Frage an Harald Terpe von Tobias M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Dr. Terpe,
Sie haben bei der Abstimmung zur Änderung der Stammzellgesetzgebung gegen den eingebrachten Antrag zur Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzelllinien gestimmt.
Sie sind ja promovierter Mediziner, und haben sicher eine qualifizierte Meinung zu dem Thema. Könnten Sie mir bitte erklären, was die Hintergründe für Ihr Abstimmungsverhalten sind?
Mit freundlichen Grüßen
Tobias Maier
Sehr geehrter Herr Maier,
vielen Dank für Ihre Frage zum Stammzellgesetz. Zu meinem Bedauern hat die Mehrheit des Bundestages sich für eine Verschiebung des Stichtages entschieden. Wie die überwiegende Mehrheit unserer Fraktion war ich der Ansicht, dass für eine solche Verschiebung keine Notwendigkeit besteht.
Bislang wurden keine neuen wissenschaftlichen, rechtlichen oder ethischen Argumente vorgebracht, die eine Streichung oder Verschiebung des Stichtages im Stammzellgesetz begründen würden. Weder die Anhörung des Forschungsausschusses noch eine von unserer Fraktion organisierte zusätzliche Veranstaltung mit Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft haben neue Erkenntnisse zu Tage gefördert, die unsere Position zur embryonalen Stammzellforschung widerlegen.
In den vergangenen Jahren wurden von Seiten der Stammzellforscher immer wieder die verständlichen Hoffnungen von Patienten genährt, mithilfe der embryonalen Stammzellforschung könnten Therapien gegen schwere oder bislang unheilbare Krankheiten entwickelt werden. Keine dieser Hoffnungen hat sich - auch in Ländern mit weniger restriktiven Gesetzen - bislang auch nur im Ansatz bestätigt: Die Wissenschaft befindet sich immer noch im Stadium der Grundlagenforschung. Es gibt keine klinischen Studien oder gar zugelassene Therapieverfahren, die auf embryonaler Stammzellforschung basieren.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) spricht neuerdings nicht mehr von therapeutischen Erwartungen an die embryonale Stammzellforschung. Auch in Kreisen der internationalen Stammzellforscher steigen die Zweifel, ob mittels embryonalen Stammzellen überhaupt jemals Therapien am Menschen entwickelt werden können. Selbst bekannte Forscher wie Ian Wilmut kehren der embryonalen Stammzellforschung den Rücken, gerade deshalb sollten wir ein Interesse daran haben, dass realistische und vielversprechende biomedizinische Therapieansätze unterstützt werden. Aus meiner Sicht ist der adulten Stammzellforschung und der Forschung an reprogrammierten Stammzellen der Vorrang einzuräumen. Hier gibt es erfolgversprechende und ethisch unbedenkliche Ansätze. Anders als bei der embryonalen Stammzellforschung werden adulte Stammzellen bereits teilweise international in klinischen Verfahren zur Behandlung von Herzinfarkten oder Leukämie eingesetzt.
Diese Therapieverfahren wurden ohne die Hilfe der embryonalen Stammzellforschung entwickelt. Bis heute basiert keine einzige Therapie mit adulten Stammzellen auf Ergebnissen der embryonalen Stammzellforschung oder bezieht diese in klinischen Studien mit ein. Es ist mithin schlichtweg falsch, wenn Stammzellforscher in Deutschland im Rahmen der aktuellen Debatte den Eindruck erwecken, dass nur mittels embryonaler Stammzellen Therapien mit adulten Stammzellen entwickelt werden könnten.
Die Verwendung von Embryonen ist Voraussetzung für die Entwicklung von humanen embryonalen Stammzelllinien. Damit sind das Gebot des Schutzes menschlichen Lebens und die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde berührt. Hinzu kommt, dass einer Verzweckung menschlichen Lebens Vorschub geleistet wird, d.h. menschliches Leben für Interessen Dritter zur Disposition gestellt wird.
Dass embryonale Stammzellen aus ethischer Sicht nicht wie normales "Forschungsmaterial" zu bewerten sind, zeigt sich auch daran, dass nicht nur Deutschland, sondern fast alle anderen EU-Länder (mehr oder weniger restriktive) Schutzregelungen für den Umgang mit embryonalen Stammzellen beschlossen haben. Auch bei der nun diskutierten Änderung des Stammzellgesetzes muss der Ruf nach Forschungsfreiheit wieder gegen die skizzierten gesellschaftlichen Risiken und bestehenden ethischen Grenzen abgewogen werden. Eine Freigabe der Forschung ohne ethische Grenzen und ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg, sondern aus rein wettbewerblichen und ökonomischen Gründen ist für mich nicht akzeptabel.
Ich möchte Sie zudem darauf hinweisen, dass die Entstehung von Embryonen zumeist mit einer erheblichen körperlichen Belastung und manchmal mit Krankheit und Tod für die Frauen einhergeht, die die verwendeten Eizellen gespendet haben. Durch eine Erweiterung der Forschung würden insbesondere sozial benachteiligte Frauen durch finanzielle Anreize dazu motiviert, sich solch gravieren Gesundheitsgefahren auszusetzen. Dies ist für mich als Arzt nicht zu verantworten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe MdB