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Herbert Schui
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Frage von Heinrich V. •

Frage an Herbert Schui von Heinrich V. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Schui,

gerne hätte ich einmal von Ihnen gewusst, wie Sie die längst überflüssige IHK-Zwangsmitgliedschaft sehen !
Insbesondere als Wirtschaftswissenschaftler müssten Sie wohl sehr genau wissen, daß diese Zwangsmitgliedschaft zur Industrie- und Handelskammer nicht mit einer vernünftigen Marktwirtschaft vereinbar ist.
Laut Bericht der WELT vom 14. Februar 2005 ("Wirtschaft votiert gegen Kammerpflicht") ermittelte das Meinungsforschungs-Institut Psephos, daß 68 % der Führungskräfte in Hamburg und Umgebung die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft forderten.
http://www.welt.de/print-welt/article425010/Wirtschaft_votiert_gegen_Kammerpflicht.html

Laut Umfrage von markt-intern (Düsseldorf) aus dem Jahre 2002 lehnten 99,3 % die IHK-Zwangsmitgliedschaft ab:
http://www.ihk-zwang-nein.de/thema172.html

Laut Umfrage der Union Mittelständischer Unternehmen = 93 % , wie die Südwest-Presse (Ulm) am 30. März 2000 berichtete :
http://www.ihk-zwang-nein.de/thema171.html

Daß es fast in keinem anderen Land dieser Welt derart unnötige Zwangsmitgliedschaften gibt, dürfte Ihnen sicherlich auch bekannt sein.
Wie es in den anderen EU-Ländern damit aussieht, finden Sie z. B. mit nachfolgendem Link:
http://www.kammerjaeger.org/html/frameset.htm (und dann weiter bitte Recht & Gesetz und dann hier anklicken: = andere Staaten der EU )

Und hier ein Bericht aus Presse-Portal vom 23. Februar 2005 / nachdem der Kammerzwang im Fürstentum Liechtenstein als verfassungswidrig erkannt war:
http://www.presseportal.ch/de/story.htx?nr=100486496

Sehr vernünftige Alternativen zum Kammerzwang (ausgearbeitet von den Unternehmern Hermann Schrecker und Axel Pestel) finden Sie z. B. hier:
http://www.kammerjaeger.org/pdfs/alternativen05.pdf

Was können Sie - sehr verehrter Herr Dr. Schui - im Bundestag kurzfristig bewirken, daß diesem unseligen Zwang endlich ein Ende bereitet wird ?

Mit freundlichen Grüßen
Heinrich Vetter

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Vetter,

Die Pflichtmitgliedschaft von gewerblichen Unternehmen in den Industrie- und Handelskammern ist seit Jahren in der Tat heftig umstritten. Das zeigen die von Ihnen genannten Umfragen ebenso wie Petitionen an den Deutschen Bundestag. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen kritisieren, dass sie gesetzlich gezwungen sind, als Pflichtmitglieder eine Kammer zu finanzieren, die nicht oder kaum in ihrem Interesse handelt und deren Nutzen sie nicht erkennen können.

Darüber hinaus gibt es bei den IHK weitere Mängel und Fehlentwicklungen:
Die IHK-Beiträge belasten – in Relation zum jeweiligen Gewerbeertrag – Kleinst- und Kleinbetriebe ungleich stärker als Großkonzerne. Während Firmen mit einem Gewerbeertrag von nur 12.000 Euro bis zu 200 Euro Beiträge (1,7 Prozent vom Gewerbeertrag) zu zahlen haben, verringern sich die Beiträge von Großunternehmen im Extremfall auf weniger als ein Promille des Gewerbeertrages.
Die IHK orientieren sich zu sehr am Bedarf der Großunternehmen, obwohl gerade diese die Mittel hätten, um ihre Probleme selbst zu lösen. Die Dominanz der großen Unternehmen in den Kammergremien ist für kleine und mittlere Unternehmen ein besonderes Ärgernis, weil sie mir ihren Beiträgen die Hauptlast der Kammerfinanzierung tragen.

