem Ziel zu folgen, bedeutet alle dafür notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, auch ohne sagen zu können, ob und wann dieses Ziel erreicht werden kann.
Wir haben zum 1. Januar 2005 die Grundsicherung für Arbeitssuchende eingeführt. Mit dieser Grundsicherung ist erstmals eine einheitliche Leistung für alle erwerbsfähigen Menschen geschaffen worden, die hilfebedürftig sind, weil sie entweder keine Arbeit haben oder kein ausreichendes Einkommen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten Arbeitslosengeld II, nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten Sozialgeld.
Unser Ziel ist es jedoch, jeden erwerbsfähigen Menschen ohne Arbeit, möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen. Deshalb handeln wir nach dem Prinzip „Fördern und fordern“. Auf der einen Seite wollen wir, dass die Menschen sowohl finanzielle Unterstützung als auch Eingliederungsunterstützung erhalten, auf der anderen Seite erwarten wir die Annahme einer zumutbaren Arbeit, auch wenn es zunächst etwa eine Mini-Job ist.
Zum 1, Januar hat die SPD – geführte Bundesregierung bereits die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung eingeführt. Diese war schon 2001 beschlossen worden. Mit dieser Leistung haben wir alten Menschen und Menschen mit Behinderung aus der so genannten verschämten Altersarmut herausgeholfen. Die nun erstmals vorliegende Statistik belegt, dass das Ziel erreicht worden ist: 50 % der Leistungsberechtigten der Grundsicherung haben vorher keine Sozialhilfe in der Form von Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen. Auch durch die Erhöhung der Grenzen für den Rückgriff auf die Einkommen der Kinder bzw. der Eltern auf 100000 Euro im Jahr haben wir einen entscheidenden Beitrag zur Bekämpfung der verschämten Armut geleistet.
Unsere Antwort auf Lohndumping ist die Einführung von Mindestlöhnen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren erheblich Opfer gebracht und damit einen Beitrag zur Stärkung der deutschen Wirtschaft geleistet. Um Arbeitsplätze nicht zu gefährden und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen zu sichern, haben Gewerkschaften und Belegschaften Erhöhungen der Arbeitszeit akzeptiert, flexiblen Arbeitszeiten zugestimmt und sich mit sehr moderaten Lohn- und Gehaltserhöhungen begnügt. Das war notwendig und es hat sich gelohnt. Für die Zukunft muss jetzt aber gelten, dass gute Arbeit auch gut entlohnt werden muss und vor allem, dass die Sicherung des Lebensunterhalts durch Arbeit möglich sein muss. Deshalb wollen wir nach dem Beispiel des Entsendegesetzes einen Mindestlohn in allen Branchen einführen. Weiter muss zur Bekämpfung des Lohn- und Sozialdumping der Unterbindung von Schwarzarbeit ein noch höherer Stellenwert eingeräumt werden. Und nicht zuletzt werden wir dafür sorgen, dass die EU – Dienstleistungsrichtlinie, die bei der Entlohnung das Herkunftslandprinzip vorsieht, nicht so umgesetzt wird.
Leider hat die CDU/CSU im Bundesrat das Gesetz zur tariftreue bei öffentlichen Aufträgen blockiert. Dies wäre ein weiterer wesentlicher Schritt in der Bekämpfung des Sozialdumpings gewesen.
Ich hoffe, Ihnen deutlich gemacht zu haben, an wie vielen Punkten wir ansetzen, um Armut zu verhindern, dabei ist unser Mittel nicht das allgemeine Grundeinkommen, sondern die Möglichkeit für alle Erwerbsfähigen in Arbeit zu kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Hildegard Wester