Frage an Harald Terpe von Silvia D. bezüglich Gesundheit
Die Einsparungen in den Krankenhäusern werden vielfach primär durch Abbau von Pflegekräften erzielt. Dadurch kommt es mittlerweile in vielen Krankenhäusern zur Gefährdung von Patienten ( siehe Pflegethermometer 07 /Deutsches Institut für angewandte Pflegforschung ).
Klare gesetzliche Regelungen in Bezug auf Vorbehaltsaufgaben der beruflich Pflegenden fehlen bzw. werden durch rechtliche Hilfskonstruktionen aus einem nicht mehr zeit- und realitätskonformen Gesetz von 1939 (§ 1 HPG) unter Dominanz der Bundesärztekammer entwickelt.
Die hieraus entstandene Definition des der Ärzteschaft untergeordneten „Heilhilfsberufes“ ist ebenso wenig zeitgemäß, noch orientiert sie sich an den tatsächlichen Vorgaben der täglichen Praxis
Um den Herausforderungen im öffentlichen Gesundheitswesen auch in Zukunft begegnen zu können ist die professionelle, eigenverantwortliche Pflege unverzichtbar.
Die Sparmassnahmen in den Krankenhäusern, aber auch im ambulanten bzw. poststationären Bereich haben zu einem großen Teil zu Einsparungen im Pflegebereich geführt, so dass eine sichere Patientenversorgung teils nicht mehr gewährleistet ist.
Insbesondere werden hierdurch die im Rahmen der Neuordnung der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger geforderten Maßnahmen zur Prävention und Beratung von Patienten erschwert bzw. unmöglich gemacht.
Klare gesetzliche Regelungen im Sinne von Vorbehaltsaufgaben, die sowohl die rechtliche Grundsicherheit als auch die praktische eigenständige Zuständigkeit und Kompetenz eines Berufsstandes mit eigener Tradition sicherstellen.
Wie sehen sie die Zukunft der Krankenpflege?
Wie stehen sie zu den Bemühungen zur Gründung einer bundesweiten Pflegekammer als Organ der beruflichen Selbstverwaltung ?
Sehr geehrte Frau Dieckmann,
Herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich hiermit beantworten möchte:
1. Wie sehen Sie die Zukunft der Krankenpflege?
Nach meiner Auffassung ist die Aufsplittung in Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege nicht mehr für zeitgemäß. Im Anschluss an eine grundständige integrierte Ausbildung sollte später durch Fort- und Weiterbildung aber auch durch den erleichterten Zugang zu Fachhochschulen und Hochschulen die Spezialisierung in den spezifischen Handlungsfeldern der Pflege möglich sein. Durch ein solches Ausbildungssystem sollte auch die starke sektorale Trennung zwischen ambulanter Pflege, Krankenhausversorgung und sttionärer Heimversorgung aufgebrochen werden. Pflegekräfte sollten dort ihre Einsatzgebite finden, wo ihre spezialisierte Fachkenntnis gefragt ist.
Grundsätzlich muss sich Pflege an dem gegenwärtigen und zukünftigen Versorgungsbedarf orientieren. Dieser ist ganz wesentlich durch die zunehmende Zahl pflegebedürftiger Menschen, durch psychosomatische und chronische Krankheitsverläufe aber auch durch Veränderungen der familiären Hilfe- und Unterstützungsstrukturen gekennzeichnet. Auch das Thema der sozialen Ungleichheit gewinnt für den Pflegeberuf zunehmend an Bedeutung, da z.B. Bildung oder Einkommen oft Einfluss darauf nehmen, ob Menschen krank werden oder gesund bleiben oder ob sie in der Lage sind, ihr Leben mit Krankheit zu bewältigen oder aber nicht.