Entgegen dem IHK-Gesetz werden Industrie- und Handelskammern zunehmend selbst wirtschaftlich tätig. Auf einigen Gebieten, wie etwa bei Lehrgängen und Gutachten, tritt die IHK in Konkurrenz zu den eigenen Mitgliedern auf, bisweilen zu nicht kostendeckend kalkulierten Preisen.

Ausbildungsbetriebe, die in besonderem Maße ihre gesamtwirtschaftliche Verantwortung wahrnehmen, beklagen ungerechtfertigt hohe Registrierungs- und Prüfungsgebühren, die bis zu 500 Euro pro Einzelfall betragen.

Entgegen dem IHK-Gesetz, das eine „abwägende und ausgleichende“ Vertretung von Gesamtinteressen der Kammermitglieder verlangt, werden von IHK-Vorständen häufig Partialinteressen vertreten. So widerspricht etwa die Forderung, den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig zu machen, unmittelbar den Interessen zahlreicher Mitgliedsbetriebe, die im Bereich der regenerativen Energiegewinnung tätig und deshalb nicht bereit sind, mit ihren Kammerbeiträgen indirekt die Gefährdung ihrer eigenen Geschäftsgrundlage zu finanzieren.
Unangemessene Repräsentanzkosten und – angesichts der Pflichtmitgliedschaft – unsinnige Werbekampagnen widersprechen dem gesetzlichen Auftrag ebenso wie unnötig hohe Ausgaben für Mehrfachbesetzungen von Geschäftsführerposten.
Die in den IHK-Satzungen enthaltenen Transparenz- und Demokratiegebote haben sich in der Praxis häufig ins Gegenteil verkehrt, in Intransparenz und „Klüngelwesen“. Entsprechend gering ist auch die Beteiligung an IHK-Wahlen (in der Regel zwischen 10 und 20 Prozent). Beklagt wird, dass Sitzungen der Vollversammlungen und der Ausschüsse nicht grundsätzlich für alle Mitglieder zugänglich sind, dass Erkenntnisse aus den Ausschüssen der breiten Kammer-Mitgliedschaft vorenthalten werden, dass Tagesordnungen und Sitzungsprotokolle den Mitgliedern nicht bekannt gegeben werden, dass Wahlordnungen gegen demokratische Grundsätze verstoßen und die IHK-Mitgliedschaft nicht angemessen repräsentieren, dass Kammerhaushalte intransparent erstellt, nicht veröffentlicht und so der kritischen Würdigung durch die Beitragszahler entzogen werden.

Beanstandet wird darüber hinaus, dass Vorstandspositionen häufig nach politischen Kriterien vergeben werden und dass IHK-Geschäftsführer sich bisweilen mehr den Wünschen ihrer jeweiligen kommunalen Parteikollegen verpflichtet fühlen als den Interessen der Kammermitglieder.
Als unzulässig wird die Finanzierung des privat-rechtlich organisierten Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK durch die öffentlich-rechtlich verfassten Industrie- und Handelskammern bemängelt. Insbesondere widersprechen die öffentlichen Verlautbarungen des DIHK der gesetzlich geforderten Enthaltung in allen sozialpolitischen und arbeitsrechtlichen Fragen. Trotz dieser zahlreichen und schwerwiegenden Missstände ist die IHK-Pflichtmitgliedschaft höchstrichterlich vom Bundesverfassungsgericht zuletzt 2001 bestätigt worden – wegen ihrer, wie es heißt, „legitimatorischen und freiheitssichernden Funktion“. Dass diese Funktion tatsächlich wahrgenommen wird, bezweifelt dagegen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und sieht mit der Zwangsmitgliedschaft in Berufsverbänden das Grundrecht auf negative Vereinigungsfreiheit gefährdet (Urteil vom 11. Januar 2006).

Jenseits dieser prinzipiellen juristischen Bedenken ist der Gesetzgeber gehalten, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die gravierenden Fehlentwicklungen der IHK korrigiert werden können. Ohne diese dringend erforderlichen Korrekturen, zu denen auch die Einführung einer klar geregelten Mitbestimmung der Beschäftigten gehören muss, verliert die grundsätzlich sinnvolle, öffentlich-rechtlich organisierte Selbstverwaltung weiter an Ansehen und wird von den zwangsverpflichteten Mitgliedern zu Recht als nicht hinnehmbares Ärgernis empfunden.

