Henning Mächerle
DKP
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Frage von Katharina A. •

Frage an Henning Mächerle von Katharina A. bezüglich Frauen

Hallo Henning,

ich engagiere mich seit längerem zum Thema Prostitution und Menschenhandel. Meine Frage an dich, die ich auch allen anderen KandidatInnen stellen werde, und die für mich in der Tat stark wahlentscheidend sein wird:

Das Europaparlament hat 2014 auf Initiative der Abgeordneten Mary Honeyball eine Resolution verabschiedet, die allen Mitgliedsstaaten der EU die Übernahme des sogenannten Nordischen Modells empfiehlt (Kriminalisierung der Freier und Profiteure, Entkriminalisierung der prostituierten Personen, individuelle Ausstiegshilfen, Öffentlichkeitskampagnen usw.)
Im Gesetzgebungsprozess wurde dieser Politikansatz nicht berücksichtigt und ExpertInnen nicht angehört. Das neue Gesetz (ProstSchG) sieht nun eine Evaluation nach drei Jahren vor. Können die VertreterInnen des Nordischen Modells in Deutschland, solltest du MdB werden, mit deiner Unterstützung rechnen?
Dies meint konkret: Anhörung von Prostitutionsüberlebenden, NGOs die sich für das Nordische Modell einsetzen, ExpertInnen aus den Ländern, die hier führend sind, wie sich das in einem demokratischen Meinungsfindungsprozess gehört.Unabhängig davon würde mich deine persönliche Positionierung zur Thematik interessieren.
Im Voraus vielen Dank,

K. A.

Antwort von
DKP

Hallo Katharina,
tut mir Leid, dass die Antwort etwas gedauert hat.
Ich glaube es lässt sich kaum über Prostitution sprechen, ohne zu Fragen
in welchem gesellschaftlichen Rahmen das Ganze statt findet.

Marx schreibt 1844 in den Ökonomische und philosophische Manuskripte,
„Prostitution ist nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen
Prostitution des Arbeiters".

In einer Reichstagsdebatte vom 24. Januar 1927 sprach die KPD
Abgeordnete Martha Arendsee davon "dass die Prostitution ein
wesentlicher Bestandteil des kapitalistischen Staates" sei und "die
Hauptschuld an der Ausbreitung der Prostitution (...) in der niedrigen
Bezahlung der Frauenarbeit" liege.

Grundsätzlich müssen fast alle Menschen unter kapitalistischen
Verhältnissen ihre Arbeitskraft verkaufen.
Prostitution hat in vielen Fällen mit Armut und wenig mit freiem Willen
zu tun.

Allerdings ist der kapitalistische Staat eine denkbar schlechte Adresse
um die Situation von Prostituierten zu verbessern. Aber natürlich sollte
er nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden.

Die Verbesserung der Lage von Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter setzt
voraus, dass sie sich legal bewegen und organisieren können.

Jede Massnahme die getroffen wird muss mit den Betroffenen vorher
besprochen werden.

