Frage an Hartmut Koschyk von Thilo T. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Koschyk,
wieso müssen wir davon ausgehen, dass der Bundestag dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in seiner jetzigen Form zustimmen wird? Immerhin beschneiden Sie damit die Budgethoheit des Bundestages und somit des Volkes. Das kann nicht im Sinne des Bürgers sein. Sollte der Vertrag nicht wenigstens so abgeändert werden, dass über jede MILLIARDEN-Beträge der Bundestag weiterhin abstimmen sollte? Auch die juristische Immunität und undemokratische Ernennung des ESM-Direktoriums finde ich für einen Kontinent der Rechtsstaaten und Demokratien mehr als fragwürdig. Meine Frage: Werden Sie dem ESM zustimmen, auch wenn die eben benannten Passagen bestehen bleiben? Und wenn ja: Warum?
Vielen Dank für eine Antwort,
Mit freundlichen Grüßen,
Thilo Tiede
Sehr geehrter Herr Tiede,
gerne verdeutliche ich Ihnen, warum ich dem ESM-Vertrag zustimmen werde.
Der auf europäischer Ebene beschlossene und unterschriebene ESM-Vertrag ist Teil des umfassenden Maßnahmenpakets zur Stabilisierung der Eurozone. Zusammen mit dem Fiskalpakt - dessen Ratifizierung bereits vergangene Woche vom Kabinett eingeleitet wurde - wird die Eurozone künftig über ein Regelwerk verfügen, das die Stabilität der Währungsunion nachhaltig verbessern wird. Die Beschlüsse setzen ein deutliches Signal für nachhaltige Stabilität innerhalb Europas. Es können Situationen auftreten, in denen in Schwierigkeiten geratene Euro-Länder kurzfristig von ihren Partner unterstützt werden müssen. Ein im Falle des Nichthandelns möglicher Flächenbrand hätte unabsehbare Folgen für ganz Europa und damit auch für die deutsche Wirtschaft und unsere öffentlichen Haushalte. Ziel aller jetzigen und zukünftigen Maßnahmen darf aber nur die übergangsweise zielgerichtete Krisenhilfe sein, ganz ausdrücklich nicht die dauerhafte Alimentierung von Staaten.
Der Europäische Stabilitätsmechanismus soll bis Mitte des Jahres funktionstüchtig sein. Das Bundeskabinett hat dazu das deutsche Ratifizierungsgesetz und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am ESM beschlossen. Ab Juli 2012 soll der ESM als permanenter Krisenmechanismus bereitstehen und den bisherigen befristeten Euro-Rettungsfonds (EFSF) nach einer Übergangszeit ablösen, der am 30. Juni 2013 ausläuft.
Der ESM wird mit einem genehmigten Stammkapital von 700 Mrd. Euro ausgestattet, das aus 80 Milliarden Euro eingezahltem Kapital und 620 Mrd. Euro abrufbarem Kapital besteht. Deutschland wird sich daran entsprechend seines EZB-Kapitalschlüssels mit 21,7 Mrd. Euro am einzuzahlenden Kapital und 168,3 Mrd. Euro am abrufbaren Kapital beteiligen. In dem ESM-Ratifizierungsgesetz finden sich auch Regelungen wie gegebenenfalls zukünftige Änderungen des ESM-Vertrags vonstatten gehen können. Dabei ist eindeutig festgelegt, dass wesentliche Entscheidungen wie eine Erhöhung des Stammkapitals des ESM oder eine Änderung der dem ESM zur Verfügung stehenden Finanzhilfeinstrumente in jedem Fall einer erneuten bundesgesetzlichen Regelung und damit einer Parlamentsbeteiligung bedürften.
Der ESM wird über einen Gouverneursrat und ein Direktorium verfügen und entspricht vom Aufbau her denen anderer Internationaler Institutionen, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist (z. B. Europäische Investitionsbank EIB und Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBWE). Die ESM-Mitglieder und damit auch Deutschland entsenden in beide Gremien einen Vertreter. Für den Gouverneursrat als das höchste Entscheidungsgremium des ESM, in dem unter anderem über die Gewährung von Finanzhilfen entschieden wird, sieht der ESM-Vertrag vor, dass sich dieser aus den Finanzministern der Eurozonen-Mitgliedstaaten zusammensetzt. Den von Ihnen gesehenen Widerspruch zum Demokratieprinzip kann ich nicht bestätigen.
Die Zeit, die durch die bisherigen Krisenhilfen gewonnen worden ist, muss nun in ganz Europa zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit genutzt werden. Dies betrifft Schlüsseltechnologien, die weitere Öffnung des Binnenmarkts, Forschung und Entwicklung und eine offene Handelspolitik. Beim Europäischen Rat im Juni sollen dann auf der Basis von Vorschlägen der EU-Kommission weiter reichende Beschlüsse gefasst werden. Jetzt wird umgesetzt, was im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbart ist und der Europäische Gerichtshof kann überprüfen, ob die Schuldenbremsen richtig eingeführt und umgesetzt werden. Der ESM kann Krisenländern Hilfe gewähren, wenn es zur Wahrung der Finanzstabilität der gesamten Eurozone erforderlich ist. Bedingung für die Hilfe aus dem ESM ist jedoch stets, dass das Land den neuen Fiskalvertrag ratifiziert und eine nationale Schuldenbremse eingeführt hat. Solidarität und Solidität müssen Hand in Hand gehen.
Sehr geehrter Herr Tiede, es ist für alle offensichtlich geworden, dass die Währungsunion in der Form, wie sie bisher aufgestellt war, angepasst werden muss, um dauerhaft bestehen zu können. Die Bundesregierung arbeitet daher konsequent an einer verbesserten Stabilitätsarchitektur für Europa, zu der der ESM einen wesentlichen Beitrag leisten wird.
Mit freundlichen Grüßen
Hartmut Koschyk