Frage an Heiner Bäther von Jürgen J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag,
ich habe folgende, allerdings themenübergreifende Fragen:
Gehört Ihrer Meinung nach der "Islam zu Deutschland" wie es in der Wulff-Rede gemeint war?
Was verstehen Sie unter dem Begriff "Ehe" die ausschließliche Verbindung von Mann und Frau, oder auch die Verbindung von gleichgeschlechtlichen bezw. mehreren Menschen?
Unterstützen Sie das Nato-Ziel des 2%igen Ausgabenanteils vom BSP für militärische Zwecke?
Befürworten Sie die Beibehaltung von Deutschen Waffenlieferungen, wie sie bisher praktiziert werden?
Befürworten Sie das Wahlrecht für Menschen mit Behinderung bei Bundestagswahlen?
Befürworten Sie die Anrechnung von Rentenantwartschaften von Russlanddeutschen aus deren Erwerbsleben vor dem Zuzug in die BRD?
Befürworten Sie die Niedrigzinspolitik der EZB?
Würden Sie im Bundestag für eine Übernahme- bezw. Erlaß von Schulden südeuropäischer EU-Länder stimmen?
Befürworten Sie die Einführung von Sammelklagen in unser Rechtssystem, wie es z.B.
beim Diesel-Skandal von Betroffenen gefordert wird?
Sind Sie für die Beibehaltung der jetzigen Einteilung der Stadt Krefeld in zwei Wahlkreise?
Befürworten Sie eine Diskussion über eine Neueinteilung bezw. Zahl der Länder der BRD, mit dem Ziel leistungsfähigerer Verwaltungen und Strukturausgleiche in den Regionen?
Über die rasche und floskelarme Beantwortung der Fragen würde ich mich freuen und zur Grundlage meiner Wahlentscheidung machen.
J. J. - August 2017
Sehr geehrter Herr Juninger!
Gerne möchte ich Ihnen Ihre Fragen wie folgt beantworten:
Gehört Ihrer Meinung nach der "Islam zu Deutschland" wie es in der Wulff-Rede gemeint war?
DIE LINKE befürwortet eine gesellschaftliche Debatte über die Gleichberechtigung und die Institutionalisierung des Islam in Deutschland gemeinsam mit muslimischen Gemeinden und Verbänden.
DIE LINKE kritisiert, dass die Bundesregierung immer wieder das Thema Sicherheit ins Zentrum stellt und so dazu beiträgt, dass Muslime in die Nähe von Terrorismus und Extremismus gerückt werden. Wir wollen, dass die Gleichberechtigung der Muslime ins Zentrum gestellt wird.
Was verstehen Sie unter dem Begriff "Ehe" die ausschließliche Verbindung von Mann und Frau, oder auch die Verbindung von gleichgeschlechtlichen bezw. mehreren Menschen?
DIE LINKE und ihre Quellpartei PDS haben seit nunmehr über 25 Jahren stets für die vollständige Gleichbehandlung gekämpft. Seit der vorletzten Legislaturperiode haben wir permanent Anträge und Gesetzentwürfe zur Öffnung der Ehe für alle eingebracht. In den Bundesländern, wo wir an Regierungen beteiligt sind oder diese anführen haben wir versucht im Bundesrat über Initiativen tätig zu werden.
Unterstützen Sie das Nato-Ziel des 2%igen Ausgabenanteils vom BSP für militärische Zwecke?
DIE LINKE sieht die Bundeswehr mehr als ausreichend finanziell ausgestattet, um ihre verfassungsgemäße Aufgabe, die Landesverteidigung, erfüllen zu können (sie ist mit 37 Mrd. Euro Budget die drittteuerste Armee der europäischen NATO-Staaten). Die Realisierung des Zwei-Prozent-Ziels, d.h. die Verdoppelung des Verteidigungshaushalts, wie von US-Präsident Trump gefordert, lehnen wir ab. Dies wäre nicht nur ein inakzeptabler Abfluss gesellschaftlicher Ressourcen. Der Umstand, dass damit schon die Bundesrepublik allein bei den Verteidigungsausgaben mit Russland gleichziehen würde (bei einer durchschnittlichen zwei-bis dreifachen Überlegenheit allein der europäischen NATO-Staaten schon jetzt) zeigt die militärische Sinnlosigkeit und das verheerende sicherheitspolitische Signal, das davon in Richtung Osten ausgehen würde.