Ich bin gegen das Nordischen Modell, weil es eine Form der Prohibition
ist. Die Erfahrung mit solchen Rechtsinstituten - siehe USA 1919 - 1933
- zeigt das durch das Verbot eines Bedürfnisses, das Bedürfnis selbst
nicht verschwindet. Ganz im Gegenteil die Aktivitäten werden in die
Illegalität abgedrängt und der Bereich der organisierten Kriminalität
entsteht oder professionalisiert sich und die direkte Gewalt nimmt zu.
Die Erfahrungen aus Schweden scheinen diesen Punkt zu bestätigen. Am
01.01.1999 trat das "Gesetz zum Verbot des käuflichen Erwerbs sexueller
Dienstleistungen" in kraft. 2010 gab es eine Überprüfung des Erfolges.
Durch den "Nationale Rat zur Verbrechensprävention" (BRÅ). Dieser geht
davon aus, dass sich ein grosser Teil sexueller Dienstleistungen ins
Internet verlagert hat. Die "Nationale Behörde für Gesundheit und
Soziales", schreibt: "Der Gesamteindruck [...] ist, dass der Sexhandel
während eines kurzen Zeitraums direkt nach Inkrafttreten des Gesetzes
praktisch von der Straße verschwunden ist. Später kam er zurück. Wenn
auch in geringerem Ausmaß [...]. Inzwischen sind ungefähr zwei Drittel
der Straßenprostituierten wieder da, wenn man es mit der Situation vor
dem Inkrafttreten des Sexkaufverbots vergleicht."
Selbst der Erfolg im Bereich des Menschenhandels relativiert sich.
Susanne Dodillet von der Universität Göteborg gibt zu Bedenken, dass es
in Schweden auch vor dem Sexkaufverbot vergleichsweise wenig
Prostitution gab. Deutschland ist in Europa schon seit Anfang der
90er-Jahre ein Drehkreuz für Menschenhandel, was vor allem geopolitische
Gründe hat und nicht auf das Sexkaufverbot zurückzuführen ist. Schweden
hat auch vor Inkrafttreten dieses Verbots im Vergleich zu Deutschland
nur eine untergeordnete Rolle im internationalen Menschenhandel gespielt.
Nach Angaben vom BRÅ kann das Sexkaufverbot zwar ein Hindernis für
Menschenhandel sein, aber auch ein Werkzeug zur Verbesserung der
Marktbedingungen, weil durch das Gesetz die Preise für Sex gestiegen
sind und die damit der mögliche Profit. Dies wiederum steigert die
Attraktivität Schwedens für Kriminelle.
In einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2010 teilt die schwedische
Polizei mit:
"Die schwere organisierte Kriminalität, darunter Prostitution und
Menschenhandel, hat im letzten Jahrzehnt an Stärke und Komplexität
zugenommen. In Schweden stellt sie ein ernstes soziales Problem dar und
die organisierte Kriminalität erwirtschaftet durch die Ausbeutung und
den Handel mit Menschen unter sklavenartigen Bedingungen große Geldsummen."

Ich halte da die Positionen des Vereins Hydra im Sinne der Betroffenen
für wirkunsvoller.
Die gehen davon aus:
"Dass die Lebenssituation von Prostituierten nicht durch die 'Ächtung
der Prostitution' (...) verbessert wird, sondern vielmehr durch eine
konsequente Legalisierung und Entstigmatisierung der Prostitution,
(...). Nur in der Legalität können sich Sexarbeiter_innen wirksam gegen
Übergriffe, Ausbeutung und Honorarbetrug wehren. Und nur die Legalität
ermöglicht es auch, konkret über die Verbesserung von Arbeitsbedingungen
nachzudenken."

Ich würde auch den Begriff der Sexarbeit, dem Begriff der Prostitution
vorziehen, weil er den Warencharakter der Arbeit deutlich macht. Der
Begriff der Prostitution sieht völlig vom gesellschaftlichen Rahmen in
dem diese stattfindet ab. Unter kapitalistischen Bedingungen ist
Prostitution eine legitime Form der Arbeit und Erwerbstätigkeit, die
auch als solche geregelt werden soll. Viele Probleme von
Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter entstehen erst durch die
gesellschaftliche Ächtung, durch die Stigmatisierung werden diese
Menschen sozial marginalisiert und in ein Doppelleben gezwungen.

Wichtig scheint mir auch Lebensbedingungen welche Menschen zur
Prostitution zwingen oder sie zu Opfern von Menschenhandel machen
möglichst zu vermeiden.
Hier einige Voraussetzungen dafür:

- kleicher Lohn für Männer und Frauen
- ein Mindestlohn von mindestens 15 Euro
- Verbot der Zuhälterei, oligopolartigen Bordellbetriebes - z.B.
Großbordelle wie das Pascha in Stuttgart eines Jürgen Rudloff -
(Ausbeutung fremder Arbeitskraft) und Menschenhandel
- Offene Organisierung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in
Gewerkschaften und Zusammenschluss zu Genossenschaften
- Alle Menschen mit illegalem Aufenthaltsstatus können sich ohne Angst
vor Abschiebung legalisieren lassen.
- ein Einwanderungsrecht was Armut als Migrationsgrund ausdrücklich
anerkennt.

Soweit erst einmal.
Ich hoffe deine Fragen damit etwas beantwortet zu haben.
Wenn du weitere Fragen hast oder noch Diskussionsbedarf kannst du dich
gerne melden.

--
Schöne Grüße
Henning