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Herbert Schui
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Frage von Chridtian E. •

Frage an Herbert Schui von Chridtian E. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sie haben gegen den Tornado Einsatz gestimmt. Es handelt sich bei diesem Einsatz um Aufgaben zum Aufspüren von Kräften, die das Land zerstört haben und weiter zerstören wollen. Es handelt sich also um reine Polizeiaufgaben um kriminelles Handwerk zu legen. So ähnlich wie in Deutschland die RAF auch aufgespürt werden musste. Mit Ihrem Nein sind Sie also für eine Verlängerung der Qual an der Bevölkerung.
Ich frage Sie:
Warum haben Sie gegen diesen Polizei Einsatz gestimmt? Bevor Sie antworten biete ich Ihnen ein Gespräch mit einem Menschen aus Afghanistan an, der ein Jahr von den Taliban gefoltert wurde. Nach diesem Gespräch würde ich gerne Ihre Antwort hören.

Mit freundlichem Gruss
Christian Ebel

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Sehr geehrter Herr Ebel,

noch bevor ich mit dem Folter-Opfer rede: Einige grundlegende Überlegungen sind anzustellen, damit wir einschätzen können, ob der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan die Wende zum Guten bringt. Ich habe Gründe genug, das nicht anzunehmen.

Lesen Sie bitte einem kurzen Zeitungskommentar von mir in der Kreiszeitung meines Wahlkreises, den Harburger Anzeigen und Nachrichten (22.3.2007).

Tornados gegen Terror?

Die Mehrheit des Bundestages hat beschlossen, Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu schicken. Sie sollen die Natotruppen im südlichen Landesteil gegen die Frühjahrsoffensive der Taliban unterstützen. Im Grundsatz geht es bekanntlich um den „Krieg gegen den Terror“: Der Ausgangspunkt für Anschläge soll militärisch besiegt werden. Aufspüren und vernichten heißt das Operationsziel. Diese Strategie aber wird erfolglos sein. Denn der Feind lässt sich nicht messen in Soldaten oder Bewaffnung.

Entscheidend ist vielmehr ein tiefer Wandel im Islam. Francis Robinson, ein bedeutender Islamwissenschaftler der Royal Holloway University of London, beschreibt diesen Wandel so: Kennzeichnend ist das unerwartete Aufkommen einer (oft bedrohlich wahrgenommenen) Energie, Kraft und Entschlossenheit, die begleitet wird von einer Verschiebung muslimischer Frömmigkeit von einem jenseitigen zu einem diesseitigen Mittelpunkt der Aktivität. Der Glaube äußert sich weniger in Kontemplation, in der Ergebung in den Willen Allahs, im Glauben, dass er das Leben der Menschen gestaltet. Die Oberhand gewinnt vielmehr ein Glaube, in dem das Bewusstsein vorherrscht, dass es die Aufgabe der Muslime ist, jedes einzelnen von ihnen, eine islamische Gesellschaft zu begründen. Dahinter steckt die machtvolle Idee des „Kalifats des Einzelnen“: Die historische Funktion des Kalifen als Nachfolger des Propheten geht auf das gläubige Individuum über. Dieses übernimmt die Aufgabe des legitimen weltlich-religiösen Führers, der die Gemeinschaft gestaltet. Das Ergebnis ist ein tätiger, entschlossener – für einige Islamwissenschaftler – ein protestantischer Islam. Sein Aktivismus und seine Energie übertragen die Verantwortung, eine islamische Gesellschaft zu schaffen, auf jeden einzelnen Muslim.

Diese Verantwortung hat, für sich genommen, sicherlich nichts Terroristisches an sich. Dies ist energisch zu betonen. Aber wenn der Einzelne sich individuell für die Schaffung einer islamischen Gesellschaft verantwortlich wahrnimmt, kann ihm der Anschlag, der Sabotageakt ein legitimes Mittel hierfür sein. Die religiöse Unterweisung lehrt hierbei die individuelle Verantwortung des Einzelnen vor Allah. Diese eigene und unmittelbare Verantwortung wiederum schließt im Wesentlichen aus, dass der geistliche Lehrer eine Funktion als Organisator oder Befehlsgeber wahrnimmt.

Wenn wir all dies gelten lassen, dann besteht die Energie so genannter Terrorzellen nicht in einem weltweiten Netzwerk, das Befehle gibt. Dann aber wird jede militärische Operation dagegen zwecklos. Denn was der Einzelne subjektiv als seine eigene Verantwortung bei der Schaffung der islamischen Gesellschaft wahrnimmt, lässt sich mit Tornados nicht aufklären und militärisch nicht besiegen. Vielmehr werden der Krieg und die großzügig in Kauf genommenen Kollateralschäden zu weiteren Anschlägen motivieren.