Befürworten Sie die Beibehaltung von deutschen Waffenlieferungen, wie sie bisher praktiziert werden?
Nein, wir wollen in einem ersten Schritt den Export von Kleinwaffen und von Waffenfabriken verbieten. Mit deutschen Kleinwaffen rüsten sich weltweit Milizen, Drogenkartelle und Diktaturen auf. Auch Kindersoldaten werden mit deutschen Kleinwaffen in den Kampf geschickt. Für den Verbleib beim eigentlichen Käufer kann niemand garantieren – sie befeuern den illegalen Waffenhandel. Wir wollen erreichen, dass die deutsche Industrie keine Waffen mehr produziert und exportiert. Unternehmensbeteiligungen an ausländischen Waffenfirmen wollen wir verbieten. Mit dem Leid der Opfer von Krieg und Vertreibung dürfen keine Profite gemacht werden!
Befürworten Sie das Wahlrecht für Menschen mit Behinderung bei Bundestagswahlen?
Ja, DIE LINKE unterstützt die Forderung nach umfassender politischer Teilhabe sowie Selbstbestimmung und fordert gemäß Artikel 29 (Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben) der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Menschen mit Behinderungen die politischen Rechte garantiert werden müssen sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen.
Befürworten Sie die Anrechnung von Rentenantwartschaften von Russlanddeutschen aus deren Erwerbsleben vor dem Zuzug in die BRD?
Für DIE LINKE ist klar, dass wir uns nach der Bundestagswahl gemeinsam mit den Betroffenen für eine Reform des Fremdrentengesetzes besonders zugunsten der Russlanddeutschen einsetzen werden.
Unabhängig davon setzt sich DIE LINKE schon seit Langem für die Einführung einer einkommens- und vermögensgeprüften Solidarischen Mindestrente ein. Dieser steuerfinanzierte Zuschlag auf niedrige Alterseinkommen würde dafür sorgen, dass niemand im Alter von weniger als 1.050 Euro netto leben müsste. Davon würden Russlanddeutsche aufgrund ihrer niedrigen Renten in ganz besonderem Maße profitieren.
Befürworten Sie die Niedrigzinspolitik der EZB?
Aus unserer Sicht sind nicht das niedrige Zinsniveau, sondern die fehlenden öffentlichen realwirtschaftlichen Investitionen seit Jahren das entscheidende Problem. Zudem trägt der Staat mit Schuldenbremse und Investitionszurückhaltung wesentlich zum niedrigen Zinsniveau bei. Gefordert ist eine kluge öffentliche Investitionspolitik in Infrastruktur, Bildung und Gesundheit. Dies nützt auch den Kleinsparerinnen und Kleinsparern weit mehr als höhere Sparzinsen.
Würden Sie im Bundestag für eine Übernahme- bezw. Erlass von Schulden südeuropäischer EU-Länder stimmen?
Am Beispiel Griechenland lässt sich gut darstellen, dass bereits zum Beginn der "Griechenlandrettung" ein Schuldenschnitt hätte erfolgen müssen. Die seit der Krise ausbezahlten „Hilfskredite“ flossen zu 90 Prozent in den Schuldendienst, vor allem an deutsche und französische Banken. Jetzt müssen Kreditausfälle nicht mehr von den Banken, sondern der Öffentlichkeit getragen werden. Anstatt weiter untragbare Schulden aufzuhäufen, muss dem Land durch einen Schuldenschnitt und einen Stopp der Kürzungsdiktate eine Entwicklungschance gegeben werden. DIE LINKE hat stets die Bestrebungen zurückgewiesen, Griechenland oder andere Euro-Länder, die die neoliberale Politik beenden wollen, mit der Drohung eines Ausschlusses aus der Eurozone zu erpressen.
Befürworten Sie die Einführung von Sammelklagen in unser Rechtssystem, wie es z.B.
beim Diesel-Skandal von Betroffenen gefordert wird?
DIE LINKE will Sammel-/Gruppenklagen in Deutschland, damit Betroffene gemeinsam und unmittelbar Schadensersatz einklagen und damit Geld bekommen können. Für so genannte Bagatell- und Streuschäden muss es ein „opt-out—Verfahren geben, wie es zum Beispiel in Dänemark praktiziert wird. Außerdem fordern wir Musterfeststellungsklagen, damit strittige und kostenintensive Rechtsfragen gebündelt geklärt werden können und alle betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher davon profitieren. Bedingung wäre natürlich, dass Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Ansprüche niedrigschwellig, kostenfrei und mit verjährungshemmender Wirkung anmelden können.
