Frage an Hermann Färber von Jessica C. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Färber,
zur aktuellen Diskussion um die Einführung der Masern-Impfpflicht möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie die Stellungnahme der „Ärzte für Individuelle Impfentscheidung e.V.“ zum Thema kennen bzw. ob Sie sich damit auseinander gesetzt haben? Sie finden diese hier:
Ich finde es äußerst wichtig, dass Sie als Abgeodnete, die ja am Ende über dieses Gesetz abstimmt, sich wirklich umfassend informieren, und mit umfassend kann hier nur eingehende Recherche gemeint sein. Die Ärzte für individuelle Impfentscheidung sind keineswegs Impfgegner. Sie stehen für das Recht jedes Einzelnen, sich über alle bestehenden Wege Informationen zu beschaffen, sich durch den Arzt des Vertrauens beraten zu lassen, um am Ende eine für sich selbst oder die eigenen Kinder passende Entscheidung zu treffen.
Im Gegensatz zu vielen sehr oberflächlichen Berichten/Artikeln in den Medien, finden Sie hier wirklich hauptsächlich Zahlen und Fakten die es aktuell zu vergleichen gilt.
nur ein Zitat als Beispiel:
"zahlreiche Länder haben bei der zweiten Masernimpfung deutlich geringere Impfquoten als Deutschland und dennoch -bezogen auf ihre Einwohnerzahl -eine deutlich geringere Zahl von Masernfällen. Alle diese Länder impfen spürbar später, vor allem die zweite Masernimpfung. In den NL sind selbst nach dem neunten Lebensjahr viel weniger Kinder zweimal gegen Masern geimpft, als in Deutschland schon im sechsten, trotzdem erkrankten dort 2018 viel weniger Menschen an Masern, als im vergleichsweise "höherprozentig", aber eben auch viel früher geimpften Deutschland."
Auch der deutsche Ethikrat hat sich kritisch zur Impfpflicht geäußert, ja sogar ausdrücklich dagegen ausgesprochen. Ebendso ja auch das RKI und PEI. Auch dazu würde mich ihre Meinung interessieren.
Vielen Dank für Ihre Mühe im Voraus,
mit freundlichen Grüßen,
J. C.
Sehr geehrte Frau Christmann,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Impfpflicht. Die beigefügten Stellungnahme der "Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V." habe ich gelesen und die Informationen ausführlich zur Kenntnis genommen.
Auch ich halte es für besonders wichtig, eine offene und differenzierte gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema zu führen, denn es ist ein Thema, zu dem es viele Haltungen und Stellungnahmen gibt - einige, die sich positiv für die positiven Effekte der Impfung bzw. die Notwendigkeit einer Impfung aussprechen, möchte ich Ihnen wiederum gerne zur Kenntnis geben:
RKI & PEI: 20 häufigste Einwände gegen Masern und die Antworten dazu
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html
PEI, Sicherheit von Impfstoffen, 2009
https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/bundesgesundheitsblatt/2009/2009-sicherheit-impfstoffe.pdf?__blob=publicationFile&v=1
RKI, Bulletin 8.8.19:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2019/Ausgaben/3233_19.pdf?__blob=publicationFile
RKI, Bulletin 16.8.18:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/33_18.pdf?__blob=publicationFile
PEI, Sicherheit und Verträglichkeit von monovalenten Masern- und kombinierten Masern-, Mumps-, Röteln- und Varizellenimpfstoffen, 2013:
https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/bundesgesundheitsblatt/2013/2013-sicherheit-impfstoffe-masern-mumps-roeteln.pdf?__blob=publicationFile&v=6
PEI, Sicherheit von Impfstoffen, 2009
https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/bundesgesundheitsblatt/2009/2009-sicherheit-impfstoffe.pdf?__blob=publicationFile&v=1
RKI:
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ-Liste_Masern_Impfen.html
RKI, Ratgeber Masern
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html
Bundesgesundheitsblatt 4/2019: Impfkomplikationen und der Umgang mit Verdachtsfällen
https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00103-019-02913-1.pdf
Aus all diesen Quellen zusammengefasst, ergeben sich folgende Erkenntnisse bezüglich der Frage: Warum überhaupt gegen Masern impfen?
