Frage an Herbert Reul von Erika K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Reul,
das vorbereitete TTIP-Freihandelsabkommen zwischen USA und Europa, welches 2015 in Kraft treten soll und bisher selbst bei EU-Abgeordneten in wesentlichen Teilen nicht bekannt ist (siehe u.a. Dokumentation), erfüllt uns mit großer Sorge.
Meine Frage: Wie ist es möglich , dass ein Abkommen mit derart weitreichenden Folgen als geheim eingestuft und hinter verschlossenen Türen beraten wird?
Selbst EU-Abgeordnete sind über wesentliche Inhalte nicht informiert (siehe Veröffentlichungen durch Fachleute und Nicht-Regierungs-Organisationen) und hinterfragen dieses Abkommen.
Die Kritikpunkte
- europäische Standards bei Lebensmitteln werden stark eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt
- Einführung gentechnisch veränderter Lebensmittel und gesundheitsgefährdende Fleischbehandlung (z.B. Chlordesinfektion bei Geflügel, in den USA gängige Hormonbehandlung bei Rindern)
- die Beweislastpflicht liegt in den USA beim Verbraucher, in der EU bei der Industrie (z.B. Fracking)
- Klauseln im TTIP-Freihandelsabkommen, die bisher geheim gehalten wurden, besagen, dass es Vertragspartnern zukünftig untersagt ist, Konzernen mit ihren Produkten den Marktzugang zu verweigern, selbst wenn diese nach EU-Richtlinien gesundheitsgefährdende Produkte einführen wollen. Sollten sich einzelne Staaten dagegen wehren, besteht seitens einer privaten Gerichtsbarkeit in den USA aufgrund der Klauseln das Recht, Schadensersatzforderungen für entgangene fiktive Gewinne durchzusetzen.
- die geringe positive Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum steht in keinem Verhältnis zu den hohen Risiken der Standardabsenkung in der EU.
Können Sie sich dafür einsetzen, dass die Inhalte dieses Abkommens nicht länger der Geheimhaltung unterliegen und es nur dann beschlossen wird, wenn die Standards der EU eingehalten werden?
In Erwartung Ihrer Antwort
mit freundlichem Gruß
E. Krenzer
Dokumentation 20.3.14 3sat "Gefährliche Geheimnisse - Wie USA und Europa den Freihandel planen"
Sehr geehrte Frau Krenzer,
vielen Dank für Ihre Email vom 24. März indem Sie Ihre Bedenken zum EU-USA Freihandelsabkommen äußern.
Es ist richtig, dass der oder die einzelne Abgeordnete keinen direkten Einblick in die Verhandlungsdokumente hat, doch besteht deshalb kein Grund zur Sorge. Die Kommission, welche das Verhandlungsmandat von dem Rat der EU-Mitgliedsstaaten und auch vom Europäischen Parlament selbst erhalten hat, verhandelt im Rahmen dieses Mandats direkt mit den USA. Es ist auch nicht ganz richtig, dass die EU-Parlamentarier über wesentliche Teile des Abkommens im Unklaren gelassen werden. Jede Fraktion innerhalb des Europäischen Parlaments hat einen Berichterstatter im dafür zuständigen Handelsausschuss, diese erhalten Einsicht in alle relevanten Dokumente. Jede/r Abgeordnete kann sich bei offenen Fragen an die Berichterstatter wenden. Um dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit gerecht zu werden, werden von der Kommission Informationsveranstaltungen angeboten, bei denen Verbände und NGOs sich registrieren können, um Vertretern der Kommission ihre Bedenken im direkten Austausch vortragen zu können.
Gerne möchte ich noch auf die zwei Themenpunkte eingehen, die momentan medial stark im Fokus stehen. Zum einen das sogenannte Investitionsschutzabkommen, welches erst einmal nichts anderes darstellt, als einen Schutz von Investoren vor einer entschädigungslosen Enteignung im Ausland. Deutschland hat selbst bereits 140 solcher bilateraler Abkommen mit anderen Staaten abgeschlossen. Es geht also auch um den Schutz europäischer bzw. deutscher Unternehmen. Die Kommission will klare Definitionen des Investitionsschutzes in den Vertrag einbringen, um dadurch ein willkürliches Klagerecht seitens der Unternehmen auszuschließen. Gerade auch wegen der öffentlichen Kritik an diesem Kapitel des EU-USA Freihandelsabkommen wurden die Verhandlungen hierüber vorerst gestoppt, um die weitere Vorgehensweise und die Bedenken der Öffentlichkeit zu eruieren.
Zum anderen die vermeintliche Absenkung der europäischen Lebensmittelstandards (Stichwort „Chlorhühner“). Diese Themen waren bis dato noch nicht Gegenstand der Verhandlungsrunden und um es vorweg deutlich zu sagen: Es wird kein Abkommen um jeden Preis geben, erst recht keines, bei dem bestehende Standards - auf die wir zu Recht stolz sein können - durch das EU-USA Freihandelsabkommen untergraben werden sollen. Die Kommission hat wiederholt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hier keinerlei Verhandlungsspielraum besteht.
Vor Beschluss des Abkommens, muss es sowohl vom Europäischen Rat, als auch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden. Noch ist nichts beschlossen und es gibt noch einige kritische Punkte die es zu klären gilt, bevor das Abkommen zu geltendem Recht wird.
Ich hoffe Ihnen mit meiner Antwort weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Reul