Frage an Henning Münnecke von Lucy Yolanda R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie stehen sie zu der Debatte über Bleiberecht von Ausländern bzw. zu den Vorwürfen, das ausländische Mitbürger nur dem Staat zur Last fallen. Insbesondere würde mich Ihre private Meinung, - keine Rechtsberatung- , zu folgendem Sachverhalt interessieren :
Ich selber bin seit 1998 hier in Deutschland und mit einem Deutschen verheiratet der früher in meiner Heimat (Ecuador/ Südamerika) gelebt hat. Ich selber besitze ein dauerndes Bleiberecht und habe bis zu der Geburt meines 3. Kindes 2002 immer (auch in Deutschland!) gearbeitet. Die beiden größeren Kinder (15 und 16 Jahre) sind beide in Ecuador geboren und haben nicht die deutsche Staatsbürgerschaft. Nun ist mein Ehemann seit Beginn dieses Jahres nicht mehr sozialversichrungspflichtig beschäftigt und ich erhalte Hartz IV für mich und meine Familie.
Gerade jetzt sind die Visa der beiden schulpflichtigen Kinder abgelaufen. Das Ausländeramt hat schon im Vorwege mündlich angedeutet, dass dieses wohl die Ausreise/Abschiebung der beiden Kinder zur Folge hat. Als Begründung hieß es, dass es kein Visum für Personen gibt, die sich nicht selber versorgen können oder auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Dieses ist auf Grund des Bezuges von Hartz IV der Fall. Wie stehen sie als Person, und wie steht ihre Partei dazu ?
Sehr geehrte Frau Lucy Yolanda Ramirez,
erst einmal muss ich mich entschuldigen, dass es etwas länger zur Beantwortung ihrer Frage gedauert hat, aber sie werden bei der Antwort sehen, warum gerade diese Frage etwas länger zur Beantwortung braucht. Bevor ich zu Ihrer Frage komme und meine bzw. die Postion von Bündnis90/DIE Grünen in allgemeiner Hinsicht erläutere, möchte ich Ihnen unter Abschnitt 1) meiner Antwort kurz einen Tipp geben. Abschnitt 1)Die wiederholt aufgestellte Forderung nach einer ausländerrechtlichen Härtefallregelung wurde im Zuwanderungsgesetz 2004 umgesetzt. Auf dieser Grundlage hat als eines der letzten Bundesländer nun auch Niedersachsen eine Regelung für entsprechende Fälle getroffen, die allerdings nur an die im Zuwanderungsgesetz vorgesehenen Regelungen angelehnt ist und den betroffenen Ausländern nicht alle vom Bundesgesetzgeber vorgesehenen Schutzmöglichkeiten bietet (leider!). Eine wie im Zuwanderungsgesetz beschriebene Härtefallkommission gibt es in Niedersachsen nicht. Stattdessen werden Härtefälle in Niedersachsen vom Petitionsausschuss des Landtags behandelt. Dieser kann eine aus fünf externen sachverständigen Personen bestehende Beratergruppe hinzuziehen, die an die Stelle der bundesgesetzlich vorgesehenen Härtefallkommission tritt, aber nicht über vergleichbare Befugnisse verfügt. Ihre Aufgabe erschöpft sich in der Abgabe einer unverbindlichen Stellungnahme zu dem betreffenden Fall. Nach langen Verhandlungen, in deren Verlauf die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen bereits im Juli 2004 den im Anhang dieses Textes wiedergegebenen Antrag 15/1210 eingebracht hatte, wurde am 22.06.2005 der interfraktionelle Antrag 15/2014 ("Petitionsausschuss stärken - ‚Härtefällen´ gerecht werden") - ebenfalls im Anhang dieses Textes - im Niedersächsischen Landtag in erster und zweiter Beratung behandelt und unverändert angenommen. Er kann damit umgehend seine Wirkung entfalten. Den Text "Härtefälle in Ausländerangelegenheiten - 10 Schritte zur Entscheidung im Niedersächsischen Landtag" stelle ich Ihnen gerne zur Verfügung. Wenn Sie Interesse haben sollten, melden Sie sich bitte bei mir. Abschnitt 2)Komme ich nun allgemein zu meiner persönlichen bzw. der Grünen Position:Rot-Grün hat die überfällige Reform der deutschen Einwanderungs- und Integrationspolitik auf den Weg gebracht: Wir haben die Zeitenwende im Staatsangehörigkeitsrecht ermöglicht und haben mit dem Zuwanderungsgesetz den Einstieg in eine Einwanderungsgesellschaft geschaffen. Rot-Grün hat einen grundlegenden Neuanfang in der Integrationspolitik begonnen und den Flüchtlingsschutz in Deutschland erweitert.