Aus den genannten Gründen fordert die LINKE eine grundlegende Reform der Industrie- und Handelskammern inklusive eines gesetzlichen Rahmens für die Festsetzung der IHK-Beiträge, der ertragsschwache Kleinst- und Kleinunternehmen vollständig von Beiträgen befreit.

Aus unserer Sicht sind bei einer grundlegenden Reform des IHK-Gesetzes von 1956 folgende Eckpunkte zu berücksichtigen:

- Die gegenwärtig degressiv gestalteten und die Großunternehmen begünstigenden Beitragsregelungen sind zu überwinden. Bundeseinheitlich wird eine progressiv wirkende, die Großunternehmen prozentual stärker belastende Beitragsregelung vorgeschrieben, die den einzelnen IHK eine Variation der Hebesätze in engen Grenzen, aber keine Abweichung von der Progression erlaubt. Zusätzlich wird allen Unternehmen bis zu einer Grenze von 30.000 Euro Gewerbeertrag pro Jahr, hilfsweise Gewinn aus Gewerbebetrieb, eine beitragsfreie Mitgliedschaft gewährt, sodass die überwältigende Mehrheit der Kleinst- und Kleinbetriebe keine Beiträge zu zahlen hat.

- Die IHK werden verpflichtet, ausschließlich im Sinne ihrer Kernaufgaben, der Dienstleistungen für die Mitgliedsfirmen, tätig zu werden und auf diese Weise die Mindereinnahmen, die aus einer neuen Beitragsregelung resultieren, zu kompensieren.

- Die bereits bestehende, im geltenden Gesetz enthaltene Einschränkung, dass die Wahrnehmung sozialpolitischer und arbeitsrechtlicher Interessen nicht zu den Aufgaben der Industrie- und Handelskammern gehört, wird erweitert. Die IHK werden zu umfassender und strikter politischer Neutralität verpflichtet, da grundsätzlich jede Stellungnahme zu politischen Themen die Interessen bestimmter Kammermitglieder verletzen kann.

- Um Kostenbewusstsein, Demokratie und Transparenz zu befördern, werden für Geschäftsführung, Veröffentlichungspflichten, Rechenschaftslegung sowie für die Teilhabe und die Repräsentanz der Kammermitglieder strenge Mindeststandards festgelegt.

- Den IHK ist jeglicher Wettbewerb mit den eigenen Mitgliedern zu untersagen. Ausgenommen sind Informations- und Schulungsveranstaltungen, die von der Privatwirtschaft nicht hinreichend oder qualitativ unzureichend angeboten werden.

- Die Nutzung von Kammereinrichtungen als einseitige Interessenvertretung der Arbeitgeber ist ebenso zu unterbinden wie die Verflechtung von Arbeitgerberverbänden und -einrichtungen mit den Kammern.

- Jegliche Beteiligung der öffentlich-rechtlich verfassten IHK an privat-rechtlichen, die Gebote des IHK-Gesetzes verletzenden Organisationen, wie insbesondere dem DIHK, ist zu untersagen. In gleicher Weise unzulässig sind die Quersubventionierung, die Kreditierung oder anderweitige Unterstützung von Organisationen, die den Zielen und Neutralitätspflichten des IHK-Gesetzes nicht entsprechen.

- Bei den Industrie- und Handelskammern wird eine qualifizierte Mitbestimmung eingeführt. Alle Organe der Kammern sind paritätisch durch Betriebsinhaber- und Arbeitnehmervertreter zu besetzen.

Mit diesen Forderungen konfrontieren wir die anderen Parteien im Deutschen Bundestag. Zu befürchten ist allerdings, dass man sich dort einer Reform verweigert – nicht zuletzt, weil unsere Vorschläge die Pfründe von christ-, frei- und wohl auch sozialdemokratischen Versorgungsfällen bedrohen.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Schui