Frage an Hartmut Koschyk von Karlernst H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Koschyk!
Sie haben am 09.03.2007 im Bundestag zum Tornado-Einsatz mit "ja" gestimmt. Der offene Brief der Offiziere (siehe Welt vom 16.03.07), der Ihnen ja bei der Abstimmung am 09.03.07 schon vorgelegen hat, konnte Sie also nicht von einer Zustimmung abhalten. Ist Ihnen eigentlich klar, dass auch Sie mit Ihrer Zustimmung nicht nur unsere Deutschen Soldaten in Afghanistan -also Ihre und meine Kameraden - in das Fadenkreuz der Taliban-Kämpfer rücken, sondern auch den Grund für Terrorangriffe in der Bundesrepublik Deutschland liefern. Glauben Sie wirklich daran, dass unsere Kameraden die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland am Hindukusch verteidigen? Als ehem. Soldat der Bundeswehr
von 1956-1976 und Hauptmann a.D., der nicht einen einzigen Tag seiner Dienstzeit in der Etappe verbracht hat, erlaube ich mir, diese Fragen zu stellen. Wäre ich heute noch aktiv und und mein
Einsatzbefehl würde nach Afghanistan, auf den Balkan oder in den Kongo lauten, ich würde umgehend einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellen.
Sehr geehrter Herr Heinrich,
Deutschland ist für den Erfolg der Gesamtmission in Afghanistan mit verantwortlich. Mit den Aufklärungs-Tornados wurde es besser möglich, Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Daher habe ich am 9.3.2007 im Deutschen Bundestag dem Tornado-Einsatz zugestimmt. Damit sollte vor allem der Schutz der afghanischen Bevölkerung, unserer Soldaten und unserer Verbündeten vergrößert werden. Ebenso sollte eine verbesserte Aufklärung auch dem Schutz von zivilen Entwicklungshelfern sowie der gefährdeter Wiederaufbauprojekte dienen.
Vor dem Eingreifen der internationalen Gemeinschaft bestand in Afghanistan eine durch die Taliban errichtete Schreckensherrschaft, in der auch fundamentalste Menschenrechte missachtet wurden. Darüber hinaus war Afghanistan ein Rückzugsraum und Trainingsgebiet für Extremisten, die mit Ihrer Gewalt alle liberalen Gesellschaften bedrohten. Aufgrund der weitreichenden Verquickung zwischen der Taliban-Regierung und Al-Qaida wurde den USA in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 vom UN-Sicherheitsrat das Recht auf Selbstverteidigung zuerkannt. Der folgende Einsatz amerikanisch geführter Streitkräfte in Afghanistan hatte den Sturz der Taliban zur Folge. Seither engagieren sich verschiedene Nationen im Land in dem Bestreben, den Terrorismus zurückzudrängen und rechtsstaatliche Strukturen zu etablieren. Dieses ist im unmittelbaren Interesse der deutschen Sicherheitspolitik, da auch die Bundesrepublik vom internationalen Terrorismus bedroht ist, wie aktuelle Beispiele immer wieder zeigen. Das übergreifende Ziel des Einsatzes ist es, die afghanischen Behörden in die Lage zu versetzen, selbst für Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen.
Obwohl wir noch am Anfang des Weges stehen, haben unsere fortlaufenden Bemühungen zu eindeutigen Erfolgen geführt. So wurden die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit durch die Verabschiedung der Verfassung und verschiedener Gesetze auf ein in Afghanistan bisher unbekanntes Niveau gehoben. In der Verfassung werden z.B. Frauen und Männer gleichgestellt, die wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen haben Verfassungsrang und traditionelle Formen der Unterdrückung sind verboten worden. Darüberhinaus hat die afghanische Regierung im Jahr 2008 zunehmend Eigenverantwortung im Wiederaufbauprozess übernommen und eine auf fünf Jahre angelegte Nationale Entwicklungsstrategie (ANDS, Afghanistan National Development Strategy) vorgestellt. Befördert wird die positive Entwicklung durch den voranschreitenden Aufbau von staatlichen Institutionen und Fachkräften. Hieraus resultieren beispielsweise Erfolge im Bildungssektor (fast 75% aller Jungen und 35% aller Mädchen gehen inzwischen zur Schule) und im Gesundheitsbereich (85% der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu medizinischer Basisversorgung). Auch die Zahl nationaler Entwicklungsprogramme wie das National Solidarity Programme, welches bereits über 20.000 Projekte erfolgreich beendet hat und aktuell 18.000 weitere betreibt, ist weiter ansteigend. Darüber hinaus engagieren sich 21.000 gewählte Gemeinderäte speziell im Bereich Entwicklung.
Ein Rückzug der Bundeswehr zum jetzigen Zeitpunkt würde dazu führen, alle Fortschritte, die bisher gemacht worden sind, in Frage zu stellen. Auch die Sicherheit in Deutschland ist direkt vom Erfolg der Afghanistan-Mission abhängig. Im Falle eines Endes des Engagements der internationalen Streitkräfte würde das Land innerhalb kürzester Zeit wieder zu einer Ausbildungsstätte für Terroristen werden, von denen auch für die deutsche Bevölkerung eine direkte Bedrohung ausgehen würde. Ein sofortiger Rückzug aus Afghanistan würde Deutschland nicht vor Terroranschlägen schützen, wie manche behaupten. Wir würden uns bestenfalls das kurzfristige Wohlwollen von jenen Fanatikern erkaufen, die die Werte unserer Gesellschaft ohnehin als dekadent und schwach verachten. Viel dramatischer wären jedoch die Auswirkungen in Afghanistan selbst. Durch einen sofortigen Rückzug würden wir alle Afghanen im Stich lassen, die sich keine Rückkehr in das Mittelalter und zu den Gewaltorgien der Taliban wünschen. Deutschlands Glaubwürdigkeit als Schützer seiner Bürger – aber auch als ehrlicher Vertreter humanitärer Grundwerte – stünde zur Disposition, wenn wir uns im Angesicht solcher Perspektiven unserer Verantwortung entziehen würden. Aus diesen Gründen befürworte ich das bisherige Engagement in Afghanistan und habe bei der Abstimmung am 09.03.2007 im Deutschen Bundestag auch dem Tornado-Einsatz zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Koschyk