Frage an Herlind Gundelach von Helena P. bezüglich Wirtschaft
Sehr verehrte Frau Gundelach,
hatten Sie die Gelegenheit, sich über CETA kundig zu machen, um eine eigene Meinung darüber zu bilden? Hatten Sie je das Bedürfnis, sich ausführlich über die Inhalte von CETA, TTIP und TISA mit selbst gewählten Experten auszutauschen, bevor fertig ausgehandelte Abkommen zur Ratifizierung vorgelegt werden?
Glauben Sie unter den Umständen, unter denen die Abkommen verhandelt werden, die deutsche Bevölkerung gewissenhaft vertreten zu können?
Sehr geehrte Frau Peltonen-Gassmann,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage!
Zunächst einmal möchte ich Ihnen versichern, dass ich mich grundsätzlich mit selbst gewählten Experten austausche, da es für mich selbstverständlich ist, mir eine eigene Meinung zu bilden, die auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen beruht.
Daher gehe ich gerne auf die von Ihnen angesprochenen Freihandelsabkommen ein, insbesondere da meines Erachtens die Berichterstattung hierzu teilweise auf Missverständnissen, bzw. nicht umfassend genug recherchierten Aussagen fußt.
Die deutsche Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze profitieren in hohem Maße von international frei handelbaren Gütern und Dienstleistungen sowie von grenzüberschreitenden Investitionen. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt betrug im letzten Jahr 40 Prozent. Der internationale Handel ist folglich von besonderer Bedeutung für Deutschland als Wirtschafts- und Industriestandort. Die florierende Wirtschaft ist wiederum Grundlage unseres Wohlstandes und unserer Sicherungssysteme. Deutschland hat überdies im internationalen Vergleich sehr hohe soziale und umweltpolitische Standards und setzt sich weltweit dafür ein, dass der internationale Handel sich an diesen hohen Standards orientiert.
Der internationale Handel und grenzüberschreitende Investitionen unterliegen umfassenden multilateralen und bilateralen Handels- und Investitionsschutzregeln, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ständig weiter entwickelt werden. Für die Regelung der internationalen Handelspolitik der EU-Mitgliedstaaten ist nach den EU-Verträgen seit Jahrzehnten die EU zuständig.
Die EU Kommission führt daher internationale Verhandlungen und stimmt sich hierzu laufend in einem beratenden Ausschuss mit den EU-Mitgliedstaaten ab. Handels- und Investitionsabkommen, die Zuständigkeiten sowohl der EU als auch Zuständigkeiten der EU-Mitgliedstaaten betreffen, bedürfen außerdem der Ratifizierung der nationalen Parlamente in der EU, also im Falle Deutschlands der Zustimmung des Deutschen Bundestages.
In der letzten Zeit kam es im Zusammenhang mit den laufenden Verhandlungen zu den von Ihnen angesprochenen internationalen Handelsabkommen TTIP, CETA und TiSA in der deutschen Öffentlichkeit vermehrt zu Befürchtungen, dass diese zu sehr im Geheimen geführt würden und am Ende bewährte Standards und Niveaus etwa in den Bereichen Arbeitnehmerrechte und -schutz, soziale Sicherheit, Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz, öffentliche Dienstleistungen, Daseinsvorsorge ("public utilities", etwa die Wasserversorgung), kulturelle Einrichtungen und/oder die kulturelle Vielfalt aufs Spiel gesetzt würden.
Daher möchte ich Ihnen folgend einige Tatsachen zu den Verhandlungen darlegen und hoffe dadurch, Ihnen einen Teil Ihrer Befürchtungen nehmen zu können:
- Der Marktzugang soll durch den Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse im gegenseitigen Einvernehmen verbessert werden. Normen sollen aber nur dort angeglichen oder vereinheitlicht werden, wo dies bei gleichem Schutzniveau für Bürgerinnen und Bürger möglich ist.
- Soziale und ökologische Standards etwa bei der öffentlichen Auftragsvergabe werden durch die aktuellen Verhandlungen zu bilateralen Handelsabkommen nicht berührt. Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe werden plurilateral im Rahmen der WTO im "Government Procurement Agreement"/GPA geregelt, dass derzeit reformiert wird.
- Eine Privatisierung oder Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen, insbesondere der Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wird durch die laufenden Verhandlungen zu internationalen Handelsabkommen nicht erfolgen. Die hohe Qualität der Versorgungswirtschaft in der EU soll ausdrücklich aufrechterhalten werden.
- Die Bundesregierung informiert Bundestag und Bundesrat mit regelmäßigen Berichten etwa aus dem Handelspolitischen Ausschuss (Dienstleistungen und Investitionen) über Berichte der EU Kommission zum Fortschritt von Verhandlungen und leitet die entscheidenden Dokumente hierzu an den Bundestag und den Bundesrat weiter. Zusätzlich werden Veranstaltungen im Ressortkreis, mit den Bundesländern, mit Wirtschaftsverbänden, der Wissenschaft, der Gesellschaft und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgeführt, bei welchen ausführlich über den Stand der Diskussionen berichtet wird.
- Die EU ist ausdrücklich aufgefordert sicher zu stellen, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten auch weiterhin Politiken im kulturellen und audiovisuellen Bereich zur Bewahrung ihrer kulturellen Vielfalt erhalten und entwickeln können.
In der Hoffnung, Ihnen mit diesen Hinweisen und Informationen behilflich gewesen zu sein, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Dr. Herlind Gundelach