Frage an Herbert Reul von Werner L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Reul,
wie Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, sichert die Marechaussee (niederländische Grenzpolizei) seit Oktober 2011 alle größeren Grenzübergänge ihre Binnengrenzen mit Kamerasystemen, die jedes Fahrzeug incl. Frontinsassen ablichten und mit diversen Datenbanken (Polizei, Finanzamt, diverse Nachrichtendienste, etc.) abgleichen. Ob man in der Datenbank aufscheint oder nicht die Aufnahmen werden ca. vier Wochen bewahrt, mit anderen Worten Vorratsdatenspeicherung!
Diverse Journalisten und Datenschützer in den Niederlanden bemühten sich um bei den niederländischen Behörden bzw. Regierung nähere Informationen und Stellungsnahmen zu ergattern, leider ohne ersichtlichen Erfolg. Die Behörden und die niederländische Regierung verstecken sich hinter zweifelhaften, nichtssagenden und allgemeinen rhetorischen Antworten oder schweigen sich aus.
Ich bezweifle sehr, dass man mit dieser Art von (löchriger) Rasterfahndung bzw. automatisierten Grenzkontrollen tatsächlich das organisierte Verbrechen (Menschen- und Drogenhandel) wehren kann. Allerdings befürchte ich, als an der Grenze wohnende unbescholtene Bürger, ein gläserne Bürger zu werden, der bei jedem Grenzübertritt kontrolliert/registriert bzw. aufgezeichnet wird.
Inwieweit sind Sie hierüber informiert bzw. sehen Sie Handlungsbedarf. Inwieweit ist diese Maßnahme konform dem europäischen Gedanken von Reisefreiheit bzw. Datenschutz. Ist diese Maßnahme überhaupt konform den europäischen Vorschriften, den darüber schweigt sogar die niederländische Regierung.
Gerne würde ich in Kürze Ihren Standpunkt erfahren und ob Sie bzw. wie Sie dagegen vorgehen werden/wollen.
Mit freundlichen Grüßen,
Werner Luidolt
Sehr geehrter Herr Luidolt,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 03.03.2012 zu der verstärkten niederländischen Grenzkontrolle mit Hilfe des Kameraüberwachungssystems "@migo-boras".
In der Tat nehme ich die Vorgehensweise der niederländischen Regierung als kritisch wahr. Die Überwachung, direkte Auswertung und nachhergehende Speicherung von Fahrzeugdaten und Frontinsassen diskreditiert meiner Meinung nach die Freizügigkeit und Privatsphäre eines jeden Bürgers.
Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström wandte sich bereits an die niederländische Regierung in Den Haag und forderte mehr Informationen zu dem Fall. Die Antwort kam Ende Januar vom Immigrationsminister Gerd Leers. Dieser war der Meinung, dass die Kameras zum Ziel der Überwachung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel installiert worden wären und dass dies nicht gegen den Vertrag von Schengen verstoßen würde. Zudem sollen die Kameras nur stichprobenartig verwendet werden. Diese Stellungnahme wird nun von der Europäischen Kommission bewertet. Es wird geprüft, ob dieses neue System mit dem EU-Besitzstand, vor allem mit dem Schengen-Besitzstand und dem Schutz der Privatsphäre, vereinbar ist.
Dennoch denke ich, dass Herr Leers nicht sehr ausführlich auf die von der Kommission geäußerten Bedenken zur Reisefreiheit und zum Datenschutz eingeht. Es ist auch nicht nachzuvollziehen, wieso die Testphase des Projekts auf März verlängert wurde.
Da die Freizügigkeit im Schengenraum jedoch eine der großen Errungenschaften der EU ist, finde ich es nicht angebracht, dass einzelne Staaten eigenständig und ohne Rücksprache mit den EU-Institutionen bzw. Mitgliedstaaten, ihre Grenzkontrollen in einem solchen Maß wieder einrichten. Auch die Speicherung von Daten ohne vorherigen Schuldspruch ist nicht im Sinne der europäischen Rechtsordnung. Ich schließe daher nicht aus, dass die Kommission auf Druck des Europäischen Parlaments ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet.
Ich hoffe, Ihnen hiermit weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Reul