Masern gehören zu den ansteckendsten Viruserkrankungen überhaupt und werden durch Tröpfcheninfektion (Niesen, Sprechen) übertragen. Da für Masern-, Mumps-, Röteln- sowie Varizelleninfektionen und deren Komplikationen keine spezifische Therapie zur Verfügung steht, kommt der Prävention durch Schutzimpfung überragende Bedeutung zu. Stärkung der "Herdenimmunität": besonders vor dem Hintergrund, der Schutzes von Menschen, die aus verschiedenen (medizinischen) Gründen nicht selbst aktiv geimpft werden können: Neugeborene bis 9 Monate, ältere (multimorbide) Menschen, chronisch Erkrankte, Schwangere. Nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts können insgesamt ca. zwei Prozent der Bevölkerung (d. h. ca. 1,7 Millionen Menschen) nicht selbst gegen Masern geimpft werden und sind auf hohe Impfquoten in ihrer Umgebung angewiesen. Die Masernvirusinfektion verursacht eine vorübergehende Immunschwäche von mindestens 6 Wochen Dauer. Als Konsequenz kann vorübergehend eine erhöhte Empfänglichkeit für bakterielle Superinfektionen bestehen. Eine besonders gefürchtete Komplikation, die akute postinfektiöse Enzephalitis, zu der es in etwa 0,1% der Fälle kommt, tritt etwa 4-7 Tage nach Auftreten des Exanthems mit Kopfschmerzen, Fieber und Bewusstseinsstörungen bis zum Koma auf. Bei etwa 10-20% der Betroffenen endet sie tödlich, bei etwa 20-30% muss mit Residualschäden am Zentralen Nervensystem gerechnet werden. Anders ausgedrückt: Etwa 10 von 10.000 an Masern erkrankten Personen erleiden eine Gehirnentzündung. Von diesen zehn Erkrankten sterben ein bis zwei. Bei etwa zwei bis drei Betroffenen bleiben schwere Folgeschäden wie eine geistige Behinderung und Lähmungen zurück. Eine seltene, tödlich verlaufende Spätfolge einer Masernerkrankung ist die subakute sklerosierende Panenzephalitits (SSPE). Sie tritt durchschnittlich etwa sieben Jahre nach der Maserninfektion ein. Nach den aktuell verfügbaren Daten aus der Todesursachenstatistik wurde in den Jahren von 2007 bis 2015 bei insgesamt 29 Personen als Todesursache eine SSPE dokumentiert. Insgesamt versterben in Industrieländern etwa 1 bis 3 Personen/1 000 Maserninfektionen an den Masern.
Fest steht: Impfungen gehören zu den wirksamsten präventiven Maßnahmen, die in der Medizin zur Verfügung stehen. Gleichzeitig schützt die Impfung nicht nur die geimpften Personen selbst, sondern insbesondere indirekt auch die Menschen, die sich nicht selbst impfen lassen können, so z. B. Säuglinge bis zum 6. Lebensmonat oder anderweitig erkrankte Menschen. Vor diesem Hintergrund haben wir in den letzten Jahren viel für die Prävention in Deutschland getan. So haben wir 2017 mit dem Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten für eine bessere Durchsetzbarkeit der Pflicht zur Impfberatung der Eltern vor Aufnahme ihrer Kinder in einer Kita beschlossen. Dabei setzten wir auf objektive ärztliche Beratung der Eltern, um ihnen Ängste zu nehmen und über Impfungen aufzuklären.
Um dafür zu sorgen, dass die Impfberatungspflicht keine leere Worthülse ist, droht Eltern, die sich der Beratung verweigern, nach geltendem Recht des Infektionsschutzgesetzes ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro. Dabei steht bei uns nicht die Strafe im Mittelpunkt, sondern die so wichtige Aufklärung der Eltern. In diesem Zusammenhang haben wahrscheinlich auch Sie die Plakate der Kampagne "Deutschland sucht den Impfpass" gesehen, mit der wir unter anderem schon seit 2015 über die Impfung - insbesondere gegen Masern - deutschlandweit informieren.
Dennoch besteht bei einigen Schutzimpfungen noch Verbesserungsbedarf, um die sogenannte Herdenimmunität zu gewährleisten. Diese, vor allem für Menschen, die sich nicht impfen lassen können, wichtige Immunität tritt ein, wenn 95 Prozent der Bevölkerung über einen entsprechenden Impfschutz verfügen. Defizite bestehen derzeit beim Impfschutz von Kindern bei den zweiten Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln.
Insbesondere liegen aber die Quoten der Erwachsenen bei der Masernimpfung noch unter den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). So veröffentlichte die WHO erst kürzlich aktuelle Daten zur Ausbreitung von Masern und damit zusammenhängenden Todesfällen: Im Jahr 2017 lag die Zahl der Infektionen bei rund 6,7 Millionen Fällen, 110.000 Menschen starben laut den Berechnungen. Die Mehrzahl der Betroffenen von Infektionen mit Todesfolge waren Kinder unter 5 Jahren. Auch steigt die Infektionsrate rasant an, weltweit kam es zu einer Verdopplung der Infektionen, in Europa sogar zu einer Verdreifachung. Diesen Trend gilt es mit aller Kraft zu stoppen.
Bei Masern beispielsweise, über die wir hier sprechen, bedeutet eine niedrige Impfquote ein hohes Gesundheitsrisiko. Masern sind eine schwerwiegende Erkrankung - deswegen halte ich es für richtig, dass wir nun einen Schritt weitergehen und derzeit prüfen, wie wir für Kinder eine Impfpflicht gegen Masern einführen können.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Färber