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Herbert Schui
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Frage von Peter C. •

Frage an Herbert Schui von Peter C. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

in einer Pressemitteilung vom 23.10.2007 | 12:33 fordern Sie, die niedersächsische Landesregierung solle vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das VW-Urteil des Europäischen Gerichtshofs klagen.

An einer politischen Beurteilung des VW-Sachverhaltes Ihrerseits bin ich nicht interessiert (konnte ich bereits nachlesen); mich interessiert lediglich, was Sie sich (a) von einer Klage vor dem BVerfG erwarten und (b) wie Sie das Verhältnis Europa- versus Bundesrecht bewerten.

Vielen Dank und beste Grüße
Peter Conradt

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Conradt,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 24. Oktober zum VW-Gesetz. Sie beziehen sich auf eine Pressemitteilung, die ich gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Diether Dehm verfaßt habe. ( http://www.linksfraktion.de/pressemitteilung.php?artikel=1292129108 )

Da Sie auf seine Argumentation Bezug nehmen, habe ich Herrn Dr. Dehm um eine Antwort gebeten, die ich Ihnen hiermit weiterleite (s.u.).

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Schui

Sehr geehrter Herr Conradt,

ich bedanke mich für Ihre Anfrage. Aus meiner Sicht müssten die Bundesregierung und niedersächsische Landesregierung aus folgenden Gründen gegen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
zum VW-Gesetz das Bundesverfassungsgericht anrufen:

In Artikel 295 des EG-Vertrags heißt es ausdrücklich: „Dieser Vertrag lässt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten unberührt.“ Diese Vorschrift wird unverändert bestehen bleiben, auch wenn der Reformvertrag Wirksamkeit erlangen sollte. Übrigens fand sich die Regelung wortgleich auch in Artikel III-425 des gescheiterten Verfassungsvertrags.

Artikel 295 EGV verbietet es der Europäischen Union nicht nur, öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln zu untersagen und insgesamt oder für bestimmte Sektoren ausschließlich Privateigentum vorzuschreiben. Er lässt damit erst recht die Kompetenz der Mitgliedsstaaten unberührt, Privateigentum öffentlichen Bindungen zu unterwerfen, wie es etwa das Grundgesetz in Artikel 14 Abs. 2 vorsieht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Die Sozialbindung des (Privat-)Eigentums, auch von Unternehmenskapital, ist Konsequenz der Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland, die in ihrer Qualifizierung als „demokratischer und sozialer Bundesstaat“ in Artikel 20 Abs. 1 Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Sozialstaatliches Handeln ist zur Erfüllung des Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz unabdingbar notwendig: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Sowohl die Festlegung auf Sozialstaatlichkeit als auch die staatliche Gewährleistung der Menschenwürde unterliegen der „Ewigkeitsklausel“ des Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz: Sie dürfen selbst mit verfassungsändernder Mehrheit von zwei Dritteln in Bundestag und Bundesrat nicht zur Disposition gestellt werden.

Die Europäische Union hat Rechtsetzungsbefugnisse nicht aus souveränem eigenen Recht, sondern ausschließlich auf Grund „der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft“. (Bundesverfassungsgericht) Nach deutschem Verfassungsrecht durfte und darf der deutsche Gesetzgeber aber keine Hoheitsrechte auf die Europäische Union unter Freistellung von der Bindung an das Sozialstaatsgebot übertragen.

Das Urteil des EuGH beruht darauf, dass es völlig unreflektiert die „Kapitalverkehrsfreiheit“ als unbeschränkte Anlagefreiheit des Kapitals über die im Sozialstaatsprinzip wurzelnde Sozialbindung auch von Kapitaleigentum stellt. Damit unterstellt der EuGH dem EG-Vertrag einen Inhalt, dem der deutsche Gesetzgeber bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union bzw. die Europäische Gemeinschaft unter Beachtung der „Ewigkeitsklausel“ nicht verfassungskonform hätte zustimmen können. Auf dieser Verkennung des Umfangs der auf die EU übertragenen Hoheitsrechte beruht die Entscheidung des EuGH. Sie ist damit fehlerhaft.

Gegen die unzutreffende Feststellung des EuGH, das VW-Gesetz sei in Deutschland innerstaatlich unwirksam, muss die Bundesregierung und muss auch das besonders betroffene Land Niedersachsen zur Feststellung der fortdauernden Wirksamkeit des VW-Gesetzes in entsprechender Anwendung von §§ 13 Nr. 6, 76 ff. des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes das Bundesverfassungsgericht anrufen können.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Diether Dehm