Frage an Helge Lindh von Ann R. bezüglich Bundestag
Der Bürgerrat Demokratie war ein Erfolg. Auch Bundestagspräsident Schäuble hat das Verfahren gelobt und dem Bundestag geraten, sich der Ergebnisse anzunehmen. Außerdem sieht auch er einen Bedarf nach solchen ergänzenden Verfahren im Allgemeinen. Diese könnten helfen, politische Maßnahmen auf eine größere gesellschaftliche Akzeptanz zu stützen. Wäre es nicht der nächste logische Schritt, das gesellschaftlich drängendste Thema der letzten Zeit, die Klimakrise, mit einem solchen Verfahren anzugehen?
Würden Sie einen Klimabürgerrat in Deutschland unterstützen?
Liebe Frau Rapp,
vielen Dank für ihre Frage. Als demokratiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion beschäftige ich mich seit langem mit der Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Ergänzung um deliberative Formen der Bürgerbeteiligung. An der Universität Wuppertal in meinem Heimatwahlkreis wurde bereits in den 1970er die sogenannte Planungszelle erfunden, die sich ebenfalls durch eine Zusammensetzung mit zufällig ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmern auszeichnet, um ein klar umrissenes Problem zu bearbeiten bzw. zu lösen. Die Idee eines „Bürgerrats“ ist mir daher alles andere als unbekannt. Meine Gedanken dazu möchte ich gerne wie folgt zusammenfassen:
1. Ein etwaiger Klimabürgerrat müsste eine genau umrissene Aufgabe zugewiesen bekommen. Er darf nur als Ergänzung, nicht als Ersatz der parlamentarischen Demokratie gelten. Gleichzeitig müsste geklärt sein, wie mit den Ergebnissen eines solchen Bürgerrats verfahren wird: Es kann sich lediglich um eine tiefergehende, zusätzliche Form der Beratung und Deliberation handeln, da ein Bürgerrat kein demokratisches Mandat im klassischen Sinne erhielte. Damit ein Bürgerrat nicht zu einer Enttäuschung wird, müssten Auftrag und Ergebnisverwertung genau definiert werden. Hier bin ich für konkrete Vorschläge sehr offen. Sind diese Punkte nicht geklärt, könnte ein Bürgerrat unter Umständen zusätzliche Enttäuschung befördern und sich seine Intention ins Gegenteil verkehren. Auch das konnten wir zuletzt 2016 bei einer Planungszelle in Wuppertal beobachten.
2. Die Erfahrung mit Bürgerbeteiligungsverfahren zeigt, dass deliberative Verfahren nur sehr begrenzt helfen, um antagonistische Interessenkonflikte zu lösen. Standortkonflikte bei Windenergieprojekten werden beispielsweise in den seltensten Fällen wirklich durch Mediationsverfahren oder Planungszellen beigelegt. Die manifesten Interessen der beteiligten Personen überlagern das deliberative Potenzial dieser Verfahren in der Realität um ein Vielfaches. Daher gehe ich davon aus, dass ein Bürgerrat eher eine große Linie skizzieren könnte, als am Ende über konkrete Sachfragen zu befinden. Hierzu bleibt die repräsentativ-parlamentarische Beratung und Entscheidungsfindung zwingend nötig.
3. Ein Bürgerrat müsste, um einen maximal-möglichen Mehrwert zu schaffen, durch das Los-Verfahren wirklich die Breite unserer Gesellschaft abbilden. Zugangsbarrieren zur Teilnahme müssten dafür möglichst gering sein, um Hinderungsgründe möglichst ausschließen zu können.
Zusammengefasst: Wenn Ziel, Aufgabenbereich und die Verwertung der Ergebnisse eines „Bürgerrats Klima“ klar umrissen sind, kann ich mir dessen Durchführung auf Bundesebene sehr gut vorstellen und würde dieses Format ausdrücklich unterstützen. In Wuppertal habe ich indes selbst mit dem „Klimalabor“ ein Format geschaffen, dass alle Interessengruppen, Unternehmen, Verbände und interessierte Bürger zusammenbringen soll und Lösungsansätze und politische Handlungsaufträge für die Berliner Politik aus den lokalen Erfahrungen heraus formulieren soll.
Für Rückfragen und weitere Hinweise stehe ich gerne unter helge.lindh.wk@bundestag.de zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Helge Lindh, MdB