Dass jetzt aber Horst Seehofer über mögliche Sammelklagen gegen die Automobilindustrie spricht, ist ein billiges Ablenkungsmanöver. Jahrelang blockierte die CDU/CSU die Möglichkeit solcher Sammelklagen im Bundestag. Auf den letzten Metern der Wahlperiode ist so ein Vorschlag ebenso wohlfeil wie konsequenzlos.
Sind Sie für die Beibehaltung der jetzigen Einteilung der Stadt Krefeld in zwei Wahlkreise?
Wir sprechen uns für eine grundsätzliche Änderung aus. DIE LINKE hat dazu einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der zweifellos verfassungsgemäß ist und, wäre er angewendet worden, außer im Jahr 2009 nie zu einer Vergrößerung des Bundestages geführt hätte. Dieser Vorschlag sah vor, dass die Verrechnung von Listenmandaten (diese ergeben sich aus dem Zweitstimmenergebnis) und Direktmandaten auf der Bundesebene stattfindet und die verbleibenden Mandate dann auf die Landeslisten der jeweiligen Partei verteilt werden. Sollte es dennoch zu Überhangmandaten kommen, würden diese auf der Bundesebene durch Ausgleichsmandate ausgeglichen und die dann den jeweiligen Parteien – zusätzlich – zur Verfügung stehenden Mandate auf die Landeslisten verteilt.
Befürworten Sie eine Diskussion über eine Neueinteilung bezw. Zahl der Länder der BRD, mit dem Ziel leistungsfähigerer Verwaltungen und Strukturausgleiche in den Regionen?
Das Anwachsen der Verschuldung aller Bundesländer und nahezu aller Kommunen seit dem Jahr 2000 beweist, dass die Länder und Kommunen aufgrund der massiven Steuersenkungen Ende der 1990er Jahre bis heute nicht über ausreichende Steuereinnahmen verfügen, um die ihnen übertragenen Aufgaben zuverlässig zu finanzieren. Das wird auch dadurch deutlich, dass selbst bei guter Konjunktur der Investitionsstau der Kommunen kontinuierlich gewachsen ist. Ab dem Jahr 2020 soll es den Ländern gleichwohl verboten sein, neue Schulden aufzunehmen. Damit drohen einzelne Bundesländer handlungsunfähig zu werden. Ausreichende Finanzmittel sind aber dringend notwendig, um eine funktionsfähige öffentliche Verwaltung und ein hohes Niveau an öffentlichen Leistungen zu finanzieren.
Aus LINKER Sicht muss der Kern des Länderfinanzausgleichs ein sozialer und solidarischer Föderalismus sein. Das Grundgesetz schreibt vor, dass es einen Länderfinanzausgleich in Deutschland geben muss. Wie und in welchem Maße dieser Ausgleich stattfindet, ist jedoch erbitterter Zankapfel zwischen den Bundesländern, die ganz unabhängig von regierenden Parteien um Vorteile bei der Zuteilung der insgesamt zu knappen finanziellen Mittel kämpfen. Die LINKE tritt dafür ein, dass dieser Konkurrenzkampf beendet und durch einen solidarischen und sozialen Länderfinanzausgleich ersetzt wird. Nur dadurch kann es den Bundesländern ermöglicht werden, ihre Ausgaben an den Bedürfnissen ihrer Bevölkerung auszurichten, ohne gleichzeitig einem permanenten Druck zu unterliegen, Leistungen abzubauen oder auszudünnen. Dazu muss der Ausgleich der Finanzkraftunterschiede der Bundesländer mit dem grundgesetzlichen Ziel einheitlicher und gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Deutschland gesichert und verbessert werden, verbunden mit merklich erhöhten Einnahmezuweisungen an die Bundesländer und Kommunen.
Es gibt Aufgaben, wie beispielsweise in der Bildung, die von übergeordneter Bedeutung sind und eine gemeinsame strategische Planung und operative Umsetzung erfordern. Der Bund muss in die Lage versetzt werden, sich in Abstimmung mit Ländern und Kommunen strukturell und finanziell stärker zu engagieren.
Mit Freundlichen Grüßen
Heiner Bäther