Frage an Herbert Schui von Claudia W. bezüglich Finanzen
Lieber Herr Prof. Schui,
ich habe vor, Ihrer Partei bei der Bundestagswahl meine Stimme zu geben, wünsche mir aber analog zur berechtigten Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn und Erhöhung der Regelsätze beim Arbeitslosengeld II eine stärkere Thematisierung des steuerlichen Existenzminimums.
Das fällt regelmäßig unter den Tisch, obwohl mit der Partei Die Linke sehr viele Freiberufler und Honorarkräfte sympathisieren, die existenziell davon betroffen sind.
Wie steht Ihre Partei zu der Absurdität, dass das steuerliche Existenzminimum unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegt?
Freiberufler mit Einkommen, genau dazwischen oder nur knapp über der Pfändungsfreigrenze liegen, sind geradezu prädestiniert, Steuerschulden anzuhäufen, weil es für sie einfach unrealistisch ist, auch noch Geld für das Finanzamt auf die Seite zu legen oder einen Steuerberater zu bezahlen. Alternativ kostet die Bürokratie sie selbst unbezahlte Arbeitsstunden. Wenn diese nicht zeitig investiert werden, droht ihnen die Schätzung durch das Finanzamt, nebst Besteuerung fiktiver Einkommen.
Diese Gruppe gehört zwar formal zum Unternehmertum, beutet aber niemanden aus und hat faktisch oft nicht mehr Geld in der Tasche die Empfänger von Arbeitslosengeld II.
Wer sich nicht oder nur wenig mit Politik beschäftigt, lässt sich aber in dieser Situation womöglich von FDP-Parolen beeindrucken, weil Die Linke das Thema vernachlässigt.
Wie stehen Sie persönlich zum Vorschlag, das steuerliche Existenzminimum auf mindestens 10 000, besser 12 000 Euro im Jahr zu erhöhen, Kleinunternehmern nach § 19 UStG nicht mehr mit Geldstrafen für die verspätete Abgabe der Steuererklärung zu drohen, sowie eine Steuerschuldenamnestie und ein Schätzungsmoratorium für diese Gruppe zu erlassen?
Vielen Dank im Voraus.
Claudia Wangerin
Sehr geehrte Frau Wangerin,
Sie haben Recht: Die Arbeitsbedingungen sind für viele Solo-Selbständige ebenso schlecht und das Einkommen ebenso niedrig wie für viele abhängig Beschäftigte. In Deutschland verdienen 48 Prozent der Solo-Selbständigen weniger als 1.100 € im Monat. Kleinere Selbständige sind sehr davon abhängig, ob ihre Rechnungen durch Auftraggeber bezahlt werden. Für viele ist Selbständigkeit nichts weiter als eine Strategie, um sich nicht aus der Arbeitslosigkeit heraus auf eine Stelle bewerben müssen – mit dann schlechteren Chancen.
Um die Situation der Solo- Selbständigen zu verbessern, muss insbesondere deren soziale Absicherung verbessert werden. Vor allem müssen die Selbständigen in die sozialen Sicherungssysteme zu integriert werden. Im Rahmen einer solidarischen Bürgerversicherung ist dies möglich. Um ein höheres Einkommen zu erzielen, ist es denkbar, die Forderung nach einem Mindestlohn auszuweiten und Honorarzahlungen an Selbständige gesetzlich festzulegen, die einen Mindestbetrag nicht unterschreiten dürfen. Neu wären solche Regelungen nicht: Bei Notaren oder Rechtsanwälten werden seit langem die Honorare gesetzlich festgelegt. Ergänzend fordert DIE LINKE. eine Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags auf 9.300 Euro, so dass mehr als 12.000 Euro brutto steuerfrei bleiben. Dieser Betrag läge dann über der Pfändungsfreigrenze, die sie ansprechen. Die Pfändungsgrenze ist das absolute Minimum. Das sollte jedem bleiben. Daher fordern wir auch einen Mindestlohn, der über dieser Grenze liegt.
Nicht zuletzt muss sichergestellt werden, dass die Solo-Selbständigen nicht deshalb selbständig sind, weil ihr vormaliger Arbeitgeber sie in die Selbstständigkeit gezwungen hat, faktisch aber einziger Auftraggeber ist und sich so um die Zahlung der Arbeitsgebenbeiträge an die Sozialversicherung drücken will. Diese Scheinselbständigen müssen wieder als regulär sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Herbert Schui