Die Arbeit von Rot-Grün kann nicht angemessen bewertet werden, ohne Hinweis darauf, welches Erbe wir von der schwarz-gelben Kohl Ära übernommen hatten: Deutschland hatte sich fast vollständig gegenüber jeglicher Form der Zuwanderung abgeschottet. Im Bereich der Integrationspolitik wurde perspektivlos an der völlig überkommenen "Gastarbeiterpolitik" festgehalten. Es gab dramatische Verschlechterungen des Flüchtlingsschutzes und den Ausbau der Festung Europa. Und schließlich versuchte Schwarz-Gelb mit wirklich allen Mitteln, eine Reform des noch aus der Kaiserzeit stammenden Staatsangehörigkeitsrechts zu blockieren. Zu einer Bewertung unserer Erfolge gehört auch, welche Anträge der Union zur Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes wir abwehren konnten: Es kam zu keiner Rolle-Rückwärts bei der rot-grünen Staatsangehörigkeitsreform (die Union wollte, dass nicht die Kinder, sondern erst die Enkel von Zuwanderern mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten sollen). Bündnis 90 / Die Grünen haben dramatische Verschärfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes verhindert. Die Verschärfung des eigenständigen Aufenthaltsrechts von misshandelten ausländischen Ehegatten haben wir abgewendet - ebenso die Ausweitung der Abschiebehaft zu einer zeitlich unbegrenzten Beugehaft. Mit Rot-Grün war keine Sicherungshaft zu machen, denn unserem Verfassungsstaat ist eine Haft ohne Haftgrund wesensfremd. Und schließlich wurde auch nicht der in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Schutz vor Todesstrafe oder Folter bei drohender Abschiebung angetastet.
Schon bei der Diskussion um das Staatsangehörigkeitsrecht und das Zuwanderungsgesetz war mit der SPD im Rahmen der Koalitionsverhandlungen z.B. Ausweisungsverbot für in Deutschland geborene bzw. aufgewachsene nichtdeutsche Jugendliche nicht zu machen. Die Bleiberechtsregelung für langjährig in Deutschland lebenden Geduldete scheiterte an dem von Schily geführten BMI: Trotz des großen Engagements der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände, von PRO ASYL und vielen Prominenten (u. a. von Schwarz-Schilling, Blüm, Geißler, Koschnick, Leutheusser-Schnarrenberger) konnten wir innerhalb des Zuwanderungsgesetzes keine Übergangsregelung für die über 200.000 bereits langjährig in Deutschland lebenden geduldeten Menschen erzielen. Bündnis 90 / Die Grünen hatten hierzu zwei Vorschläge unterbreitet. Diese wurden vom BMI und den Bundesländern vom Tisch gefegt. Vor der IMK-Sitzung im Juni 2005 hat nun überraschenderweise auch Otto Schily eine Bleiberechtsregelung für geduldete Kinder und Jugendliche vorgeschlagen. Wir haben diesen Sinneswandel von Schily, begrüßt. Die Union jedoch hat diesen Schily-Vorschlag brüsk abgelehnt.
Auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat im niedersächsischen Landtag Anträge der grünen Fraktion zu einem Bleiberecht strikt abgelehnt. Damit vergibt sich die Regierungskoalition eine Chance, die dramatische demografische Entwicklung in Niedersachsen etwas zu lösen. Denn nicht nur Niedersachsen, sondern auch die gesamte Bundesreublik braucht für die Zukunft, um eine Überalterung vorzubeugen mehr Kinder. Gerade die sind es aber, die, wenn sie hier geboren oder zumindest aufgewachsen sind am meisten unter konkreten oder auch fiktiven Abschiebungsdrohungen zu leiden haben. Zumindest haben wir in Niedersachsen erreicht, dass Kinder bzw. Jugendliche, die vor Beendigung ihrer Schulausbildung stehen, nicht von Abschiebung betroffen sind, sondern zunächst ihre Ausbildung beenden können. das allein reicht natürlich nicht: Deshalb haben wir in Niedersachsen versucht eine Härtefallkommission einzurichten, um zumindest so zu versuchen, dass wenigstens sogenannte Härtefälle hier bleiben können. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich aber mit allen erdenklichen Mittel dagegen zu Wehr gesetzt, gerade auch in Bezug auf mögliche Härtefälle, die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mittel bestreiten können. Daher haben wir in Niedersachsen keine Härtefallkommission, sondern nur einen Kompromiss. D.h. der Petitionsausschuss des niedersächsischen Landtages beschäftigt sich mit den Härtefällen unter Beteiligung von Fachleuten. Nur in Ausnahmefällen ist es aber möglich tatsächlich auch Personen als Härtefälle anzuerkennen, die Sozialhilfe erhalten.
Sowohl Grüne in Niedersachsen und auch im Bund werden sich aber auch weiterhin dafür einsetzen, dass insbesondere Abschiebungen von Kindern und Jungendlichen mit ihren Familien verhindert werden können.
Bei allen weiteren Fragen und Hilfestellungen können Sie sich natürlich auch gerne persönlich direkt an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Henning Münnecke