Schon aus diesen Gründen halten Bündnis 90/Die Grünen die Erweiterung pflegerischer Handlungsfelder für dringend geboten. Zu nennen wären dabei z.B. Beratung, Anleitung und Schulung. Des Weiteren wäre die Steuerung und Koordinierung von Versorgungsprozessen im Sinne der Patientinnen und Patienten zu nennen. Auch bei Prävention und Gesundheitsförderung könnten Pflegekräfte wichtige Aufgaben übernehmen. Gleiches gilt für die Mitwirkung in mobilen geriatrischen Rehabilitationsteams oder in ambulanten Palliative-Care-Teams. Die Öffnung der Heilberufe für bestimmte medizinische Aufgaben, zum Beispiel die Verordnung leichterer Medikamentengruppen, halten wir dann für sinnvoll, wenn durch die Aus- und Weiterbildung der Pflegekräfte die qualitätsgerechte Erbringung dieser Aufgabe sichergestellt ist. Die Übernahme dieser Aufgabe begründet sich für uns nicht durch die Entlastung von Ärzten, sondern durch den Verweis auf die Versorgungssicherung der Bevölkerung.
Grundsätzlich brauchen wir für diese veränderten Berufsanforderungen aber eine Neujustierung der Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Heilberufen. Diese Neujustierung muss auf der Grundlage gesellschaftlicher Wandlungsprozesse und den daraus erwachsenden zukünftigen Herausforderungen für die Heilberufe geschehen. Damit verbunden wäre auch, dass traditionelle Handlungsfelder der einzelnen Berufe abgegeben und andere neu hinzugenommen werden müssten. Das würde eine Neuordnung von Zuständigkeiten und Ausbildungsinhalten notwendig machen.
2. Wie stehen Sie zu den Bemühungen zur Gründung einer bundesweiten Pflegekammer als Organ der beruflichen Selbstverwaltung?
Die Idee einer umfassenden berufsständischen Vertretungs- und Organisationsform für die Pflege wird von Bündnis 90/ Die Grünen bereits seit den frühen 1990er Jahren positiv diskutiert. Eine Pflegekammer, die im übrigen in Deutschland in die Länderzuständigkeit fiele, ist dabei eine Option, um den Stellenwert der Pflege zu verbessern und die Versorgungsqualität zu erhöhen.
Aus unserer Sicht muss es dabei um eine gebündelte, stärkere Vertretung der Pflege und damit um mehr Professionalisierung und Eigenständigkeit gehen. Eine Pflegekammer kann ein durchaus probates Mittel sein, um dem Berufsbild Pflege auf politischer Bühne mehr Gehör zu verschaffen und dessen Gestaltungsbefugnisse innerhalb des eigenen Fachbereichs zu erhöhen. Ob durch die bloße, gesetzlich induzierte Einrichtung einer Kammer jedoch eine Statusangleichung an andere Berufsgruppen erreicht wird, sehen wir eher skeptisch.
Zudem beinhaltet das Konzept einer Kammer eine Pflichtmitgliedschaft, der wir grundsätzlich kritisch gegenüberstehen. Wir vertreten die Haltung, dass jede Form des Zwangs und der Kontrolle immer auch ein Eingriff in die beruflichen Freiheitsrechte der Pflegekräfte bedeuten kann. Gerade die Berufsgruppe der Pflegenden war in den vergangenen Jahren von den Auswirkungen vieler Gesetzesänderungen und damit verbundenen Kontrollmechanismen betroffen, die den beruflichen Freiraum eingeengt haben und die berufliche Fremdbestimmung erhöht haben. Durch eine zusätzliche Kontrollinstanz, wie der einer Kammer, die auch mit den Mitteln von Sanktionen agieren kann, würde die Kontrolle der Berufsgruppe zusätzlich verstärkt.
Die Pflegekräfte selbst sollten entscheiden, ob sie durch eine solch übergeordnete Instanz mit all ihren Vor- und Nachteilen vertreten werden will oder nicht. Das Für und Wider einer Kammer ist also genau abzuwägen. Dennoch halten wir es für sehr sinnvoll, diese Debatte konstruktiv fortzuführen und gemeinsam zu überlegen, welche weiteren Formen der Selbstverwaltung die beabsichtigten Ziele des Berufsstandes realisieren könnten. Denn auch wir halten es für dringend geboten, dass die Pflege als wissenschaftlich fundierte Querschnittsdisziplin und als sozialrechtlich eigenständiger Leistungserbringer anerkannt und gestärkt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe