Frage an Hartmut Koschyk von Walter H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Koschyk,
sicherlich ist Ihnen GG Art. 20 bestens bekannt.
Dort steht seit dem 23. Mai 1949 u.a., dass die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird.
Wie werden Sie noch in dieser Legislaturperiode dafür sorgen, dass dem Aspekt "Staatsgewalt durch Abstimmungen" nach bald 60 Jahren Grundgesetz endlich auch auf Bundesebene Rechnung getragen wird?
Darf man auf Ihre Unterstützung für eine dreistufige Volksgesetzgebung auf Bundesebene (wie sie etwa Mehr Demokratie e.V. vorschlägt) rechnen?
Mit freundlichen Grüßen
Walter Hoffmann
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
seit fast 60 Jahren ist das Grundgesetz Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Zweifellos haben die leidvollen Erfahrungen der deutschen Geschichte dazu beigetragen, dass der Parlamentarische Rat bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes bewusst auf die Möglichkeit eines Volksentscheids auf Bundesebene - so wie es "Mehr Demokratie" fordert - verzichtet hat. Die Entscheidung des Parlamentarischen Rates die Gesetzgebung in die Hände der Abgeordneten des deutschen Volkes zu legen, hat sich in den letzen 60 Jahren bewährt. Noch niemals in seiner Geschichte hatte Deutschland demokratischere Strukturen. Zugleich hat sich Deutschland als wehrhafte Demokratie bewiesen und ich sehe keinerlei Bedarf für eine dreistufige Volksgesetzgebung aus Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene. Auf Länderebene sind Volksbegehren und Volksentscheid hingegen zu begrüßen. Die bayerische Verfassung wurde 1946 übrigens durch Volksentscheid angenommen und kennt seitdem Volksbegehren und Volksentscheid. Bei den Kommunalwahlen geben Kumulieren und Panaschieren den Wählerinnen und Wählern mehr Entscheidungsspielraum als in vielen anderen Ländern. Die Direktwahl der Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte ist in Bayern seit langem geltendes Recht und war Vorbild für andere Länder. Seit 1995 können mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid einzelne, herausgehobene kommunalpolitische Sachentscheidungen von der ganzen Bürgerschaft getroffen werden. Der Volksentscheid auf Landesebene und der Bürgerentscheid in den Kommunen sind nicht nur konsultativ, sondern selbstverständlich bindend. Die Verfassung Bayerns kann nur durch Volksentscheid geändert werden. Im Bund allerdings stehen Vorschläge, in das Grundgesetz mehr Elemente direkter Demokratie aufzunehmen, in einem unaufhebbaren Widerspruch zur Zusammenhalt und Verantwortungsbewusstsein weckenden Kraft der föderalen Ordnung. Mit der Föderalismusreform I aber haben Bundestag und Bundesrat gemeinsam nicht zuletzt auch die Entscheidungsmöglichkeiten für Volksentscheide und Bürgerentscheide gestärkt. So wurden die Gestaltungsspielräume der Länder gesichert und die schleichende Fesselung der kommunalen Selbstverwaltung durch die Übertragung von Aufgaben vom Bund direkt an die Kommunen für die Zukunft unterbunden. Das Gesetzgebungsverfahren auf Bundesebene, in der unsere föderale Ordnung hervorragend zum Ausdruck kommt, hat sich in die vergangenen 60 Jahre nachhaltig bewährt und die Staatsgewalt sollte auf Bundesebene auch weiterhin vom Volk durch die von ihm gewählten Volksvertreter ausgeübt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Koschyk