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Herbert Schui
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Frage von Reiner S. •

Frage an Herbert Schui von Reiner S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schui,

Habe gerade die Antwort von Frau Baltazhy auf die Frage von Herrn Erwin gelesen. Finden Sie es wirklich richtig, eine solche Frage von jemand anders und dann noch in dem Stil "nicht meine Baustelle" beantworten zu lassen?
Eine solche Antwort hätte ich eigentlich eher aus den Reihen der aktuell regierenden Koalition erwartet !

Mit freundlichen Grüßen
Reiner Schmidt

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Schmidt,

vielen Dank für Ihren Hinweis. Meine Antwort an Herrn Erwin finden Sie am Ende dieser Nachricht.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Herbert Schui

Sehr geehrter Herr Erwin,

um mit der Definition der Familie zu beginnen: Die Familienform ist abhängig von der jeweiligen Wirtschafts- und Sozialstruktur. In einer Agrargesellschaft bedeutet Familie etwas völlig anderes als in einer Industriegesellschaft. Es gibt durchaus Familiensoziologen, die mit dem Zeitalter der Industrie das Ende der Familie feststellen. Unsicher ist, ob sich statt der klassischen Familie nun eine Art Flickwerkfamilie herausbildet, in der beispielsweise Kinder aus unterschiedlichen Bindungen zusammenleben. Die Kernfamilie mit Eltern und Kindern jedenfalls ist angesichts der hohen Scheidungsquote nicht mehr repräsentativ. Oder mit anderen Worten: Die ökonomischen Notwendigkeiten und der gesellschaftliche Druck der Agrargesellschaft haben vergleichsweise stabile Familien erzwungen, die moderne Industriegesellschaft dagegen zerstört diese Familienform. Die Forderung nach Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt beschleunigt dies. Diese Entwicklung ist bereits im 19. Jahrhundert deutlich geworden. Im Kommunistischen Manifest heißt es: "Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt." Sicherlich hat die Sozial- und Familiengesetzgebung hier Einiges aufhalten und korrigieren können, aber je mehr die öffentliche, die staatliche Verantwortung zugunsten der Eigenverantwortung beseitigt wird, gleicht sich die Lage wieder der des 19. Jahrhunderts an.

Die Familienpolitik hat es unter diesen Bedingungen nicht leicht: Sie kann einerseits nicht an der Wirklichkeit der Industriegesellschaft vorbeisehen, die sich eben von der Agrargesellschaft klar unterscheidet. Andererseits aber kann sie die Eltern nicht einfach aus ihrer Verantwortung für ihre Kinder entlassen. (Dies schließt die Unterhaltsverpflichtung für den Ehepartner ein.) Weil das so ist, mag für den zweiten Versuch, wie Sie dies in Ihrer Frage formulieren, Zeit und Geld fehlen.

Aber wie auch immer diese Frage in der Zukunft entscheiden wird: In jedem Falle muß für die Kinder gesorgt werden. Wenn die Eltern, ob nun geschieden oder nicht, dies nicht können, ist es Sache des Staates, sich der Kinder anzunehmen. Erziehung ist eben zunehmend eine öffentliche Angelegenheit. Dies ist offensichtlich vom Grundsatz her auch dem Familienministerium klar.

Bei der Definition des Begriffes "Vater" ist es ähnlich wie bei der Bestimmung der Familie. In der bäuerlichen oder handwerklichen Familie, in der Berufs- und Familienleben eng miteinander verbunden waren, war der Vater (wie auch die Mutter) für die Kinder permanent gegenwärtig. Der Vater führte in das Leben ein. Er war besonders für die berufliche Sozialisation der Söhne verantwortlich. Das ändert sich grundlegend, wenn in der Industriegesellschaft abhängige und untergeordnete Beschäftigung außerhalb des Hauses vorherrschend ist. Entscheidend ist hierbei nicht nur die Abwesenheit des Vaters, sondern auch die berufliche Unterordnung, die sich in der Familie in Analogie fortsetzt. Es kann als sicher gelten, daß beides die Sozialisation der Kinder negativ beeinflußt. Arbeitszeitverkürzung, mehr Rechte für die Arbeitenden und damit eine Abmilderung der Hierarchie in den Betrieben, Erwerbstätigkeit der Frauen und damit Beseitigung der strikten Rollenverteilung, Krippen, Kindergärten und Ganztagsschulen haben diese klassische Innenansicht der Familie sehr verändert. Die Väter haben damit wieder eine positivere Rolle spielen können. (Die Parole des DGB bei der Forderung nach der Fünftagewoche "Samstags gehört Vati mir" kann Vieles davon auf den Begriff bringen.)

Aber auch hier geht die Entwicklung bekanntlich den falschen Weg: Die Arbeitszeit nimmt zu, die Furcht vor Arbeitslosigkeit erzwingt vermehrt Unterordnung, weniger Kündigungsschutz, mehr Flexibilität und Ähnliches mehr führen wieder zurück zu den Verhältnissen, wie sie vor hundert Jahren vorherrschend waren.

Was, zusammengenommen, definiert demnach "Familie" und "Vater"? Entscheidend ist die Wirtschafts- und Sozialstruktur. Die wiederum kann die Wirtschafts-, die Sozial- und Familienpolitik gestalten. Mit der Frage nach der Scheidungsquote oder der Unterhaltspflicht jedenfalls ist die Sache nicht erfaßt.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Herbert Schui